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16:20 Uhr - 28.04.2015

«Aktien überteuert, aber noch keine Blase»

Jeremy Grantham, Mitgründer des Vermögensverwalters GMO, rechnet mit weiter steigenden Kursen, solange die Notenbanken ihren Kurs beibehalten.

Der Value-Anleger Jeremy Grantham ist eine gewichtige Stimme an den Finanzmärkten. Laut dem Mitgründer des Bostoner Vermögensverwalters GMO sind sämtliche Anlageklassen überbewertet. Gleichwohl empfiehlt er nur ein geringfügiges Untergewicht in Aktien. Ihre Preise dürften weiter in die Höhe getrieben werden, solange das Fed an seiner lockeren Geldpolitik festhält.

Zur PersonJeremy Grantham ist seit über vierzig Jahren im Anlagegeschäft tätig und zählt zu den angesehensten Investoren der USA. Der gebürtige Brite – er stammt aus Yorkshire – ist Chairman und Mitgründer des in Boston ansässigen Vermögensverwalters GMO. Das G in GMO steht für seinen Namen. Heute verwaltet die Gesellschaft knapp 120 Mrd. $ für institutionelle Kunden. Granthams im Quartalsrhythmus erscheinenden, oft vom Mainstream abweichenden Marktbetrachtungen zählen für Value-Investoren zur Pflichtlektüre. Herr Grantham, befindet sich der US-Aktienmarkt in einer Spekulationsblase?
Nein. Wir verwenden eine ganz pragmatische Definition einer Blase, die nur auf dem Preis einer Anlage und den Kursschwankungen basiert. Weicht der um die Inflation bereinigte Preis um zwei Standardabweichungen vom langfristigen Trend ab, sprechen wir von einer Spekulationsblase. So weit ist es erst, wenn der S&P 500 über 2250 klettert. Aktuell notiert er bei rund 2100 Punkten, es fehlen also noch etwa 7%.

Was sagen die Bewertungen?
Die beiden besten Bewertungskennzahlen sind wahrscheinlich das Tobin’s Q – also der Aktienkurs relativ zu den Wiederbeschaffungskosten aller Vermögenswerte – und das Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis. Sie liegen bei rund 1,5 und 1,7 Standardabweichungen. Es fehlen also noch rund 10%, bis eine Blase angezeigt wird.

Aber der Markt ist bereits teuer…
Überteuert, aber keine Blase. Die US-Notenbank Fed spielt seit 1987, als Alan Greenspan den Vorsitz übernommen hatte, ein Spiel. Ihre fixe Idee ist es, die Zinsen niedrig zu halten, um einen Vermögenseffekt zu erzielen. Dem Fed ist es egal, dass dabei jedes Mal eine Blase entsteht. Die aktuelle Fed-Chefin Janet Yellen ist sogar stolz darauf, dass das Fed den Aktienmarkt in die Höhe getrieben hat. Das habe der Wirtschaft geholfen. Sie erwähnt aber nicht, dass ein negativer Vermögenseffekt entsteht, der der Wirtschaft schadet, wenn sich die Preise normalisieren. Das Fed spielt immer das gleiche Spiel. Warum sollte es also diesmal aufhören, bevor es eine weitere riesige Blase aufgepumpt hat?

Demnach folgt kein baldiger Zinsschritt?
Es wird eine riesige Geschichte um den ersten Zinsschritt gemacht. Die Zinsen von «nichts» auf «etwas» anheben soll alle in Hysterie versetzen? Vielleicht für eine Woche oder zwei. Meine Einschätzung ist, dass sich der Markt danach beruhigen und realisieren wird, dass die Welt nicht untergeht. Und die Kurse werden neue Höchst erreichen.

Was wären Anzeichen einer Blase?
Eine Fülle an Fusionen und Übernahmen oder ein paar richtig verrückte Ereignisse im Markt: Sie erwachen, und der Nasdaq bricht am Morgen um 12% ein. Das geschah im März 2000. Am Nachmittag holte er den Verlust auf. Oder Sie lesen zum Beispiel, dass das Land unter dem Kaiserpalast in Tokio gleich viel wert ist wie ganz Kalifornien. Wenn Sie solches beobachten, gilt es, vorsichtig zu werden. Normalerweise geschehen in einer Blase sehr merkwürdige Dinge. Aber momentan sehen wir das nicht.

Gibt es weitere Hinweise?
Die Psychologie: Im Jahr 2000 wurden wir angeschrien wegen Internetaktien, alle unsere Kunden glaubten an eine neue Ära kräftigen Wachstums und hoher Profite. Das beobachten wir heute nicht. Auch die breite Masse der Anleger stürzt sich nicht auf Aktien. Sie ist zwar zuversichtlich gestimmt, investiert ihr Geld aber nicht entsprechend. Es hat sich noch nie eine Blase in den USA entwickelt, in der Kleinanleger ihr Geld nicht in den Aktienmarkt warfen. Wir verzeichnen noch nicht genügend Euphorie, nicht genügend Verrücktheit im Markt – die meisten grossen Bullenmärkte haben etwas total Verrücktes –, und die Preise stimmen noch nicht mit historischen Blasen überein.

Wie lange wird die Hausse noch anhalten?
Mein Gefühl sagt mir, dass die Märkte bis Ende Oktober weitersteigen werden. Dann erreichen wir das Ende des dritten Jahres im Präsidentschaftszyklus. Immer, wenn das Fed in der Vergangenheit die Wirtschaft stimulierte, geschah das im dritten Jahr, um die Wahlen im vierten Jahr zu unterstützen. Deshalb ist meine persönliche Meinung, dass der Bullenmarkt noch nicht vorbei ist. Der Markt wird bis mindestens Oktober haussieren, wahrscheinlich bis zu den Wahlen. Dann ist ein guter Zeitpunkt, vorsichtiger zu werden.

Wie hoch wird der S&P 500 (SP500 2099.14 -0.46%) steigen?
Auf 2250 Punkte.

Und dann rufen Sie den Blasenalarm aus?
Dann rufe ich den Blasenalarm aus und werde mich sehr defensiv positionieren. Und – basierend auf den Erfahrungen in der Vergangenheit – leiden, da der Markt noch weiter steigen wird.

Sie halten den Aktienmarkt also für überteuert, bleiben aber investiert, weil Sie überzeugt sind, rechtzeitig aussteigen zu können. Ist das nicht «Greater Fool Investing»?
Nein, ich brauche keine «grösseren Idioten», die auch noch auf den Zug aufspringen. Ich spiele das Fed-Spiel. Über die vergangenen Zyklen habe ich die US-Notenbank studiert. Sie versucht ständig, die Wirtschaft zu beeinflussen. Das Fed hat zwar enormen Einfluss auf die Vermögenspreise, aber nur einen sehr geringen auf die Realwirtschaft.

Und auf den Aktienmarkt?
Der Aktienmarkt ist eine andere Angelegenheit. Sehr sensibel, an der Grenze zur Hysterie, reagiert er auf jeden Wortlaut des Fed. Und er reagiert auf Zinsänderungen. Und wenn die Zinsen genügend niedrig sind, werden die Anleger verzweifelt. So verzweifelt, dass sie mehr Risiken eingehen, um etwas mehr Rendite zu erzielen.

Sehen Sie ausserhalb der USA Spekulationsblasen?
Nein.

Auch nicht am Anleihenmarkt?
Der Anleihenmarkt ist üblicherweise nicht von Euphorie getrieben wie Aktien oder Rohstoffe. Warum investiert jemand in Bonds mit einer Rendite von –0,2%?

Weil er gezwungen ist?
Genau, weil er gezwungen ist und keine Alternativen hat. Die Renditen sind zwar entsetzlich tief, und sie schmerzen, aber das ist keine Blase. Anleihen werden nicht durch klassisches Blasenverhalten nach oben getrieben. Niemand sagt: «Mein Gott, diese Anleihen sind wunderbar! Diese Anleihen wachsen wie Unkraut!» So aber funktioniert eine Blase.

Sie sagen, dass heute keine Euphorie herrscht. Woran liegt es?
Der Markt ist nicht dumm. Er sieht, was in Griechenland und in der Ukraine passiert.

Ist das die «Mauer der Sorgen»?
Korrekt. Sorgen, wo man hinschaut. Und zu Recht. Als ob das nicht genug wäre, hatten wir zudem einen Anstieg des Dollars von 25%. Und plötzlich geraten die Gewinne der US-Unternehmen unter Druck. Dieser Druck wird ein Jahr lang anhalten, dann wird der Währungseffekt nicht mehr wirken. Die Gewinne werden wieder anziehen und uns eine schöne Schlussrally bescheren. Aber das ist es, was es braucht. Und diese Schlussrally könnte länger dauern, als wir denken.

Wird, wie in der Vergangenheit, eine restriktive Zinspolitik zur Korrektur führen?
Nein. Wenn die Preise einer Anlage genügend hoch steigen, kann der Markt einbrechen, auch wenn das Fed auf seiner Seite ist. Trotz aller Hilfe des Fed brachen die US-Aktienkurse im Jahr 2000 um 50% ein. Der Nasdaq verlor 82%. Und obwohl das Fed alles Erdenkliche unternahm, platzte die US-Immobilienblase. In einer richtigen Blase ist auch das Fed machtlos.

Wie wird das alles enden?
Dies wird ein einmaliges Ereignis sein. Und wenn man mit einmaligen Ereignissen konfrontiert ist, gibt es keine guten Geschichtsbücher. Was sind die Konsequenzen? Ich weiss es nicht. Wenn Sie entscheiden müssten, wer die Konsequenzen des nächsten Crashs zu tragen hätte – Notenbanken, Private, die Banken oder andere Unternehmen –, würden nicht auch Sie das Fed oder die EZB wählen? Und hoffen, dass sie sie irgendwie tragen könnten, indem sie ihre Bilanzen von «schrecklich» auf «viel schlechter» aufblähen?

Kann man sich gar nicht schützen?
Sie können Ihre Bargeldquote erhöhen und absolut keine Rendite erzielen. Und wenn wir in vier Jahren noch immer weiterwursteln, wird das sehr schmerzhaft sein. Sie werden Kaufkraft verloren und während dieser Zeit keine Rendite erzielt haben. Es könnte sich herausstellen, dass das die am wenigsten schlechte Strategie war, aber es könnte auch sehr schlecht gewesen sein.

Kann es sein, dass die Bewertung des US-Aktienmarktes vor 1987 irrelevant ist, weil das Fed die Bewertungen dauerhaft auf ein höheres Niveau gehoben hat?
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis in der Greenspan-Bernanke-Yellen-Ära, die nun seit rund dreissig Jahren anhält, lag um rund 60% höher als in den achtzig Jahren davor. Und das heisst, die künftigen Renditen werden viel schmaler ausfallen. In der Greenspan-Bernanke-Yellen-Ära wurde der  Prozess der Rückkehr zum Mittelwert bei der Bewertung und bei den Margen gebremst.

Nur gebremst oder gestoppt? Anders gefragt: Gab es einen Paradigmenwechsel?
Vielleicht ist es besser, die Situation einen Regimewechsel zu nennen. In ein, zwei Jahren, nach dem dritten Crash, werden die Leute womöglich genug haben von diesem Wahnsinn, und es wird ein Notenbankchef ernannt – vielleicht durch die Republikaner, die das Fed hassen –, der an eine altmodischere Welt, an Austerität und die Österreichische Schule der Volkswirtschaftslehre glaubt. Und schon haben wir ein neues Regime, das dem alten Regime vor 1987 gleicht und weniger dem Bernanke-Regime. Mit etwas Glück wird Janet Yellen in zwei Jahren nicht mehr bestätigt, und wir werden einen neuen Paul Volcker erleben. Das wäre grossartig. Aber der Aktienmarkt würde wohl sehr heftig reagieren und einbrechen.

Gab es, dank US-Schieferöl und -gas, auch beim Erdöl einen Regimewechsel?
Wir leben in einem schmalen Zeitfenster mit im historischen Vergleich sehr hohen Wachstumsraten, die unmöglich aufrechterhalten werden können und die komplett von fossilen Energieträgern abhängig sind. Und diese Periode extrem tiefer Energiekosten ist vorüber. Seit 2000 sind die Förderkosten von rund 16 $ pro Fass jedes Jahr um 10% gestiegen auf heute plus/minus 75 $. Das temporär grössere Angebot an Schieferöl in den USA ist lediglich ein Ablenkungsmanöver: Hydraulic Fracturing, Fracking, eine Methode zur Gewinnung von unkonventionellen Öl- und Gasvorräten, liefert kein nachhaltig grosses Ölangebot in den USA.

Fracking ist also nur ein temporäres Phänomen?
Wenn die Bären recht haben, deckt Fracking rund eineinhalb Jahre der globalen Nachfrage ab, wenn die Bullen richtigliegen, sind es zweieinhalb Jahre. Die Fantasten reden von drei Jahren. Meine Antwort darauf ist: Wen interessiert das in dreissig Jahren? Es wird sein, als ob Fracking nie stattgefunden hätte. Das ist nicht wie in Saudi-Arabien, wo noch immer Öl aus Bohrlöchern von 1945 gepumpt wird. Beim Fracking sind die Reserven extrem schnell erschöpft: Oftmals werden im ersten Jahr bis zu 65% des Öls gefördert. Mittelfristig wird der Ölpreis also wieder steigen.

Sollten wir demnach in Energieaktien investieren?
Nein. Die Aussicht auf höhere Ölpreise ist zwar vorderhand verlockend. Aber es gibt zwei Möglichkeiten für einen höheren Preis. 1972 stiegen die Preise, während die Förderkosten stabil blieben, und die Saudis verdienten ein Vermögen. Diesmal aber sind die Kosten gestiegen. Wenn also der Preis zur Gewinnung von einem Fass Öl von 16 auf 100 $ steigt, ist ein steigender Ölpreis nicht zwingend positiv für Ölkonzerne. Die Ölindustrie befindet sich in der Endphase – ihre günstigen Vorräte gehen zur Neige. 2005 gaben die grossen Ölfirmen 50 Mrd. $ für Exploration aus, und im Jahr 2014 gaben sie bereits 250 Mrd. aus, fanden aber nicht mehr Öl als 2005. Kennen Sie irgendeine andere Industrie, wo Ähnliches geschah? Sie verfünffachen ihren Aufwand, um Öl zu finden, aber sie finden nicht mehr davon. Das ist zum Verzweifeln. Jedes Jahr werden die Ölfelder kleiner, muss das Öl in tieferen Schichten und in härterem Gestein gesucht werden. Das ist nicht gut für Ölunternehmen.

Fracking ist also bloss vorübergehend, und dann…
Und dann wird sich der Ölpreis wieder an den steigenden Grenzkosten orientieren, die zur Gewinnung von einem Fass Öl aufgewendet werden müssen. Das ist schlecht für das Wirtschaftswachstum.

Wann wird der Ölpreise wieder steigen?
Fracking ist ziemlich komplex, und ich könnte unterschätzt haben, wie lange der Trend anhält. Ich dachte, zwei Jahre, aber es könnten auch drei oder vier sein, bis wir uns wieder im alten Regime befinden. Aber das heisst nicht, dass der Ölpreis dann sofort wieder auf 100 $ springt. Das könnte nochmals ein, zwei Jahre dauern. Aber in den nächsten zwei bis sieben Jahren wird Öl wieder auf 100 $ notieren.

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