Vincent Reinhart, Chefökonom von Standish, rechnet nach der Wahl von Donald Trump mit einem grossen Infrastrukturprogramm. Das werde auch die Teuerung ankurbeln.
Wallstreet bereitet Donald Trump einen warmen Empfang. Sah es nach seiner Wahl zum 45. Präsidenten Amerikas zunächst nach einem heftigen Schock für die Finanzmärkte aus, hat sich die Stimmung rasch aufgehellt. Vincent Reinhart erwartet, dass Trump ein grosses Infrastrukturprogramm starten und das Haushaltsbudget überziehen wird. Das sind Voraussetzungen für steigende Inflation, wie der Chefökonom des Bostoner Vermögensberaters Standish Mellon Asset Management erklärt. Früher als Sekretär im ökonomischen Beratungsteam der US-Notenbank tätig, erwartet er im Dezember die nächste Zinserhöhung. Vincent Reinhart
Herr Reinhart, Donald Trump hat die ganze Welt verblüfft. Wie erklären Sie sich seinen Coup in den Präsidentschaftswahlen?
Viele Leute sind wütend darüber, dass nicht am Wachstum der Wirtschaft teilhaben und durch die Globalisierung benachteiligt werden. Dieser Zorn ist jetzt zum Ausdruck gekommen. Auch besteht ein tiefer Graben zwischen Stadt und Land, was sich in den Wahlen ebenfalls deutlich gezeigt hat. Die Mehrheit der Wähler wollte einen Kandidaten, der Veränderung bringt – auch wenn er nicht frei von Mängeln ist.
Woher genau kommt diese Wut?
Die Wirtschaft schafft keine guten Jobs. Dadurch wächst die Kluft zwischen denen, die vom Aufschwung profitieren, und denen, die zurückgelassen werden. Betroffen davon ist speziell das Landesinnere, wo es der Industrie weniger gut läuft als in den Küstenregionen, die vom Fortschritt in den Dienstleistungsbranchen profitieren. Hinzu kommt ein Generationenunterschied: Ältere Menschen sehen, dass sich das Wirtschaftswachstum im Vergleich zu früher verlangsamt hat und sind wütend darüber. Die jüngere Bevölkerung hingegen erkennt die Chancen im Dienstleistungsbereich und kann sich gar nicht an die Zeiten erinnern, als Amerika rund um den Globus bewundert wurde.
Sind das letztlich alles Konsequenzen der Finanzkrise?
Die Geschichte zeigt, dass sich die Konjunktur nach einer Finanzkrise langsamer erholt als nach einer gewöhnlichen Rezession. Die Wirtschaft spielte in den Wahlen also eine zentrale Rolle. Das deutete auch das Prognosemodell von Yale-Professor Ray Fair an, das ausschliesslich auf ökonomischen Variablen basiert und den Sieg der Republikaner korrekt vorausgesagt hat.
Trump und die Republikaner haben nun die Kontrolle über Regierung und Parlament. Was heisst das für die Konjunkturaussichten?
Grundsätzlich ermöglicht eine solche Konstellation schnelleres Handeln. In diesem Fall ist die Frage aber, ob Trump ideologisch auf die Linie seiner Partei einschwenkt und, ob die republikanische Führung im Kongress zusammenhalten wird. Wenn Trump sich um eine Kooperation mit dem Establishment bemüht, wird die neue Regierung gut funktionieren. Macht er aber mit dem gleichen Groll gegen Washington weiter, der seine Kampagne geprägt hat, wird die Situation schwieriger.
Auf was müssen Investoren jetzt achten?
Entscheidend ist, ob Trump in den nächsten Wochen signalisiert, dass er sich zur politischen Mitte bewegen wird. Eine Schlüsselrolle spielt dabei, ob er die wichtigen Posten in seinem Kabinett mit vernünftigen Kandidaten bestückt.
Wie wird Trumps Wirtschaftspolitik aussehen?
Trump wird kein konventioneller Präsident sein. Er wird gegen Handelsabkommen vorgehen und den Fokus auf die Immigrationspolitik richten. Seine Regierung wird etablierte Vereinbarungen in einer Weise hinterfragen, wie das in der Nachkriegszeit noch nie der Fall war. Gewisse Veränderungen kann er zwar sofort mit direkten Regierungsbeschlüssen umsetzen. Für echte Reformen braucht er jedoch die Zustimmung des Parlaments, das vorab traditionell republikanisch ausgerichtet ist. Seine Rhetorik wird daher wohl beängstigender erscheinen, als er tatsächlich handeln wird.
In seiner Siegesrede hat Trump bereits massive Investitionen in die Infrastruktur angekündigt. Wird er damit in Washington durchkommen?
In diesem Bereich gibt es einfach erreichbare Ziele. Das, zumal in den USA grosser Bedarf zur Aufrüstung der Infrastruktur besteht. Auch dürfte ein Investitionsprogramm im Kongress auf Begeisterung stossen, da dieses Geld in die Wahldistrikte der einzelnen Abgeordneten fliesst. Zudem herrscht Einigkeit, dass es bei den Unternehmenssteuern eine Reform braucht. US-Konzerne horten mehr als 2000 Mrd. $ Cash im Ausland. Wenn sie dieses Geld zu einem attraktiven Tarif zurückführen können, dann lassen sich die Einnahmen aus so einer einmaligen Steuer rasch für Infrastrukturausgaben nützen.
Und wie sieht es langfristig aus?
Schwieriger wird eine Reform der persönlichen Einkommenssteuer. In diesem Bereich ein neues Gesetz durchzubringen, braucht viel Zeit. Das gleiche gilt für Reformen im Gesundheitssektor.
Was bedeutet der Wahlsieg Trumps demnach für die Finanzmärkte?
Generell mögen die Märkte keine Überraschungen und keine einseitigen Entscheide. Mit der Wahl Trumps ist zwar gleich Beides passiert. Dennoch haben sich die Kurse relativ rasch gefangen. Das, weil sich Investoren weniger damit beschäftigen, was Trump für ein Präsident sein wird, und sich mehr darauf fokussieren, wie seine Regierung insgesamt aussehen wird.
Wo eröffnen sich an der Börse jetzt vielleicht sogar Chancen?
Es ist wichtig, selektiv vorzugehen. Unter Präsident Trump und dem republikanischen Kongress wird das Justizdepartement wahrscheinlich weniger aggressiv eingreifen, wenn es um Bewilligungen von Fusionen und Übernahmen geht. Auch wird Washington der Pharmaindustrie freundlicher gesinnt sein, als wenn die Demokraten an der Macht sind. Ausserdem wird sich die Regulation im Bankensektor nicht weiter verschärfen, sondern mit der Zeit lockern.
Am Bondmarkt ist die Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen auf über 2% gesprungen. Das entspricht dem höchsten Niveau seit Anfang Jahr. Wie geht es dort weiter?
Nicht alle Infrastrukturausgaben können mit Steuereinnahmen gedeckt werden. Das heisst, wir werden wahrscheinlich vermehrt über Budgetdefizite sprechen und darüber, wie sich der Impuls aus den Infrastrukturinvestitionen auf die Gesamtwirtschaft auswirkt. Das sind Rahmenbedingungen, unter denen die Zinsen am langen Ende Aufwärtsdruck verspüren.
Heisst das, wir sollten auch über Inflation reden?
Das sollten wir schon seit Längerem, da der Angebotsüberhang an Ressourcen weitgehend abgebaut ist und das Federal Reserve nur langsam eingreift. Es wird deshalb Inflationsdruck geben.
Trump hat die US-Notenbank und speziell Fed-Chefin Janet Yellen im Wahlkampf scharf kritisiert. Was für einen Einfluss hat seine Wahl auf die Geldpolitik? Kommt es zur geplanten Zinserhöhung im Dezember?
Das Federal Reserve wird sich so gut es geht im Hintergrund halten. Es will nicht in Verruf kommen, eine politische Institution zu sein und den neuen Präsidenten zu belohnen, indem es die Geldpolitik nicht weiter strafft. Der Zinsentscheid im Dezember wird von der Konjunkturlage und von der Stimmung an den Finanzmärkten abhängen. Solange sich dort die Bedingungen nicht eintrüben, rechne ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 75%, dass es zum Zinsschritt kommt.
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