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12:13 Uhr - 24.04.2015

Reichmuth-CEO: «Im Private Banking beginnt eine neue Zeit»

Für Christof Reichmuth, CEO der Privatbankiers Reichmuth, sind Steuerstreit, automatischer Informationsaustausch und Regulierungsdruck Themen von gestern. «Jetzt gilt es, nach vorn zu schauen», sagt er im Inteview mit der Fuw.

Steuerstreit, die Aufarbeitung der Finanzkrise und die neuen Finanzgesetze haben den Vermögensverwaltungssektor in der Schweiz lange Zeit gelähmt. Auch wenn die Konsolidierung in der Branche ihren Höhepunkt noch vor sich habe, sei mit der grossen Ungewissheit und Unsicherheit Schluss.

«Wir wissen, was auf uns zukommt und was zu tun ist», sagt Christof Reichmuth, CEO und unbeschränkt haftender Teilhaber der Privatbankiers Reichmuth in Luzern. Fintech, die Digitalisierung im Bankkundengeschäft, ist für ihn ein starkes Zeichen, dass man sich wieder der Zukunft zuwendet. Auch den Regulator sieht er pragmatischer werden.

An den Finanzmärkten hält er den Negativzins mit seinen Folgen für die grosse Unbekannte.

Zur PersonReichmuth ist die jüngste der sieben Schweizer Privatbanken und ist als Kommanditaktiengesellschaft mit den drei unbeschränkt haftenden Gesellschaftern Karl Reichmuth, Christof Reichmuth und Jürg Staub organisiert. 1996 gegründet, beschäftigt die Bank einschliesslich der Gruppengesellschaft PensExpert rund neunzig Mitarbeiter. Mit mehr als 200 Mio. Fr. verfügt sie über stattliche Eigenmittel.

Christof Reichmuth (47) gehört mit Vater Karl zu den Gründungsmitgliedern und ist CEO der Gruppe. Er schloss ein Wirtschaftsstudium an der Universität St. Gallen ab und besitzt den Titel eines Chartered Financial Analyst, CFA. Praktika führten ihn unter anderem zu CSFB in London.

Christof Reichmuth ist verheiratet und Vater von vier Kindern.
Herr Reichmuth, sieben Jahre nach der Finanzkrise sind die Vermögensverluste wettgemacht. Gerade die Börsen haben die kühnsten Erwartungen übertroffen. Hat das Private Banking wieder goldenen Boden?
Es läuft tatsächlich nicht schlecht, mit der Marktentwicklung sind wir zufrieden, auch wenn man die Erholung an den Finanzmärkten differenziert betrachten muss. Die Obligationen- und teils auch die Aktienhausse ist der Notenbankpolitik geschuldet, den historisch einmalig niedrigen Zinsen. Die Märkte sind aufgeblasen, und die Vermögenspreise sind ziemlich hoch geworden. Also sorgenfrei, wenn Sie das meinen, sind wir nicht.

Auf der Website von Reichmuth steht explizit: Es ist unser Ziel, die Finanzmärkte zu verstehen. Versteht man sie noch in Anbetracht der Liquiditätsflut und der Verzerrungen, die dadurch entstanden sind?
Was man mit Bestimmtheit sagen kann: Die Zinskurve ist völlig verzerrt, um nicht zu sagen, die Märkte sind manipuliert. Hat man je mit solcher Akribie Pressekonferenzen von Notenbanken verfolgt wie heute? Die Notenbanken sind die Hauptakteure dessen, was am Finanzmarkt geschieht. Kann man sie, kann man die Märkte verstehen? Im Nachhinein ganz sicher, aber positionieren muss man sich für die Zukunft. Und da stellen sich Probleme, die schwer zu lösen sind. Darüber sieht man an den Märkten gerne hinweg.

Woran denken Sie – thematisch, geografisch?
An Euroland, wo die Europäische Zentralbank mit dem kraftvollen Anleihenkaufprogramm Zeit gekauft hat, damit strukturelle Reformen vorangetrieben werden können und die Überschuldung zurückkommt. Achtzehn Monate läuft das Programm, doch schon nach neun bis zwölf Monaten wird man sich wieder fragen, was nachher kommt. In den USA scheint es, als würde die Normalisierung gelingen. Bei Europa bin ich skeptisch.

Ein Schrecken ohne Ende?
Es sieht fast danach aus. Im Grunde wissen wir alle, was zu tun ist. Wenn eine Privatperson oder ein Privatunternehmen überschuldet ist, muss man die Bilanz sanieren und kann sich dann wieder auf die Erfolgsrechnung konzentrieren. Bei Staaten ist es umgekehrt. Wo man hinschaut, ist heute schon fast akzeptiert, dass man Geld von den Reichen und auch vom Mittelstand holt, über höhere Steuern, über Inflation, die man anzukurbeln versucht.

Was bedeutet das für die Schweiz, kann und will sich unser Land dem entziehen?
Entziehen ist schwierig, bei allen Vorzügen, die die Schweiz nach wie vor auszeichnen. Sie ist zum Spielball von dem geworden, was in Europa passiert. Der Handlungsspielraum wird immer kleiner, wobei die Wahlresultate in diesem Jahr immerhin darauf hindeuten, dass ein gewisses Umdenken stattfindet, dass man bereit ist, der Wirtschaft wieder Sorge zu tragen. Aber der Handlungsspielraum der Schweiz ist ganz klar kleiner geworden, auch für Anleger. Bei Frankenobligationen mit Null- oder Negativrendite gibt es als Alternative fast nur noch Aktien, mit dem Resultat, dass wir uns – auch global – an den Aktienmärkten in einer Blasenbildung befinden.

Den Unternehmen geht’s gut wie noch selten, und verglichen mit Obligationen weisen Aktien noch immer eine hohe Risikoprämie auf. Wie weit ist die Blase, von der Sie sprechen, schon gediehen?
Nehmen wir den SMI (SMI 9360.51 0.24%). Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20 und auch eine durchschnittliche Dividendenrendite von 3%, auf die sich Anleger gegenwärtig fokussieren, sind keineswegs niedrig, sicher nicht im historischen Vergleich. Ist es gerechtfertigt, Investoren in Aktienrisiken zu drängen oder in Fremdwährungsrisiken, wie es die Nationalbank gerne sähe, um den Franken zu schwächen? Im Null- oder Negativzinsumfeld ist eine realistische Bewertung kaum noch möglich.

Macht Reichmuth die Aktienwelle mit? Kann sich ein Vermögensverwalter ein Abseitsstehen überhaupt leisten?
Der Entscheid ist immer der gleiche: Will man dumm aussehen, bevor eine Blase platzt, oder nachher? Im Normalfall halten wir uns bei einer Blasenbildung zurück. Aber jetzt, wo Cash und Obligationen praktisch Geld vernichten, halten wir an einer relativ hohen Aktienquote fest, planen sie jedoch gegen eine Trendwende teilweise mit Optionen abzusichern.

Wann kehrt der Trend? Und muss es gleich zum Absturz kommen?
In den USA läuft die Wirtschaft wie gesagt zufriedenstellend, und mit der kräftigen quantitativen Lockerung hat die EZB viel Zeit gekauft. Es könnte diesmal bis zum Umschwung also viel länger dauern als in früheren Zyklen.  Falls die Regierungen im Euroland jetzt noch die richtigen Massnahmen treffen, endet das Ganze in Minne. Das ist das optimistische Szenario.

Sie scheinen nicht daran zu glauben. Was ist Ihr Szenario?
Wir müssen uns nichts vormachen. Was die Notenbanken tun, ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Geld verdienen war schon immer harte Arbeit, während jetzt Geld mieten fast gratis geworden ist. Auch der Euro hat nicht zu unterschätzende Verzerrungen zur Folge. Stellen wir uns vor, was passierte, würde Griechenland aus dem Euro austreten, und ein bis zwei Jahre später ginge es den Griechen besser als heute. Plötzlich sähen andere südeuropäische Länder eine Alternative. Ich sage nicht, dass es so weit kommen wird. Aber man sollte sich ob all der Bruchstellen nicht in Sicherheit wiegen.

Was hat in diesem Umfeld Priorität: Kapitalvermehrung oder -erhalt?
Unsere Kunden sind grossmehrheitlich Familien, Unternehmer, die langfristig denken. Und die grosse Herausforderung bei der Vermögensverwaltung ist: Wie kann man den monetären Ausnahmezustand, den Staatsschuldenberg und die vielfach leeren Versprechen der Regierungen schadlos überstehen? Für uns steht zurzeit ganz klar der Werterhalt im Vordergrund.

Wie drückt sich das in der Anlagestrategie aus, neben dem Aktienteil, den Sie absichern?
Wir sind ein aktiver Investor, der sich eigene Meinungen leistet und sie auch kommuniziert. Die Portfolios sind breit abgestützt, ausser Aktien und Obligationen gehören Immobilieninvestments dazu und alternative Anlagen: Edelmetalle, ausgewählte Hedge Funds und als Spezialität Infrastrukturanlagen in den Bereichen Verkehr, Versorgung und Entsorgung. Unsere Beteiligungsgesellschaft Inroll zum Beispiel ist im Eisenbahn-Güterverkehr engagiert. Dann haben wir uns jüngst an einem Fernwärmeprojekt beteiligt – alles Cashflow-Strategien mit kalkulierbarem Risiko. Die Strategie ist ganz klar Kapitalerhalt und in zweiter Linie Kapitalvermehrung.

Was halten Sie von Banken, die Mehrwert als oberstes Ziel kommunizieren?
Ich finde es in jeder Branche gut, wenn es ganz unterschiedliche Anbieter gibt. So kann der Kunde gezielt auswählen, was ihm zusagt. Er kommt ja nicht zu uns, weil er meint, wir besässen die berühmte Kristallkugel, sondern weil er ähnlich denkt – eher staatskritisch, liberal und eigenverantwortlich – und unsere Leistung schätzt. Das Allerwichtigste für einen Vermögensverwalter ist eine gut fundierte Anlagestrategie, und dass er sich streng daran hält. Alles andere ist verlorene Mühe.

Reichmuth ist eine der letzten Privatbanken der Schweiz, bei denen die Gesellschafter unbeschränkt haften. Halten Sie daran fest, und was sind die Vorteile?
Ja, wir halten daran fest. Eine andere Gesellschaftsform steht nicht zur Diskussion. Nicht für das Wertschriftenportfolio, das ist Sondervermögen, aber für das Geld, das der Kunde auf dem Konto hat, haften wir und behandeln es deshalb so, als wäre es unser eigenes. In der Vergangenheit war es risikolos bei der Nationalbank angelegt.

Und jetzt, beim Negativzins, den die Nationalbank den Banken auferlegt?
Entweder zahlt der Kunde den Negativzins, dann ist er unglücklich, oder wir zahlen ihn als Bank, dann sind wir unglücklich. Daher reagierten wir schnell und legten das Geld, das über den Freibetrag bei der SNB (SNBN 1280 -0.78%) hinausgeht, in sicheren Staatsanleihen und anderen hochqualitativen Investments an. Dadurch erhielten wir Zeit und konnten Negativzinsen für unsere Kunden vermeiden. Gleich verhalten sich andere Banken. Sie kaufen erstklassige Anleihen, die noch etwas Rendite abwerfen. Das ist der Grund, weshalb die Zinskurve so verzerrt ist und die Renditen immer tiefer fallen.

Der Negativzins dient dazu, den Franken zu schwächen. Hätte die SNB einen anderen Weg wählen sollen?
Den Königsweg gibt es nicht. Negativzinsen auf Konten von Ausländern wollte man nicht, weil diese Variante in den Siebzigerjahren häufig umgangen wurde. Eine Möglichkeit wäre, den Franken in einem Währungsband zu halten und die Devisenreserven über einen Staatsfonds, wie es Singapur macht, zu bewirtschaften.

Auch wenn die Frage rhetorisch ist: Was hält ein staatskritischer Privatbankier von der verschärften Regulierung?
Für den Regulator habe ich ein gewisses Verständnis. Nach der Finanzkrise fehlte die Erfahrung, wie umzugehen ist mit dieser Situation. Teils in Unkenntnis, teils aber auch, weil man glaubte, reagieren zu müssen, fand eine Art Trial-and-Error-Politik statt. Für die Vermögensverwaltungsbranche war es eine schwierige Zeit, kein klarer Rechtsraum mehr, ungewisse Zukunft, wer wird wofür zur Rechenschaft gezogen? Jetzt ist das Terrain abgesteckt, und das Thema ist mehr oder weniger Vergangenheit.

Wie meinen Sie das?
Ob’s einem gefällt oder nicht – man weiss, was zu tun ist. Die Weissgeldstrategie ist Tatsache, der automatische Informationsaustausch beginnt in einigen Ländern 2016 und ein Jahr später auch in der Schweiz, im Crossborder-Geschäft gelten zwei Rechtsträume, das Kundendomizil und das Domizil des Vermögensverwalters. Sich deswegen gross Gedanken zu machen, lohnt sich kaum, der Blick geht nach vorne. Zudem ist auch der Regulator einsichtiger geworden und reicht Hand zu pragmatischeren Lösungen. Ich bin überzeugt, dass das Pendel bei der Regulierung mit der Zeit zurückschwingen wird.

Die Schweiz hofft mit der Umsetzung von Mifid-kompatibler und teils noch strengerer Regulierung auf den EU-Marktzutritt für Finanzdienstleister. Wie realistisch ist dieses Ziel?
Der Marktzutritt ist absolut wichtig, auch für uns. Rund 30% unseres Geschäfts sind grenzüberschreitend, mit den Zielmärkten Deutschland und Grossbritannien. Nur muss man ebenso sehen, dass global der Trend in Richtung Fragmentierung und Heimatschutz geht. In absehbarer Zukunft ist der EU-Marktzutritt illusorisch. Man kann auf bilaterale Abkommen hoffen. Mit Deutschland wurde vor über einem Jahr ein Freistellungsabkommen ausgehandelt, und wir haben zügig einen Antrag eingereicht. Seither ist er pendent. Also ist auch da kein rascher Fortschritt zu erwarten.

Wie kommt die Konsolidierung im Schweizer Private Banking voran? Wird es eher die grossen oder die kleinen Anbieter treffen?
Wer komplex aufgestellt ist und unter starkem Margendruck steht, sucht den Weg über die Grösse. Der Kleine, mit flexibler Kostenstruktur und fokussiertem Geschäftsmodell, will sich nicht neue Probleme aufbürden. Da ist es eine Frage der Eigentümer, streben sie eine Nachfolgeregelung an oder lassen das Geschäft quasi auslaufen? Das muss jedes Unternehmen für sich beantworten.

Wie verhält sich Reichmuth?
Obwohl wir uns Opportunitäten nicht verschliessen wollen, gehören wir nicht zu denen, die einen aktiven Konsolidierungskurs steuern. In allen drei Sparten, bei den Privatkunden mit der integralen Vermögensverwaltung, im Investmentbereich und bei der individualisierten und eigenverantwortlichen Vorsorge, sehen wir genügend eigene Wachstumschancen. Gerade die private Altersvorsorge bietet viel Potenzial, spätestens dann, wenn einzelne Staaten ihre Rentenversprechen nicht mehr halten können.

Welche Zukunft hat der Private-Banking-Standort Schweiz?
Weil wir uns nicht mehr mit der Vergangenheit, sondern mit der Zukunft beschäftigen können, eine gute. Ein typisches Beispiel für den Blick nach vorn ist Fintech. Wir wissen zwar nicht, ob die Erwartungen an die digitale Revolution im Banking in Erfüllung gehen und wer sich letztlich durchsetzen wird. Aber es bringt die Branche voran.

Kritiker sagen, bei der digitalen Revolution hinke das Banking hinterher. Ist der Impuls so gross?
Den Vorwurf halte ich für falsch. Wann startete der elektronische Aktienhandel in der Schweiz? Vor zwanzig Jahren, im Dezember 1995. Vieles lief seither im Hintergrund ab. Mit der Digitalisierung, den Smartphones, wird die Entwicklung jetzt für alle sichtbar.

Die Branche ist auf gutem Weg.
Vieles der Digitalisierung ist Convenience, für den Alltag gedacht. Ob und wie weit man auch Verlässlichkeit, Vertrauen und Sicherheit digitalisieren kann, weiss ich nicht. Es sind Faktoren, die in der Schweiz nach wie vor hohen Stellenwert geniessen und die mich fürs private Banking und allgemein für die Schweizer Wirtschaft, die noch immer am Widerstand gewachsen ist, zuversichtlich stimmen.

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