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17:27 Uhr - 16.09.2014

Das Überangebot am Ölmarkt setzt dem Preis zu

Die Sanktionen gegen Russland werden wohl erst langfristig zu einer Verknappung am Rohölmarkt führen. Kurzfristig ist besonders Chinas Nachfrage relevant.

Die europäische Rohölsorte Brent notierte Anfang Woche auf dem tiefsten Stand seit Juni 2012: Das Fass (159 Liter) kostete nur noch 96 $. Vor drei Monaten hatte der Preis mehr als 115 $ betragen. Seither ist die Angst vor Auswirkungen des Ukrainekonflikts immer weiter in den Hintergrund getreten. Der Ölmarkt trotzt aufkommenden Ängsten vor Angebotsausfällen im Nahen Osten oder in Russland.

Eine einfache Erklärung für den Preisschwund finden die Analysten der Commerzbank (CBK 12.63 0.56%): «Es gibt offensichtlich mehr Verkäufer als Käufer.» Die Nachfrage ist schwach, dagegen steigt das Angebot.

Für ein Überangebot spricht das Preisgefüge am Terminmarkt. Brent notiert im Contango: Der Preis für die prompte Lieferung ist tiefer als für Kontrakte mit späterem Liefertermin. Die Prämie für die baldige Lieferung (in drei Monaten) liegt bei mehr als 2 $. Im Juni hatte der prompte Termin noch 1 $ weniger gekostet.

zoomAls wichtige Variable für die weltweite Ölnachfrage wird Chinas wirtschaftliche Verfassung gesehen. Das Land ist nach den USA der zweitgrösste Ölverbraucher der Welt.  Die letzten Konjunkturdaten aus China sind enttäuschend: Die Industrieproduktion ist so langsam gewachsen wie seit 2008 nicht mehr.

Den Angebotsüberhang am Ölmarkt haben vergangene Woche mehrere Organisationen bestätigt: «Berichte des Ölkartells Opec, der Internationalen Energieagentur und der US Energy Information Administration zeigen alle auf ein steigendes Angebot und einen langsameren Anstieg der Nachfrage», erklärt Rohstoffanalyst Ole Hansen von Saxo Bank.

Warnung vor Sanktionseffekt

Über die nächsten Jahre könnten die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland jedoch zu höheren Ölpreisen führen, meint Tony Hayward, ehemaliger CEO von BP. In einem Interview mit der «Financial Times» erklärte er: «Die Welt wiegt sich in einem falschen Sicherheitsgefühl durch die Vorgänge in den USA.» Ohne die Förderung von Schieferöl läge der Brent-Preis über 150 $ je Fass.

Die Sanktionen gefährden nach Haywards Meinung etwa Joint Ventures der staatlich kontrollierten Ölgesellschaft Rosneft (ROSN 6.203 2.28%) mit westlichen Unternehmen. Das könnte die geplante Förderung aus dem arktischen Meer und aus Schieferbeständen in Sibirien aufhalten.

Doch paradoxerweise könnten die Sanktionen kurz- bis mittelfristig zu einem niedrigeren Ölpreis führen, erklären die Analysten der Commerzbank. Die Sanktionen schadeten Russlands Konjunktur und damit der dortigen Ölnachfrage. Russland ist der fünftgrösste Ölkonsument der Welt. Bleibt der Preis niedrig, bringt das den Staatshaushalt und damit die Wirtschaft des Landes noch stärker in Bedrängnis. Der Staat finanziert sich zu 40% aus Öleinnahmen, und es wurde mit einem Ölpreis von 104 $ budgetiert.

Schwache Hoffnungen

Kurzfristig gibt es zwei Hoffnungsträger für eine höhere Ölnachfrage. Erstens könnte die chinesische Regierung gegen das schleppende Wachstum mit einem neuen Stimuluspaket vorgehen. Doch ein grosses Konjunkturpaket ist unwahrscheinlich. Premier Li Keqiang hat vergangene Woche bekanntgegeben, auch mit einem Wirtschaftswachstum zufrieden zu sein, das «etwas höher oder niedriger» als das Ziel von 7,5% ausfalle.

Zweitens könnten die Opec-Länder mit einer sinkenden Fördermenge versuchen, den Ölpreis zu stützen. Saudi-Arabien hat es schon vorgemacht: Dort wurde die tägliche Förderung im August um 400 000 Fass gesenkt. Doch Vertreter von Opec-Mitgliedländern der Golfregion haben gegenüber Reuters erklärt, dass eine Aktion des Ölkartells erst anstehe, wenn der Preis für Brent unter 85 $ je Fass falle.

zoomDer Ölmarkt ist durch das aktuelle Überangebot und die Schwächezeichen der chinesischen Wirtschaft geprägt. Weder die Unruhen im Irak noch der schwelende Krieg im Osten der Ukraine scheinen bald zu Angebotsengpässen führen zu können. Ohne ein überraschend starkes globales Wirtschaftswachstum könnte der Ölpreis also weiter fallen.

Dollar drückt RohstoffpreiseDie Aufwertung des Dollars ist in vollem Gang. Der Wechselkurs zum Euro notierte vergangene Woche unter 1.29 $/€. So stark war die US-Valuta gegenüber der Gemeinschaftswährung seit über einem Jahr nicht mehr. Grund ist die wachsende Zuversicht, dass in den USA die Zinsen im nächsten Jahr erhöht werden, wogegen die Europäische Zentralbank in den Startlöchern steht für ein neues Anleihenkaufprogramm zur geldpolitischen Lockerung.

Ein starker Dollar drückt typischerweise die Rohstoffpreise. Tatsächlich sinken seit Ende April dieses Jahres die Rohwarenpreise insgesamt, während der Dollar sich aufwertet. Der Bloomberg Commodity Index – ehemals Dow Jones UBS Commodity Index – notiert nun gar auf einem so tiefen Niveau wie zuletzt im Juli 2009. Der Rohwarenindex hat seit Mai 13% eingebüsst. Der Dollar hat gegenüber dem Euro fast 7% an Wert gewonnen. Die einfache Erklärung für dieses Verhalten: Erstarkt der Dollar, werden die in Dollar gehandelten Rohstoffe für Käufer in Ländern ausserhalb der USA teurer. Dadurch sinkt die Nachfrage aus diesen Ländern, was den Preis für Rohwaren wiederum nach unten drückt.

Eine andere Erklärung für die entgegengesetzte Richtung von Rohstoffpreisen und Dollarkurs hat die Rolle der Finanzinvestoren im Fokus. Der emeritierte Stanford-Professor Ronald McKinnon betrachtete in einem Aufsatz von 2011 die US-Notenbank Fed als «Antrieb für die weltweite Inflation». McKinnons Logik: Wenn das Fed eine lockere Geldpolitik fährt, wertet sich der Dollar ab. In Erwartung einer weiteren Abwertung fliesst Kapital aus den USA ab. Andere Länder folgen der lockeren US-Geldpolitik, um ihre Währungen nicht aufwerten zu lassen. Dies führt zur Erwartung einer globalen Inflation. Deshalb fliesst Kapital in die internationalen Rohstoffmärkte, denn dort können sich Investoren am schnellsten gegen höhere Warenpreise absichern.

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