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07:01 Uhr - 17.05.2018

Wann die nächste US-Rezession droht

Die amerikanische Konjunktur befindet sich in ihrem zweitlängsten Aufschwung seit Messbeginn. Kommt es nun schon bald zum Abschwung?

Rekorde sind da, gebrochen zu werden. 107 Monate dauert der Konjunkturaufschwung in den USA bereits – seit Juni 2009 zeigt das Wachstum der US-Wirtschaft nach oben. Damit ist der Aufschwung offiziell der zweitlängste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1850.

Gemäss dem Wirtschaftsforschungsinstitut National Bureau of Economic Research, das bestimmt, ob und wann sich die US-Konjunktur in der Expansion oder in der Rezession befindet, war einzig die zehnjährige Wachstumsphase ab März 1991 noch länger.

Hält die Dynamik bis Juli 2019 an, wird der aktuelle Zyklus zum längsten der Geschichte. Dann fehlen nur noch wenige Monate, und die US-Wirtschaft beendet sogar das erste Jahrzehnt ohne Rezession. Das ist eindrücklich – noch bis in die Dreissigerjahre erlitt die amerikanische Wirtschaft im Durchschnitt fast drei Rezessionen pro Dekade, danach waren es immerhin noch rund zwei.

Doch wie gut stehen die Chancen, dass die Party so lang anhält? Ein Blick auf vier Barometer – der ISM-Einkaufsmanager­index, die US-Leitzinsen, die Zinskurve und die Arbeitslosenquote – erlaubt grobe Rückschlüsse über den Zeitpunkt des nächsten Abschwungs.

Freundliche Frühindikatoren

Einer der wichtigsten Frühindikatoren, der auf Umfragen unter Chefeinkäufern basierende Industrie-Einkaufsmanagerindex (ISM), signalisiert weiterhin Wachstum. Aktuell übertrifft er die Marke von fünfzig Punkten deutlich. Werte darüber signalisieren erfreuliche Wachstumsaussichten, Werte darunter kündigen eine konjunkturelle Eintrübung an.

Zwar ist der ISM-Index im April von 59,3 auf 57,3 gefallen. Eine Abschwächung auf diesem hohen Niveau war allerdings zu erwarten gewesen und ist deshalb noch kein Grund zur Sorge. Wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt, droht üblicherweise erst dann Gefahr, wenn das Barometer klar unter 50 Zähler fällt. Gemäss Graham Secker von Morgan Stanley (MS 54.66 -0.56%) folgte typischerweise drei Monate danach eine Rezession. Angesicht des robusten ­Signals scheint eine US-Rezession in diesem Jahr wenig wahrscheinlich.

Gefahr könnte jedoch von anderer Seite drohen: Denn ein Wallstreet-Bonmot besagt, dass Expansionsphasen nicht an Altersschwäche sterben, sondern von den Notenbanken umgebracht werden. «Höhere Zinsen waren für 29 von insgesamt 45 Rezessionen in den wichtigsten Industrieländern seit 1960 mitverantwortlich», schreibt Lucy O’Carroll, Chefökonomin beim schottischen Vermögensverwalter Aberdeen Asset Management.

Und die Zinsen zeigen in den USA nach oben. Nach Jahren der Liquiditätsschwemme wagt das Fed endlich den Ausstieg aus seiner extrem lockeren Geldpolitik. Ende 2015 hat die US-Notenbank die erste Zinserhöhung seit der Finanzkrise durchgeführt. Ihr folgten fünf weitere Schritte.

Wie eine Auswertung des Deutsche-Bank-Strategen Jim Reid zeigt, schlitterten die USA in der Vergangenheit typischerweise 33 Monate nach der ersten Zinserhöhung in eine Rezession. Wegen der langen Frist zwischen dem ersten und dem zweiten Schritt im aktuellen Zinszyklus argumentiert Reid ­allerdings, dieser habe erst Ende 2016 richtig begonnen. Behält er recht, und entwickelt sich die Konjunktur gemäss Lehrbuch, wäre demnach im September des nächsten Jahres mit einer Konjunkturdelle zu rechnen.

Ein verlässlicheres Signal liefert allerdings die Differenz zwischen langen und kurzen Zinsen – die sogenannte Zinskurve. Liegen etwa die zehnjährigen Renditen deutlich über den zweijährigen, ist das in der Regel ein gutes Konjunktursignal. Eine invertierte Kurve – wenn die kurzfristigen Zinsen höher sind – ist bedenklich: «In den vergangenen fünfzig Jahren kam es immer innert ein bis zwei Jahren zu einer Rezession, wenn sich die Zinskurve invertierte», warnt Tan Kai Xian vom Analysehaus GaveKal Research. Noch wurde indes kein Rezessionssignal ausgelöst: Die Kurve ist zwar so flach wie seit zehn Jahren nicht mehr, die zehnjährigen US-Zinsen übersteigen die zweijährigen aber immer noch um rund 0,45%.

Der Chef der Distriktnotenbank St. Louis, James Bullard, sagte am Montag in New York, die Kurve könnte sich bis Ende 2018 invertieren. Eine Rezession wäre dann erst 2020 zu erwarten.

Verschärfend dürfte allerdings die quantitative Straffung wirken – also die Umkehr der quantitativen Lockerung. «Bis zum Jahresende – wenn die Börsen nicht vorher einbrechen – wird das Fed seine Bilanz um 420 Mrd. $ oder 10% reduziert haben», bemerkt der unabhängige Stratege Fred Hickey in seinem jüngsten Marktkommentar. Dieser Bilanzabbau könnte ähnlich wirken wie Zinserhöhungen und das Rezessionsrisiko erhöhen.

Niedrige Arbeitslosigkeit

Hinweise liefert auch die Beschäftigungslage. So ist die Arbeitslosenquote in den USA erstmals seit 2000 unter 4% gefallen. Was Jobsuchende freut, erhöht gemäss der Strategen vom kanadischen Analysehaus BCA Research die Wahrscheinlichkeit für eine baldige Rezession.

Das belegt ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Mit Ausnahme des Konjunktureinbruchs 1982 – der als Fortsetzung der Rezession von 1980 betrachtet werden kann – herrschte in der Nachkriegszeit unmittelbar vor jeder Rezession Vollbeschäftigung. Bereits ein geringfügiger Anstieg der Arbeitslosigkeit ist laut BCA Research demnach ein verlässlicher Indikator für einen nahenden Abschwung. In der Vergangenheit folgte jedes Mal eine Rezession, wenn die Arbeitslosenquote um 0,3 Prozentpunkte gestiegen war.

Zu einem ähnlichen Schluss gelangt Jim Reid von der Deutschen Bank. Ihm zufolge rutscht die Wirtschaft rund 36 Monate nach Erreichen der Vollbeschäftigung in eine Rezession. Die sei im September 2016 erreicht worden, was auf einen Abschwung im Herbst 2019 hindeute.

Einiges weist also darauf hin, dass es gegen Ende des nächsten Jahres zum Abschwung kommt. Die expansive US-Fiskalpolitik könnte die Wachstumsphase ­jedoch verlängern. Mark McClellan von BCA Research schätzt, die von Präsident Trump verabschiedeten Steuersenkungen und die neu beschlossenen Ausgaben werden 2018 einen Wachstumsbeitrag von 0,8% und im nächsten Jahr von 1,3% leisten. «Ein Stimuluspaket so spät im Zyklus ist beispiellos», meint auch Lucy O’Carroll von Aberdeen Asset Management. Die positive Wirkung der zusätzlichen Ausgaben könnte demnach genau dann ein­setzen, wenn die Konjunkturdynamik nachlässt. Der längste Konjunkturzyklus scheint in Reichweite.

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