YouTuber gibt es in der Finanzszene immer mehr. Ihre Anhänger haben oft das Nachsehen. Bericht eines Streifzugs.
Die Geschichte klang so schön: Kleinanleger legen den Heuschrecken das Handwerk. Die koordinierte Jagd auf die GameStop-Aktie trieb den Kurs des kriselnden Unternehmens von wenigen Dollar auf beinahe 500 $. Hedge Funds, die die Aktie leer verkauft hatten, erlitten Verluste. Doch der Höhenflug währte nur kurz, und der Vergleich mit David gegen Goliath passt nicht ganz, denn am Ende haben viele Kleinanleger Geld verloren und viele «Grosse» – Broker, Vermögensverwalter – enormen Gewinn gemacht. Wer aber ist eigentlich David in der GameStop-Saga?
Die GameStop-Rally hat ein Gesicht: männlich, 34-jährig, Baseballkappe verkehrt herum, immer ein Bier zur Hand und gern eine Zigarre im Mundwinkel. Die Rede ist von Keith Gill, der die Rally ins Rollen gebracht hat. Er ist ausgebildeter Finanzanalyst, hat seit 2010 selbst eine Broker-Lizenz und arbeitete bis vor wenigen Wochen beim Versicherungskonzern MassMutual. Auf Twitter (TWTR 71.90 +4.87%) begann er vergangenen Sommer unter dem Namen Roaring Kitty («brüllendes Kätzchen») seine YouTube-Videos zu bewerben. Darin spricht Gill über Aktien und Anlagetipps, mehrheitlich über GameStop, legt vor Kursgrafiken und Excel-Tabellenblättern mit Geschäftszahlen dar, warum das Unternehmen seiner Meinung nach unter Wert gehandelt wird. Das macht er immer wieder, manchmal stundenlang, live im Stream.
Gemäss einer Studie des Beratungsunternehmens Buzzbird haben solche Formate der Kategorie «Just Chatting» auf der Live-Streaming-Plattform Twitch 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 138% zugelegt bei den Zuschauerzahlen. Gill kommt sympathisch rüber, nicht belehrend und immer wieder mit dem Hinweis an Zweifelnde, selbst im Internet zu recherchieren – für Pandemiegelangweilte ein netter Zeitvertreib.
Auf Wallstreetbets, einem Finanzforum auf der Plattform Reddit, ist Gills Ton schnörkellos. Er heisst hier Deep Fucking Value, und seine Diskussionsbeiträge bestehen jeweils aus einem Screenshot seines GameStop-Portfolios mit Aktien und Call-Optionen, die er im September 2019 für 53’000 $ gekauft hat. Zu Beginn reagieren ein paar Dutzend «Redditors» auf seinen Beitrag, zum Jahreswechsel über tausend. Viele kaufen ebenfalls, viele setzen auf Call-Optionen.
Ende Januar startet GameStop richtig durch, Gill erwirkt mit einem Beitrag – immer Auszüge seines GameStop-Investments, das zeitweise über 50 Mio. $ wert war – auf Wallstreetbets über 200’000 Kommentare. Anstelle von Worten gibt es vor allem Emojis und stets die Abkürzung YOLO – You Only Live Once. Für die Verwendung solcher Abkürzungen sind die Regeln auf Reddit strikt; ein YOLO-Trade muss gemäss Regeln der Plattform hoch riskant sein.
GME YOLO update — Jan 27 2021 ————————————— guess i need 102 characters in title now from r/wallstreetbets
Inzwischen ist das Spiel vorbei, GameStop ist wieder abgestürzt. Auch die nächste Rally der «Redditors», diesmal galt sie Cannabis-Aktien, ist schon wieder durch. Roaring Kitty und Deep Fucking Value sind von der Bildfläche verschwunden. Die Stimmung unter den auf Reddit verbliebenen GameStop-Fans ist die nach einer rauschenden Party. Ein paar sind noch da, bestärken sich darin, dass sie GameStop nicht wegen des Geldes gekauft hätten, sondern um «denen» eins auszuwischen, kapitalismuskritisch, gemischt mit nostalgischen Gefühlen für die Videospieleläden von GameStop.
Einer, der zu spät gegangen ist, ist nach eigenen Angaben Dave Portnoy. 700’000 $ Verlust habe er mit GameStop gemacht. Portnoy ist wie Gill Influencer und gibt Tipps zu Aktien ebenso wie zur besten Pizza in Detroit – selbstverständlich stets, ohne persönlich Verantwortung zu übernehmen für seine Ratschläge. Den GameStop-Verlust dürfte er verschmerzen können. Sein Vermögen als Internet Entrepreneur – auf Twitter folgen ihm 2,3 Mio. – wird auf 120 Mio. $ geschätzt.
Auch im deutschsprachigen Raum kennen wir Männer, die sich mit Zigarre in Szene setzen und Anlagetipps geben. Einer von ihnen ist Florian Homm. Auch er bietet seinen Fans eine Mischung aus Anlagetipps und Lebensphilosophie. Letzteres kommt mit seinem Verein zur Verbreitung der «Botschaft der Barmherzigkeit der Jesusmutter» etwas konventioneller daher als bei den YouTubern aus den USA. Homm war schon vor seinen YouTube-Zeiten als Hedge-Fund-Manager bekannt geworden und braucht daher auf Social Media nicht mehr Lärm zu machen, um Klicks zu bekommen. 223’000 Abonnenten hat er auf YouTube.
Den Zenit hat Homm allerdings hinter sich. Derzeit läuft in Bellinzona ein Gerichtsverfahren gegen ihn. Demnach hat er in den Nullerjahren Anleger um rund 200 Mio. € betrogen. Inzwischen gibt er sich geläutert, hat die Zigarre gegen einen Rosenkranz getauscht und verkauft Anlegern einen Börsenbrief und eine Investment-Grundausbildung.
Zwei von drei Zuschauern auf Live-Plattformen sind männlich, heisst es beim Beratungsunternehmen Business of Apps. Der Frauenanteil wächst jedoch schnell. Das gilt auch für die Finanzszene, wo immer mehr Formate und Influencer auf dem Bildschirm auftauchen, die gezielt Frauen ansprechen. So etwa die Plattformen Finelles oder Finanzheldinnen. Sie bieten vor allem Bildungsinhalte und weniger spezifische Anlagetipps.
Aber auch Einzelkämpferinnen tauchen vermehrt auf, etwa die Amerikanerin Kathryn Cicoletti. Nach einer steilen Karriere mit den Stationen Julius Bär (BAER 55.26 +1.21%), GAM (GAM 2.05 +4.07%) und einigen weiteren quittierte sie ihren gut bezahlten Job und gründete die Webseite Ms. Cheat Sheet. Dort mokierte sie sich über ihre einstigen Kollegen und bot für 12 $ einen monatlichen Investment-Newsletter.
Inzwischen ist es um Ms. Cheat Sheet ruhig geworden. Cicoletti arbeitet nun hinter den Kulissen der Influencer-Szene bei Maestro, einem Unternehmen, das Marketingkampagnen mit Influencern vermittelt.
Auch in der Schweiz lässt sich mit solchen Kampagnen Geld verdienen. Das weiss Thomas Kovacs, bekannt als Thomas der Sparkojote. Auch er stellt auf YouTube Videos zu Finanzthemen zur Verfügung und erreicht dort knapp 19’000 Abonnenten. Lukrativ seien vor allem sogenannte Affiliate-Kooperationen mit Banken und Brokern, deren Produkte er bewirbt, indem er sie selbst nutzt. Allein mit Klicks und den damit einhergehenden Werbeeinnahmen verdiene er lediglich 1000 bis 2000 Fr. im Monat, sagt der 24-Jährige im Gespräch mit FuW.
Wie viel ihm Partner wie Swissquote (SQN 107.20 +3.28%) oder die Zürcher Kantonalbank einbringen, will er nicht sagen, aber es lasse sich sehr gut davon leben. Er zahlt sich einen Monatslohn von 20’000 Fr. aus und beschäftigt in seinem Unternehmen auch seine Freundin und seine Eltern. Denn angefangen hat alles mit einem Webshop, den Kovacs für den Comic-Laden seiner Eltern in der Zürcher Innenstadt kreiert hatte.
Kovacs handelte schon als Kind mit Spielkarten, hob dieses Geschäft mit dem Webshop auf eine neue Stufe, stieg in den Aktienhandel ein und publiziert in regelmässigen Abständen detaillierte Depotauszüge. Darin findet sich wenig Überraschendes. Er setze auf Blue Chips, Geschäftsmodelle, die ihn überzeugten, Apple (AAPL 135.37 +0.18%) zum Beispiel, da sei er selbst im Ökosystem drin.
In seinem Portfolio hat er auch Produkte seiner Sponsoren. «Objektiv bin ich nicht. Mein Content soll einfach mich darstellen», sagt Kovacs. Er hat bei UBS (UBSG 13.91 +1.5%) eine Informatikerlehre abgeschlossen und danach knapp drei Jahre auf dem Job gearbeitet, bis er sich 2018 selbstständig gemacht hat. Ob er denn auch negative Erfahrungen mache, angefeindet werde, wenn er sich so exponiere? «Es gibt immer Hater, aber weisst du, das ist eh nur online, im Real Life ist das noch nie passiert.»
Und im Real Life verschwinden Influencer gerne von der Bildfläche, wenn es ungemütlich wird. GameStop-Gill, im richtigen Leben Vater einer zweijährigen Tochter, schweigt auf Twitter & Co. seit einigen Tagen. Hingegen hat sich die US-Börsenaufsicht SEC eingeschaltet, um mögliche Regelverstösse zu untersuchen. Gill und einige weitere in die GameStop-Rally involvierte Personen sollen am Donnerstag vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses aussagen. Das Gerichtsverfahren gegen Homm läuft schon, in Bellinzona mag der Angeklagte aber nicht erscheinen, offiziell wegen gesundheitlicher Risiken im Zusammenhang mit Corona. Während die Anhänger auf Verlusten sitzen bleiben, fliessen bei den Influencern die Einnahmen weiter. Denn ihr Geld verdienen sie in der Regel nicht in erster Linie mit ihren Anlagegeschäften, sondern mit Newslettern, Marketingkampagnen und Kommissionen aus den Handelsgeschäften, die ihre Anhänger machen.
Die edukativen Videos kommen durchaus seriös daher. Wer sich Basiswissen zu Finanzfragen aneignen will und dabei noch Zeit hat, sich zwischendurch Katzenvideos anzuschauen oder anzuhören, dass der Sparkojote gerne Pfirsichtee mag, der findet auf YouTube einen Zeitvertreib. Konkrete Anlageempfehlungen hingegen sind entweder hochriskant wie im GameStop-Fall – oder mit Apple & Co. trivial.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.