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07:16 Uhr - 15.02.2017

«Das System kann rasch unter Stress geraten»

Anat Admati, Finanzprofessorin der Universität Stanford, warnt davor, dass Grossbanken anfällig bleiben, und fordert dickere Eigenkapitalpolster für die Branche.

Seit der Finanzkrise tobt ein Kampf um die Sicherheit von Grossbanken. Kolosse wie J. P. Morgan, Barclays (BARC 235.25 1.14%) und UBS (UBSG 15.94 0.31%) behaupten, sie seien heute viel besser gegen einen Sturm gewappnet als vor zehn Jahren. Anat Admati ist anderer Meinung. «Dass sich Banken so vehement gegen strengere Eigenkapitalauflagen wehren, ist ein Zeichen ihrer Schwäche», sagt die renommierte Finanzprofessorin aus Kalifornien. Entsprechend skeptisch ist sie, was die von US-Präsident Trump beabsichtige Lockerung der Finanzregulation betrifft. Das System sei nach wie vor anfällig, warnt Admati, wobei sie auch auf die Gefahr von Hackerangriffen hinweist.

Frau Professor Admati, inzwischen sind es zehn Jahre her, seit im US-Häusermarkt erste Warnsignale aufblinkten. Wie sicher sind Grossbanken heute?
Nicht viel sicherer. Das Finanzsystem kann auch heute rasch unter Stress geraten. Die Häuserpreise in den USA haben sich zwar erholt, und ich weiss nicht, wie viele faule Hypotheken derzeit vergeben werden. Klar ist aber, dass im globalen Finanzsystem massenweise schlechte Kredite lagern. Die nächste Krise kann daher aus einem Bereich kommen, an den wir derzeit gar nicht denken.

Wo besteht denn die grössten Gefahr?
Möglich ist ein Schock aus China. Zudem gibt es erhebliche Risiken, was Cyberattacken betrifft. Die Banken wollen uns Glauben machen, dass sie gegen Hackerangriffe gewappnet sind. Doch wer weiss schon, wie viele Vorfälle überhaupt an die Öffentlichkeit kommen. Der Finanzsektor ist global vernetzt, weshalb es im Kampf gegen Internetverbrechen internationale Zusammenarbeit braucht. Obwohl es hier Kooperationen gibt, ist das System mit Ländern verbunden, in denen kriminelle Kräfte nicht gut kontrolliert werden. Das zeigt etwa der digitale Bankraub, mit dem beinahe 1 Mrd. $ bei der Zentralbank von Bangladesch entwendet worden wären.

Das klingt alarmierend.
Weil das System so fragil und intransparent ist, braucht es wenig, um eine Krise auszulösen. Viele Banken sind nach wie vor schwer verschuldet, und es stehen enorme Volumen an Derivaten mit versteckten Verpflichtungen aus, die sich unter Stress schwierig entflechten lassen.

Gerade in den USA haben die grössten Banken ihr Eigenkapital seit der Krise aber ausgebaut.
Den Zahlen, die man uns präsentiert, traue ich nicht. Sie geben  ein falsches Gefühl der Sicherheit – genau wie damals vor dem Immobiliencrash. Die Berechnung von risikogewichteten Kernkapitalquoten basiert auf vielen Details. Betrachtet man beispielsweise, wie sich solche Kennzahlen in den Jahren 2008/09 bei den grössten US-Banken entwickelten, lässt sich nicht einmal erkennen, dass sich die grösste Krise seit den Dreissigerjahren ereignete.

Wie erklären Sie sich das?
Das Gewichten von Risiken ist problematisch, weil die Banken sie mit internen Modellen, geschönten Kreditratings und Positionen ausserhalb der Bilanz manipulieren können. Zudem werden Anreize verzerrt. In Europa etwa stuften die Regulatoren Kredite an Griechenland als risikolos ein. Deutsche, französische und anfänglich auch Schweizer Banken investierten daher massiv in griechische Staatsanleihen und konnten Verluste auf diesen Papieren dann nicht absorbieren, als Griechenland vor dem Zahlungsausfall stand.

Wie viel Eigenkapital sollten Banken halten?
So viel, dass wir uns keine Sorgen mehr machen müssen, wenn die Märkte in Turbulenzen geraten. Ich denke an 20% bis 30%, was in den meisten anderen Branchen das Minimum ist. Dass sich die Banken so vehement gegen strengere Eigenkapitalauflagen wehren, ist ein Zeichen ihrer Schwäche. So verhalten sich typischerweise Zombie-Unternehmen, die sich am Rand des Konkurses bewegen oder bereits insolvent sind.

Von solchen Standards sind wir weit entfernt. US-Präsident Trump will das regulatorische Umfeld jetzt sogar lockern, weil die Banken zu wenig Kredite sprechen würden.
Das lässt sich mit Fakten widerlegen und ist blanker Unsinn.

Weshalb?
Auflagen zum Eigenkapital schreiben den Banken nicht vor, was sie mit ihrem Geld machen müssen. Sie bestimmen nur, wie gross der Anteil ihres Geschäfts sein darf, der fremdfinanziert ist. Wem sie Kredit geben, entscheiden sie selbst. Auch schütten sie Dividenden aus und sind in allen möglichen Bereichen aktiv. Letztlich können wir nur hoffen, dass sie gute Entscheide treffen und keine Fehler machen, zumal Investitionen in Ölfelder oder in Derivate für sie oft aufregender sind, als einem Unternehmen Geld zu geben.

Wallstreet war in den US-Wahlen ein Hauptziel politischer Attacken. Doch nun feiern Grossbanken ein Comeback in Washington.
Im Wirtschaftsrat von Präsident Trump sitzen Barone der Finanzindustrie. Aus ihrer Sicht ist jede regulatorische Einschränkung ein Kostenfaktor. So hat Trump unter anderem einen Erlass verabschiedet, wonach für jede neue Regulation zwei bestehende gestrichen werden sollen. Das ist völlig lächerlich. Vielmehr müsste man sich doch fragen, welche Regeln sinnvoll sind und warum sie aufgestellt wurden.

Was meinen Sie damit?
Wenn ich zum Beispiel auf der Autobahn fahre, muss ich mich an Regeln halten. Möglicherweise bin ich deswegen weniger schnell am Ziel. Wenn ich rase oder in alkoholisiertem Zustand am Steuer sitze, gefährde ich damit aber nicht nur mich, sondern auch andere. Genauso hat es weitreichende Konsequenzen, wenn eine Grossbank einen Unfall verursacht. Das gilt speziell für systemrelevante Institute wie J. P. Morgan oder Deutsche Bank (DBK 18.42 1.6%), die rund um den Globus bedeutende Geschäfte unterhalten. Ihre exzessive Verschuldung exponiert uns alle Risiken und Kosten, die vollkommen unnötig sind.

Damit es keine staatliche Rettungsaktionen mehr braucht, wurde nach der Krise das Dodd-Frank-Gesetz erlassen. Nun will es Trump demontieren.
Trotz Dodd-Frank rechnen Grossbanken weiterhin damit, dass der Staat einspringt, wenn sie ins Wanken geraten und signifikanten Schaden in der Wirtschaft anrichten könnten. Gewisse Elemente im Gesetz sind daher tatsächlich fragwürdig – etwa, dass systemrelevante Institute auf Tausenden von Seiten darlegen müssen, wie man sie in einer Krise abwickeln kann. Das verschlingt viel Ressourcen und wird im Ernstfall ohnehin nicht funktionieren. Andere Probleme haben dagegen weniger mit Dodd-Frank zu tun, sondern mit der Ausformulierung der einzelnen Auflagen.

Welche denn zum Beispiel?
Die Volcker-Regel zum Verbot des Eigenhandels. Sie wurde von Anfang an unterlaufen, weil die Finanzlobby Einfluss auf ihre Ausarbeitung nehmen konnte. Die vielen Sonderregelungen machen die praktische Umsetzung nun enorm schwierig. Wichtiger ist aber, dass wir uns gar nicht um solche Details kümmern müssten, wenn die Banken sicher wären.

Wie gross sind die Chancen, dass Dodd-Frank überleben wird?
Trump kann das Gesetz nicht ändern. Dafür braucht er den Kongress. Was die Republikaner mit Dodd-Frank machen, werden wir sehen. Hinzu kommt, dass die Regulatoren die einzelnen Aspekte des Gesetzes handhaben. Entsprechend sind zahlreiche Behörden involviert, was die Situation verkompliziert. Ausschlaggebend ist deshalb vorerst, wie Trump die Leitung dieser Organe besetzt. Er stellt sich gerne als Dealmaker und Dompteur von Grosskonzernen dar. Jetzt soll er einmal zeigen, wie ihm das mit den Banken gelingt.

Amerika nimmt eine Vorreiterrolle in der Finanzregulierung ein. Was bedeutet es international, wenn Washington die Zügel lockert?
Die Koordination zur Bankenregulierung kommt meist einer Abwärtsspirale gleich, wobei einige wenige Länder die Stellung halten. Ironisch ist, dass gerade Deutschland die beabsichtigte Lockerung in den USA bemängelt. Bei der Ausarbeitung internationaler Finanzregelwerke wie Basel III waren Staaten wie Deutschland und Frankreich bremsende Kräfte. Dass jetzt ausgerechnet in Europa Kritik laut wird, zeigt, wie verfahren die Situation ist.

Wie steht es um Europas Banken?
In der Eurozone gibt es nach wie vor erhebliche Gefahren, speziell mit italienischen Banken. Erschwerend hinzu ist die Komplexität der Konzernstrukturen. Sie ist in Europa aber etwas weniger ausgeprägt als in den USA, die eine Art Paradies für Briefkastenfirmen und Unternehmensverschachtelungen sind. Solche Strukturen nutzt auch Trump für seinen Konzern, weshalb sich hier kaum etwas ändern wird.

Und was denken Sie zur Schweiz?
Die Schweiz steht im internationalen Vergleich etwas besser da. Ein Vorteil ist, dass für die Bankenregulation nicht die Nationalbank verantwortlich ist. Auch Schweizer Grossbanken haben vor der Krise aber verantwortungslos gehandelt und bleiben too big to fail. Zudem zweifle ich daran, dass Instrumente wie Coco funktionieren. Solche Pflichtwandelanleihen sind zwar etwas besser als kurzfristige Schulden, aber noch lange keine solide Lösung.

Während der Finanzkrise war vor allem UBS in den Schlagzeilen. Jetzt ist es Credit Suisse (CSGN 15.1 2.3%). Wie nehmen Sie das wahr?
Ich beschäftigte mich mit einzelnen Unternehmen nicht im Detail. Generell halte ich aber alle Institute für problematisch, die ein ausgeprägtes Geschäft mit Derivaten unterhalten. Das, weil sich in diesem Markt so viele Risiken verstecken.

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