London und Brüssel freuen sich, endlich einen Brexit-Deal vereinbart zu haben. Die grössten Schwierigkeiten kommen aber erst. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Pascal Meisser.
Es war eine ungewöhnlich kurze Sitzung der 27 verbleibenden EU-Mitgliedstaaten am Sonntag, um den Brexit-Entwurf von Premierministerin Theresa May und EU-Chefunterhändler Michel Barnier zu unterstützen. EU-Kommissionspräsident Juncker sagte danach: «Es ist der bestmögliche Deal für die Europäische Union und der bestmögliche Deal für Grossbritannien. Es ist der einzig mögliche Deal.»
Mit dem ersten und dem dritten Teil seiner Aussage hat Juncker recht. Für die EU ist das Austrittsabkommen zwar nicht eine Win-Win-Situation (der Verlust der Briten schmerzt trotz allem), aber zumindest hat Barnier als EU-Chefunterhändler seine wichtigsten Forderungen in den Verhandlungen mit Grossbritannien durchbringen können.
In Grossbritannien wird sich der Deal zumindest für die eine Hälfte der Bevölkerung – die 52%, die Ja zu Brexit gestimmt hatten – als Niederlage anfühlen. Theresa May steht deshalb vor der Herkulesaufgabe, diese im eigenen Land nichtsdestotrotz als guten Deal zu verkaufen.
Dies dürfte ihr umso schwerer fallen, da selbst ihre eigene Partei in der Brexit-Frage zerstritten ist. Ihre politischen Gegner warten zudem gespannt darauf, wie sie erklären will, dass eine passive Mitgliedschaft in der EU mit dem Brexit vereinbar ist.
Denn das vereinbarte Abkommen sieht vor, dass Grossbritannien für die Zeit der Übergangsphase, die nach derzeitigem Stand bis spätestens 2022 verlängert werden kann, im Binnenmarkt und in der Zollunion verbleibt sowie weiterhin Beiträge einzahlt. Im Gegenzug haben die Briten aber kein Mitbestimmungsrecht mehr.
So weit, so gut. Bis das Abkommen tatsächlich per 29. März 2019 in Kraft tritt, fehlen noch zwei Voraussetzungen – die Absegnung durch das britische Parlament sowie die Ratifizierung durch die EU-Mitgliedländer. Während Zweiteres eine Formsache werden dürfte, ist die Abstimmung im britischen Unterhaus eine Gratwanderung.
Am 12. Dezember, dem letztmöglichen Termin vor dem letzten EU-Gipfel des Jahres, kommt es in Westminster zum entscheidenden Votum. Sagt das Parlament Ja, dürfte die Ratifizierung durch die EU-Mitgliedländer nur noch Formsache sein. Bei einer Ablehnung droht weiterhin ein chaotischer Austritt mit Konsequenzen, die heute noch nicht bis in alle Details vorhersehbar sind.
Bis zur Abstimmung ist das Austrittsabkommen deshalb ein Papiertiger. Siebzehn Tage bleiben Theresa May und ihrem Kabinett, um die britischen Parlamentsmitglieder von der Zustimmung zu überzeugen.
Dies wiederum grenzt an eine unlösbare Aufgabe. 320 Stimmen werden im Unterhaus benötigt, um die Mehrheit zu sichern. Die regierenden Tories können in den eigenen Reihen maximal 315 Stimmen erreichen und sind auf den Koalitionspartner, die nordirische DUP, angewiesen. Diese hat aber bereits angekündigt, aus Protest wegen der Zugeständnisse rund um die Problematik der irisch-nordirischen Grenze ein Nein einzulegen.
Dazu kommt, dass auch in den eigenen Reihen der Widerstand von Pro-Brexit-Politikern zunimmt. Je nach Zählweise könnten bis zu neunzig Konservative gegen ihre eigene Premierministerin votieren – mit verheerenden Konsequenzen. Die EU hat klargemacht, dass der vorliegende Deal nicht mehr verhandelbar ist. Mögliche, aber eher unwahrscheinliche Alternativen bei einem Nein wären ein bis dato unbekannter Plan B, erneute vorgezogene Gesamterneuerungswahlen, ein zweites Brexit-Referendum oder der Exit vom Brexit.
Viel realistischer ist, dass bei einer Ablehnung des Deals am 12. Dezember ein harter Brexit immer greifbarer und unausweichlicher wird.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.