Zurück zur Übersicht
14:19 Uhr - 09.11.2016

«Trump gibt sich ab sofort staatsmännisch»

Für Christian Gattiker, Chefstratege von Julius Bär, steht der Wahlsieg von Donald Trump für eine wachstumsfreundlichere US-Politik und mehr Inflation.

Herr Gattiker, an den Märkten hat sich die Panik nach dem überraschenden Wahlsieg von Donald Trump etwas gelegt, zu Recht?
Derzeit liegen die Futures auf den US-Markt noch rund 2% im Minus. Das ist ein Indiz für die Eröffnung der US-Börse. Ich hätte erwartet, dass die US-Börsen mehr verlieren würden und sich anschliessend etwas erholen. Mit so grossen Verwerfungen wie nach der Brexit-Abstimmung rechne ich aber nicht.

Christian Gattiker Bild: ZVGDer Brexit war schlimmer?
Damals wurden die Märkte komplett auf dem falschen Fuss erwischt. Kurz vor Schliessung der Wahllokale standen die Wettquoten in Grossbritannien auf 90 zu 10, nicht 60 zu 40 wie kurz vor der US-Wahl. Der Trump-Sieg ist eine Überraschung, aber keine so grosse.

Das heisst, der grösste Kurssturz ist schon vorbei?
In den nächsten Tagen dürfte sich ein Boden bilden. Die Unsicherheit wird nicht einfach so schnell wieder verschwinden. Doch zum von den Gegnern befürchteten Kontrollverlust der Supermacht wird es nicht kommen.

Man kann sich Trump als Staatsmann schlecht vorstellen.
Diese Wahrnehmung dürfte sich bald ändern. Er hat jetzt die Wahlen gewonnen und muss nicht mehr die Gegner beleidigen und durch Provokation Aufmerksamkeit erlangen. Jetzt geht es darum, die Reihen zu schliessen, Konsens zu finden. Daher wird sich Trump ab sofort staatsmännisch geben.

Was bedeutet der Wahlsieg von Donald Trump längerfristig für die Wirtschaft und die Finanzmärkte?
Trumps Sieg steht für einen wirtschaftspolitischen Wandel in den USA. Die Politik wird wachstumsfreundlicher werden und für mehr Inflation sorgen. Trump wird der US-Präsident sein, der die USA aus dem deflationären Umfeld herausführt oder das Verdienst dafür zumindest für sich in Anspruch nimmt.

Wie sieht Trumps wachstumsfreundliche Politik denn aus?
Im Kern stehen Steuersenkungen und Erhöhung der Infrastukturinvestititionen. Das wird die US-Wirtschaft beleben. Wir rechnen nächstes Jahr mit einem BIP-Zuwachs von rund 2,5%. Die Inflation dürfte sich 2018 in Richtung von 3% normalisieren. Die Zinsen werden steigen und der Dollar weiter erstarken.

Was bedeutet das für die Weltwirtschaft? Ein starker Dollar hat auch Nachteile.
Es läuft auf eine moderate Reflationierung der Weltwirtschaft hinaus. Die Deflationssorgen werden abnehmen. Wenn sich der Dollar wegen der US-Wachstumsdynamik aufwertet, überwiegen für den Rest der Welt die Vorteile.

Was sind die Folgen für die Schweiz?
Die Schweiz profitiert von einer dynamischen US-Wirtschaft mit einer starken Währung. Schon unter Obama haben die Exporte der Schweiz in die USA um 50% zugenommen. Vor allem für die grossen kotierten Unternehmen ist die Dollarraum ein wichtiger Absatzmarkt. Pharmakonzerne Roche (ROG 233.5 3.82%) und Novartis (NOVN 71.6 3.17%) können aufatmen. Das Damoklesschwert einer Clinton-Wahl ist jetzt weg. Deshalb ist heute auch der SMI (SMI 7812.95 0.89%) im Plus.

Die Wahlumfragen haben ein weiteres Mal das Resultat falsch prognostiziert. Was ist die Lehre daraus, auch im Hinblick auf die kommende Verfassungssabstimmung in Italien?
Es gibt eine grosse Kluft zwischen der Elite und den Wählern. Man kann den Demoskopen keine Vorwürfe machen. Das Problem ist, dass in der politisch korrekten Welt die Leute nicht sagen, was sie wirklich denken. So muss es zahlreiche Amerikaner und Amerikanerinnen gegeben haben, die sich liberal äusserten, aber dann doch heimlich für Trump gestimmt haben. Umfrageergebnisse müssen also mit Vorsicht genossen werden und ebenfalls die Wettquoten, die davon abgeleitet werden.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.