Nur wenn Experimente wissenschaftlich fundiert sind, schaffen sie Klarheit und Sicherheit.
Um ihre Theorien zu bestätigen greifen Wirtschaftswissenschaftler regelmässig auf Experimente zurück. Dadurch stellen sie sicher, dass neue Denkmodelle auch in der Praxis zu bestehen vermögen. So haben beispielsweise die drei jüngsten Nobelpreisträger in den Wirtschaftswissenschaften, Abhijit Banerjee und Esther Duflo vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Michael Kremer von der Harvard-Universität, bahnbrechende experimentelle Arbeit im Bereich der Armutsbekämpfung geleistet.
Mithilfe sorgfältig angelegter Experimente, wie sie in den Naturwissenschaften häufig zur Anwendung kommen, haben die Wirtschaftsforscher untersucht, wie sich die kostenlose Präventivmedizin auf die wirtschaftliche Prosperität in Schwellenländern auswirkt. Heute wissen wir deshalb, welche Massnahmen wirken und wo die zur Verfügung stehenden Mittel den grössten positiven Effekt erzielen.
Hohes Mass an Disziplin
Der experimentelle Ansatz, wie er auch von den aktuellen Nobelpreisträgern verfolgt wurde, erfordert ein hohes Mass an Konsequenz und Disziplin. Ob ein Experiment als Erfolg oder Misserfolg gewertet wird, hängt ausnahmslos vom Ergebnis desselben ab. Die Erfolgskriterien werden zu Beginn des Experiments genau definiert – auch um den Interpretationsspielraum im Nachgang an einen missglückten Versuch möglichst gering zu halten. Forscher in der experimentellen Ökonomie neigen dazu, sich auf der Suche nach praktischen Lösungen auf die vermeintlich «kleinen Ursachen» zu konzentrieren. Wie sich nämlich zeigt, sind es oftmals diese kleinen Ursachen, deren Ergründung eine enorme Wirkung entfaltet.
Auch in der Politik wird zuweilen experimentiert – besonders in Krisenzeiten. Ein Beispiel ist die Reaktion der Zentralbanken auf die Finanzkrise, die 2008 die globalen Börsen erschütterte. Politische Experimente unterscheiden sich allerdings grundlegend von akademischen. Sie zielen in der Regel auf die rasche Lösung von Problemen ab und nicht auf die Validierung theoretischer Denkmodelle. Obwohl sie durchaus notwendig sein können, ist der Erkenntnisgewinn in der Regel bescheiden.
Politische Experimente erinnern an die Medizin, wo Ärzte sich mit Patienten mangels wirksamer Therapien auf ein ungetestetes Medikament verständigen. Scheitert die Behandlung, lässt sich der Krankheitsverlauf beim Patienten nicht ergründen. Möglicherweise hätte ein anderer Ansatz zu einem ähnlichen oder sogar einem besseren Resultat geführt. Gleiches gilt im umgekehrten Fall: Konnte das Problem bewältigt werden, wird niemand darüber nachdenken wollen, ob ein alternativer Weg vielleicht zu einem schlechteren Ergebnis geführt hätte.
Getarnte Vorstösse
Eine dritte Variante wirtschaftlicher Experimente schafft weder einen Erkenntnisgewinn, noch löst sie Probleme – sie sind ideologisch motivierter Natur. Das berühmteste – und wohl auch unrühmlichste – Beispiel wurde von seinem Architekten, Leo Trotzki, mit folgenden Worten beschrieben: «Wir […] werden ein in der Geschichte einzigartiges Experiment versuchen. Wir werden eine Macht gründen, die kein anderes Ziel hat, als die Bedürfnisse der Soldaten, Arbeiter und Bauern zu befriedigen.»
Der Ausgang dieses Experiments ist uns allen bestens bekannt: Es mündete im totalen wirtschaftlichen Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Befürworter ideologischer Experimente tarnen ihre Vorstösse oft als politisch notwendig oder wissenschaftlich fundiert. In Tat und Wahrheit liegen ihnen aber keinerlei fundierte Erfolgskriterien zugrunde. Im Gegenteil: Ein Scheitern wird kategorisch negiert. Dafür wird hartnäckig lobbyiert und darauf gepocht, dass ein vermeintliches Problem nur durch einen revolutionären Denkansatz gelöst werden kann.
Grosses Versprechen
Dabei wird ausgeblendet, dass der Ausgang ideologischer Experimente im Wesentlichen auf nicht gestützten Annahmen basiert. Dennoch versprechen die Befürworter einfache Lösungen für komplexe Herausforderungen und suchen für ihre Ideen politische Mehrheiten. Damit kontrastieren ideologisch motivierte Experimente deutlich mit einem fundierten, datengesteuerten Ansatz, der die etablierten Wirtschaftswissenschaften auszeichnet.
In der kürzlich vorgeschlagenen Mikrosteuerinitiative finden sich leider alle Komponenten eines ideologisch gesteuerten Experiments. Die Initianten versprechen Grosses. Sie wollen gleich drei Bundessteuern, die Mehrwertsteuer, die direkte Bundessteuer und die Stempelsteuer, durch das neue Konstrukt ersetzen. Dabei schliessen sie ein Scheitern ihres Experiments von vornherein aus. Wer sich allerdings differenziert mit dem Thema auseinandersetzt, wird erkennen, dass Ideologien nicht über die Realität hinwegzutäuschen vermögen.
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