Für Michael Clements, Leiter Aktien Europa bei Syz Asset Management, sind Unternehmen mit starkem Schwellenländergeschäft im Vorteil, wie er im Interview mit FuW sagt.
Herr Clements, haben die Finanzmärkte auf das Abstimmungsresultat in Grossbritannien überreagiert?
Michael ClementsDas lässt sich nicht so einfach sagen. Fakt ist aber, dass die Marktreaktion auf das Brexit-Votum stimmungsgetrieben war und wenig mit den Fundamentaldaten zu tun hatte. Denn niemand weiss, was die Folgen des Referendums für die Fundamentaldaten wie Gewinn und Umsatz der Unternehmen sind. Das hängt vor allem davon ab, wie die Verhandlungen der britischen Regierung mit Brüssel gedeihen.
Bieten britische Aktien nach dem Abverkauf eine Einstiegsgelegenheit?
Das ist derzeit die grosse Frage, die unser Team beschäftigt. Sollen wir jetzt britische Titel den Aktien aus Deutschland oder Frankreich vorziehen, oder sind Letztere in einer besseren Ausgangslage? Für beide Ansätze gibt es Argumente. So sind bei den britischen Aktien die schlechten Nachrichten bereits mehr oder weniger in den Preisen enthalten, während über dem kontinentaleuropäischen Aktienmarkt die Ungewissheit über die wirtschaftliche Erholung und die Zukunft der Eurozone schwebt. Andererseits ist es auch vorstellbar, dass die Unsicherheit nach dem Referendum die britische Wirtschaft über Jahre lähmen wird und sich das übrige Europa als stabiler erweist.
Der britische Leitindex FTSE 100 hat in lokaler Währung seit Donnerstag «nur» 5% verloren. Das spricht dagegen, dass die Folgen des Brexit bereits eingepreist sind.
Im FTSE 100 haben Aktien von Unternehmen mit internationalem Geschäft ein hohes Gewicht, nur deshalb ist er relativ stabil geblieben. Viel schlechter hat der Index FTSE 250 mit den kleinen und den mittelgrossen Unternehmen abgeschnitten. Für sie ist der britische Binnenmarkt viel bedeutender. Wenn die Wirtschaft weniger schnell wächst oder in eine Rezession fällt, werden der Umsatz und das Bewertungsniveau zurückgehen. Das Bild ist also sehr differenziert, und es ist schwierig zu sagen, ob der Markt zu heftig oder zu wenig reagiert hat.
Gibt es Einzeltitel, die Ihrer Meinung nach zu Unrecht abgestraft wurden?
Ja, zum Beispiel die der britischen Asset-Manager Aberdeen und Ashmore. Sie sind arg unter die Räder gekommen, obwohl ihr Erfolg massgeblich von den Entwicklungen in den Emerging Marktes abhängt. Auch die Aktien des Schweizer Reisedetailhändlers Dufry (DUFN 112.4 1.81%) haben in zwei Tagen 13% eingebüsst, was meiner Meinung nach übertrieben ist.
Für Dufry ist der Londoner Flughafen Heathrow enorm wichtig.
Ja, aber das Vereinigte Königreich macht trotzdem nur rund 6% des Gesamtgeschäfts aus. Dufry ist global aufgestellt und profitiert von den steigenden Flugpassagierzahlen. Die Valoren Dufry haben aber noch einen ganz anderen Vorteil. Da rund 70% des Duty-Free-Geschäfts auf Kosmetika, Tabak, Alkohol und Luxusgüter entfallen, sind sie ein Ersatz für die völlig überteuerten Aktien aus dem Konsumgütersektor wie L’Oréal (OR 168 3.19%), Henkel (HEN3 106.75 0.85%) oder LVMH (MC 145 -6.69%). Mit Dufry bekommt man Zugang zu diesem Sektor, aber zum halben Preis.
Was ist der besondere Reiz an Asset-Managern wie Aberdeen und Ashmore?
Beide sind auf Anlagen in den Schwellenländern spezialisiert. Das war in den vergangenen drei Jahren eine schwere Hypothek. Jetzt aber, da das Schlimmste in den Emerging Markets vorbei ist, sind sie in einer hervorragenden Ausgangslage. Ein Kursverlust von 15% und mehr in zwei Tagen ist nicht gerechtfertigt.
Allgemein gehört der Finanzsektor zu den grössten Verlierern. Gibt es auch unter Banken unterbewertete Aktien mit Potenzial?
Wir analysieren die Grossbanken nicht systematisch, da sie unsere Qualitätskriterien in der Regel nicht erfüllen. Doch ich kann mir gut vorstellen, dass es in diesem Bereich Opportunitäten gibt. Ein Kandidat sind sicher Svenska Handelsbanken (SHB B 10.87 0%). Sie gehören innerhalb der Finanzbranche zu den Qualitätstiteln, haben aber nach dem Brexit ebenfalls 10% verloren.
Warum stehen denn die Bankaktien dermassen unter Verkaufsdruck?
Die durch das britische Referendumsergebnis erhöhte allgemeine Unsicherheit ist Gift für das Investitionsklima in ganz Europa. Die fallenden Kurse der Banken spiegeln die Sorgen um die Konjunktur und die Erwartung noch länger extrem niedriger Zinsen. In Grossbritannien haben vor allem die binnenmarktorientierten Institute gelitten. Für sie ist der britische Immobilienmarkt das grösste Risiko.
Doch der Bankensektor war schon vor dem Brexit auffällig schwach.
Die Gewinnmargen sind schon länger unter Druck. Die scharfen Kapitalvorschriften führen zu höheren Kosten, und die Tiefzinspolitik untergräbt die Zinsmargen. Anfang Jahr drohte zudem eine Eskalation der Bankenkrise in Italien.
Mit Aberdeen und Ashmore setzen Sie auf bessere Zeiten in den Schwellenländern. Steht dieses Thema auch bei anderen Anlageentscheiden im Vordergrund?
Ja, wir schauen uns derzeit vor allem europäische Unternehmen an, die in den Schwellenländern stark sind. Ein gutes Beispiel ist Aggreko. Das Unternehmen mit Sitz in Glasgow vermietet Grossanlagen zur Stromerzeugung. Es ist in Asien und Lateinamerika sehr erfolgreich. In dieses Schema passen auch Julius Bär (BAER 37.14 1.45%), Swatch Group (UHR 282.3 4.67%) und der Lebensversicherer Prudential (PRU 14.99 -2.66%). Sie alle wachsen in Asien überdurchschnittlich.
Leiden Versicherungen nicht unter den tiefen Zinsen?
Das ist im hiesigen Markt eine grosse Herausforderung. Aber dafür eröffnet sich in den Schwellenländern ein riesiger neuer Markt. Dort sind die staatlichen Fürsorgesysteme weniger gut ausgebaut, und eine rasch wachsende Mittelschicht ist auf private Lösungen angewiesen.
Die meisten Fondsmanager haben sich nach dem verlustreichen 2015 von Energieaktien getrennt. Wie beurteilen Sie diesen gebeutelten Sektor?
Wir sind ein Contrarian-Anleger und haben das niedrige Bewertungsniveau genutzt, um in ausgewählte Aktien aus dem Energiesektor zu investieren. Wir halten zum Beispiel Anteile am norwegischen Öldienstleister TGS-Nopec. Interessant ist auch das Geschäftsmodell von Vopak. Das niederländische Unternehmen ist auf die Lagerung von Erdöl spezialisiert. Wegen des aktuellen Überangebots sind die globalen Rohöllager übervoll. Das füllt die Kassen von Vopak.
Abgesehen von der Unsicherheit rund um den Brexit sind die europäischen Konjunkturaussichten nicht allzu schlecht. Welche Aktien spüren die Erholung am ehesten?
Acht Jahre nach der Finanzkrise hat die Erholung auch den Bausektor erreicht. Jetzt werden wieder Bürogebäude gebaut. Mit dem zunehmend zuversichtlichen Ausblick für die europäische Baubranche seit Jahresbeginn erhalten die Aktien von Elektrotechnikunternehmen wie Legrand, Schneider Electric (SU 50.94 2.44%) oder Rexel Rückenwind. Ihre Produkte und Dienstleistungen kommen vor allem in der Endphase der Bauarbeiten zum Einsatz.
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