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13:20 Uhr - 06.03.2018

«Die Aktienhausse nicht abschreiben»

Christopher D. Alderson, Chef Aktien International von T. Rowe Price, sieht die Kurse noch mindestens ein Jahr steigen, mag Value und kauft in Schwächen zu.

Herr Alderson, wie sind der Kurstaucher und die unstete Börsenentwicklung der letzten Wochen zu verstehen?
Die Kursschwankungen haben klar zugenommen, und die Verunsicherung wird auch in den kommenden Monaten andauern. Aber ich glaube nicht, dass der Höhenflug der Aktien zu Ende ist. Dass die Volatilität zugenommen hat, hängt mit dem Renditeanstieg am US-Bondmarkt zusammen, mit dem Signal, dass sich Zinsen zu normalisieren beginnen. Dass die Schwankungsbreite gestiegen ist und die Notenbanken von ihrer extrem lockeren Geldpolitik allmählich abrücken werden, halte ich für gesund. Es war zu einfach geworden, in Aktien zu investieren.

Fehlt den Märkten dann nicht Liquidität?
Nein, die Liquiditätsversorgung durch die Notenbanken ist noch immer gross. Wir sprechen ja nicht von einer Verknappung, sondern von einem allmählichen Zurückfahren der ungewöhnlich üppigen und extremen Geldversorgung, von einem langsamen Abrücken vom Ausnahmezustand. Das ist grundsätzlich zu begrüssen.

Haben die Anleger überreagiert?
Manche Investoren hatten sich vor der Korrektur in volatilitätsarmen Produkten engagiert. Als die Kurse ins Rutschen kamen, mussten sie verkaufen. Das hat die Bewegung verstärkt. Doch der Shakeout gewisser Low-Volatility-Produkte tut dem Markt gut, es gab einfach zu viele davon.

Also mehr ein technischer Vorgang als eine fundamentale Veränderung?
Zum Teil, aber nicht nur. Wenn die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen von 2,4 auf fast 3% hochschnellt, ist das kein alltäglicher Vorgang. Der Markt hat realisiert, dass die Inflation nicht mehr null beträgt und die US-Notenbank unter Umständen gezwungen sein wird, einen aggressiveren Kurs zu fahren als bisher angenommen.

Wann wird es für Aktien kritisch, bei einer Rendite zehnjähriger US-Treasuries von 3%, wie manche Beobachter behaupten?
Die Schmerzgrenze liegt höher. Bei 3,5% müssen wir auf der Hut sein, bei 4% und mehr würde es kritisch. Wichtig ist das Tempo. Um Schaden zu verhindern, dürften die Zinsen nicht abrupt und schockartig steigen.

Wie gross ist dieses Risiko?
Ich halte es für gering. Für einen raschen Zinsanstieg fehlen die Grundlagen. Inflation kommt nicht über Nacht, und sie rennt auch nicht davon. Statt auf die amerikanische würde ich mehr auf die Europäische Zentralbank und auf die japanische Notenbank achten. In beiden Regionen weist die Wirtschaft nach wie vor Überkapazitäten respektive einen Angebotsüberhang auf. Und niedrige Zinsen in Europa sowie in Japan helfen auch den USA. Das Fed wäre stärker gefordert, müssten auch die EZB und die Bank von Japan an der Zinsschraube drehen. Das ist nicht der Fall.

Weshalb ist der Inflationsdruck trotz brummender Wirtschaft gering?
Zum einen wegen der Demografie. Eine alternde Bevölkerung frönt nicht gleichermassen dem Konsum wie eine junge. Ein anderer Grund sind neue Technologien. Wir kennen alle den Amazon-Effekt, Online macht Einkaufen billiger. Aber die Digitalisierung verändert die gesamte Wirtschaft, neue Prozesse entstehen und steigern die Effizienz. Auch Materialien und Energie werden durch neue Technologien attraktiver. Ab einem Ölpreis von 60 $ pro Fass beispielsweise kommen alternative Förderungsarten ins Spiel und halten den Preisanstieg in Schranken. Ich glaube nicht an eine abrupte Zunahme der Inflation und als Folge davon auch nicht an eine dramatische Zinswende. Und falls Inflation trotzdem zum Thema werden sollte, ist das nicht der Untergang der Aktien, im Gegenteil.

Wie meinen Sie das?
Deflation ist der Tod für Aktien, wie wir aus Japan wissen. In der Deflation können Unternehmen die Kosten gar nicht so rasch senken, wie die Verbraucherpreise sinken. Bei Inflation können viele die Mehrkosten überwälzen, zumindest diejenigen, die Preismacht haben, was für die Aktienauswahl ein wichtiges Kriterium ist. Aktien sind etwas vom Besten, was man zum Schutz vor Inflation kaufen kann. Das zeigen Erfahrungswerte aus den USA, die über hundert Jahre zurückgehen (vgl. Grafik, Anm. der Red.). Bei einer Inflation von 1 bis 4% sind Obligationen noch keine grosse Alternative, und Aktien notieren so hoch wie nie. Ein gewisses Mass an Inflation ist fantastisch für Aktien.

Werden die Märkte Ende Jahr höher oder tiefer notieren als heute?
Ich gehe von einer volatilen, insgesamt aber festeren Entwicklung aus und sehe sie Ende Jahr höher als heute.

Was bringt Sie zu dieser Überzeugung?
Aktien sind eine Funktion von Unternehmensgewinnen und Zinsen. Für die Gewinne ist die synchron wachsende Weltwirtschaft ein wichtiger Treiber. In Europa zum Beispiel liegt der durchschnittliche Gewinn pro Aktie noch immer rund 20% unter dem Niveau von 2007, bevor die Finanzkrise ausbrach. Da bietet sich noch viel Steigerungspotenzial. Der Kapitalzufluss in Aktien lässt zwar etwas nach, wenn die Zinsen drehen. Aber daran, dass Aktien deutlich attraktiver sind als Obligationen, hat sich nichts geändert. Die Richtung an den Börsen weist weiterhin nach oben. Die Aktienhausse wird noch ein oder sogar zwei Jahre andauern, davon bin ich überzeugt.

Für den Investor heisst es also: Kaufen in Schwächen?
Absolut. Wären die Obligationenrenditen höher, würde sich ein ausgewogeneres Depot aufdrängen. Aber so weit sind wir nicht. Zudem ist es ein grosser Unterschied, ob man US-Anleihen oder Bonds in anderen Währungen besitzt. Was soll an Regierungsanleihen, die nicht viel mehr als 0% rentieren, interessant sein, wenn bei Aktien beispielsweise von Novartis (NOVN 76.76 -2.59%) oder Nestlé (NESN 74.94 -0.24%) allein die Dividendenrendite rund 3% beträgt, der Cashflow dieser Unternehmen markant wächst und die Titel mit weniger als dem Zwanzigfachen des Gewinns pro Aktie bewertet sind? Da ist für mich die Antwort klar.

Favorisieren Sie Europa, wie viele andere Strategen auch, und weshalb halten sich die US-Börsen trotzdem besser als die europäischen?
Der Bewertungs- und Kursvorsprung des US-Marktes hat wesentlich mit der grösseren Anzahl von Wachstumstiteln in den USA zu tun. Je stärker Technologiekonzerne wie Apple (AAPL 176.82 0.35%), Alphabet und Facebook (FB 180.4 2.14%) wachsen, umso teurer werden sie, und umso mehr Geld ziehen sie an, zumal in einer Welt, die zum passiven Anlegen drängt. Auch uns gefallen die Tech-Giganten. Das heisst aber nicht, dass es so bleiben wird. Bei etwas Inflation und etwas höheren Zinsen kann man sich gut vorstellen, dass Value-Aktien, also günstig bewertete Substanzvaloren, wieder in den Vordergrund treten, weil Wachstum irgendwann mal genügend eingepreist ist. Das würde Europa, aber auch Japan in die Hände spielen, wo Value stärker vertreten ist als in den USA. Dieser Trend könnte jederzeit einsetzen.

In den vergangenen Jahren setzten sich kleinere und mittelgrosse Titel besonders gut in Szene. Kommt es auch da zu einer Veränderung?
Kleinere Gesellschaften profitieren stärker, wenn sich die Konjunktur erholt, weil sie agiler sind. Die grossen können sich dank ihrer Kraft auch in einer schwächeren Wirtschaft durchsetzen. Aber so weit sind wir nicht, die Konjunktur ist nach wie vor auf Erholungskurs. Wir haben keine klare Präferenz, es gilt, Sektor für Sektor und Titel für Titel zu analysieren.

Titelfavoriten nennen Sie nicht. Aber welche Sektoren und Themen sind interessant, beispielsweise in der Schweiz?
In der Schweiz stossen wir auf eine Reihe aussichtsreicher Unternehmen. Ein grosses Thema sind weltweit industrielle Automatisierung, Robotik, künstliche Intelligenz – Gebiete, in denen die Schweiz und ihre Zulieferer hervorragend positioniert sind. Biotech und allgemein der Gesundheitssektor sind ein weiteres Gebiet, dem eine grosse Zukunft winkt. Auch da ist die Schweiz wie überhaupt Europa auf gutem Weg. Von höheren Zinsen profitieren Versicherungen und Banken. Besonders das Wealth Management hat mit Blick auf die Demografie und das Schwächeln der staatlichen Vorsorge eine gute Zukunft vor sich.

Was versprechen Emerging Markets?
Sehr viel, Emerging Markets zählen wir zu den Top-Anlagen. Weil sie rohstoff- und exportorientiert sind, kommt ihnen die starke Weltkonjunktur besonders zugute. Schwellenmärkte wissen auch stets dann zu gefallen, wenn der Dollar schwächelt und das globale Kapital Märkte ausserhalb der US-Währung ansteuert. Dass der Dollar demnächst eine Kehrtwende vollzieht, ist nicht in Sicht. Gerade China ist attraktiv, seit Jahren launisch und in seiner Breite von Analysten noch wenig abgedeckt: Für Stock Pickers ist es einer der besten Märkte weltweit. Wer weiss, was er tut, kann in China sehr erfolgreich sein.

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