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12:50 Uhr - 09.03.2020

Was Schweizer Anlageprofis raten

Den Börsen droht erneut eine äusserst unerfreuliche Woche. «Finanz und Wirtschaft» hat Schweizer Investmentprofis nach ihrer Markteinschätzung befragt.

Im Einklang mit den globalen Börsen ist der Schweizer Aktienmarkt mit deutlichen Verlusten in die neue Handelswoche gestartet. Auf der Stimmung lastet nicht nur die ungebremste Verbreitung des Coronavirus, sondern auch der Einbruch der Ölnotierungen und die gestiegenen Rezessionsängste. «Finanz und Wirtschaft» hat Schweizer Investmentprofis nach ihrer Einschätzung der aktuellen Marktsituation befragt.

Matthias Geissbühler, CIO der Raiffeisen-Gruppe, sieht langsam, aber sicher Einstiegschancen. Man müsse allerdings selektiv vorgehen. «Beim SMI nähern wir uns den technischen Supports zwischen 9000 und 9200 Punkten. Auf diesen Niveaus sehen wir bei qualitativ guten Gesellschaften zunehmend Kaufgelegenheiten. Die Zeit für ein Rebalancing ist also gekommen», sagt er.

Um die Aktiengewichtung über die aktuelle Quote von «Neutral» zu erhöhen, brauche es allerdings Zeichen einer Verlangsamung bei den Neuinfektionen mit dem Coronavirus. Ganz grundsätzlich gelte laut Geissbühler sowohl auf der Bond- als auch auf der Aktienseite die Weisung «Qualität, Qualität, Qualität». Bei Aktieninvestments solle man den Fokus unter anderem auf solide Bilanzen und – wenn möglich – Nettoliquidität legen.

Fokus auf gesunde Bilanzen

Für Anastassios Frangulidis, Chefstratege von Pictet Asset Management, erhöhen die jüngsten Ereignisse rund um die Coronavirusepidemie zwar die Risiken für den Verlauf der globalen Konjunktur. Trotzdem würden seine Aussagen von letzter Woche gültig bleiben – es gelte also, Ruhe zu bewahren und nicht unter dem emotionalen Druck der aktuellen Situation die langfristig ausgerichtete Anlagepolitik zu verlassen. Ein Aktienverkauf zum jetzigen Zeitpunkt sei keine gute Idee. Grundsätzlich sollten Unternehmen mit einer gesunden Bilanz bevorzugt werden, die einen kurzfristigen Ausfall der Geschäftstätigkeit verkraften könnten.

Frangulidis geht zwar davon aus, dass der starke Rückgang des Erdölpreises die Volatilität an den Währungsmärkten erhöht. Doch er sehe durchaus auch positive Aspekte: «Ökonomisch betrachtet wirkt der Erdölpreisrückgang positiv auf die westlichen Volkswirtschaften, denn er erhöht das verfügbare Einkommen der Haushalte und reduziert die Produktionskosten vieler Unternehmen.» Deshalb werde der Erdölpreisrückgang mittelfristig stabilisierend auf die globale Konjunktur wirken. «Vorerst geht es aber darum, dass eine weitere starke Ausbreitung des Coronavirus gestoppt werden kann. Wann dies der Fall sein wird, ist schwer zu eruieren», sagt Frangulidis.

Ausfälle in Hochzinsanleihen

Eine andere Position hinsichtlich der Auswirkungen des Ölpreisverfalls vertritt Christian Gattiker, Researchchef von Julius Bär: «Saudi-Arabien hat einen Preiskrieg im Öl vom Zaun gebrochen, der kaum Gewinner hervorbringen wird.» Die Schockwellen würden sich schnell auf andere Finanzmärkte ausbreiten, denn ein Zusammenbruch des Ölpreises verheisse nichts Gutes. «Stress in der Ölindustrie, Bewegungen an den Anleihenmärkten und Schocks in ölfördernden Schwellenländern könnten weitere Wachstumsschwäche bringen. Der Vorteil tiefer Ölpreise ist bei fehlender Nachfrage marginal», meint Gattiker.

Geissbühler ortet derweil Risiken bei den Hochzinsanleihen: «Aufgrund der Ereignisse vom Wochenende haben wir eine taktische Anpassung vorgenommen und die Quote bei den Hochzinsanleihen zugunsten von Liquidität gesenkt.» Nun, da Russland die bisherigen Förderkürzungen nicht mehr mittragen wolle, werde Saudi-Arabien den Ölmarkt vorübergehend fluten. Das werde vor allem die hoch verschuldeten Schieferölgesellschaften in den USA hart treffen, die im Bereich der ausstehenden Hochzinsanleihen ein grosses Gewicht ausmachten.

Ball liegt bei der Politik

Laut Gattiker liege der Ball weiterhin bei der Politik: «Die Währungshüter werden sich äussern müssen, wie sie die Turbulenzen abfedern wollen. Bisher kam da nicht viel Konzertiertes raus.» Der jüngste Alleingang der US-Notenbank erschien eher kontraproduktiv. «Die Regierungen in den Industrieländern werden sich äussern müssen, wie sie die negativen Auswirkungen der Epidemie und ein Überschwappen der Marktturbulenzen auf die kleinen und die mittelgrossen Unternehmen abwehren wollen. Auch hier war bisher wenig Greifbares vorhanden. Dabei macht China seit Wochen vor, wie man die Wirtschaft gegen solche Risiken unterstützen kann», sagt Gattiker. Für die Anleger lasse sich damit zurzeit – bis eine Reaktion der Politik eintrifft – wenig Erfreuliches berichten.

Dennoch sieht Gattiker nicht nur schwarz: «Der einzige Lichtblick ist ironischerweise die Tatsache, dass die Panik längst in vollem Gange ist und damit der Zeitpunkt, Aktien zu kaufen, eher gekommen ist, als Aktien abzustossen. Wer den Mut dazu nicht aufbringt, kann an den Märkten Absicherung verkaufen. Damit verpflichtet er sich, Aktien bei deutlich tieferen Preisen zu übernehmen, nämlich falls der Crash auf Raten weitergeht. Dieses Risiko wird aber zurzeit mit sehr stolzen Prämien versüsst.»

Bankensektor ist inzwischen solider

«Wir sind noch nicht auf dem Höhepunkt der Coronakrise, in der Wirtschaft wie auch an den Finanzmärkten. Die panikartige Flucht in die Staatsanleihen ist ein Hinweis, dass der Tiefpunkt noch nicht erreicht ist», schreibt heute Thomas Stucki, Chief Investment Officer der St. Galler Kantonalbank, in einem Kommentar. Er gehe allerdings davon aus, dass der wirtschaftliche Einbruch nicht annähernd so gross wie 2009 sein werde und dass die Rückkehr zur Normalität schneller vonstattengehen werde als damals. 2009 hätten die Aktienmärkte lange bevor der konjunkturelle Tiefpunkt erreicht wurde gedreht.

Gemäss Stucki sei das Bankensystem heute in einer wesentlich besseren Ausgangslage als bei der Finanzkrise. Es werde in den nächsten Monaten zwar ohne Zweifel Kreditausfälle geben, sie würden aber mit Verzögerung und gestaffelt eintreten. Eigen- und Handelsbestände der Banken an Wertpapieren seien heute deutlich kleiner als damals. Und: «Die Zentralbanken haben aus der Krise 2008 gelernt, dass es wichtig ist, die Liquiditätsversorgung der Banken sofort sicherzustellen», schreibt Stucki.

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