Die Schuldenberge wachsen weiter, aber die Zusammensetzung ist stabiler als in der Eurokrise. Nationale Notenbanken und die EZB sind die grössten Gläubiger.
Europa steht wieder am Rand einer Eurokrise. Italiens schwelende Regierungskrise ist offen ausgebrochen. Nachdem der Staatspräsident einen erklärten Eurogegner nicht als Wirtschaftsminister akzeptierte und daraufhin die beiden populistischen Koalitionspartner in spe von einer Regierung nichts mehr wissen wollen, sind Neuwahlen der einzige Ausweg. Anders als beim Urnengang im März wird es im anstehenden Wahlkampf vor allem um eine Frage gehen: Soll Italien aus der Eurowährungsunion aussteigen oder nicht?
Die Eurozone wird damit an ihrer letzten offenen Flanke getroffen. Die meisten Mitgliedstaaten sind immer noch hoch verschuldet. Sie müssen sich regelmässig am Kapitalmarkt refinanzieren, um die Haushaltsdefizite zu decken und fällig werdende Staatsanleihen zurückzahlen zu können. In den vergangenen Jahren ist der Schuldenberg weiter gestiegen. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Deutschland und Griechenland.
Europas grösste Volkswirtschaft profitiert seit Jahren von ausserordentlich tiefen Zinsen, wächst wirtschaftlich und ist nahezu voll beschäftigt. Die Staatseinnahmen sprudeln daraufhin wie von selbst. Berlin verzeichnet Haushaltsüberschüsse und hat seit 2014 rund 100 Mrd. € an Verbindlichkeiten abgebaut. Dank des Wirtschaftswachstums ist die Schuldenquote gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) auf 64% stark gesunken.
Griechenland befindet sich dagegen finanzpolitisch unter der Kontrolle der ausländischen Gläubiger. Der Staat schleppt Schulden von 320 Mrd. € mit sich, davon nur 54 Mrd. als handelbare Wertschriften. Der Rest sind Kredite der Eurorettungsschirme EFSF und ESM sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Schuldenquote kletterte seit Ausbruch der Euroschuldenkrise im Mai 2010 von 130 auf 180% des BIP. Ohne die Umschuldung im Jahr 2012, an der sich die privaten Gläubiger beteiligten, würde die Rechnung heute noch viel höher ausfallen.
Italien im Inland verschuldet
Deutschland und Griechenland sind die beiden Extreme in Europas Staatsschuldenproblem. Die übrigen Länder befinden sich zwischen diesen beiden Polen. Der Aufwärtstrend der Staatsverschuldung setzte sich zwar fast überall fort, aber die Zusammensetzung der Gläubiger hat sich oftmals verändert.
Italiens Schuldenberg beläuft sich auf 2300 Mrd. €, davon sind 1900 Mrd. Staatsanleihen (BTP, Bot usw.) und andere Wertschriften. Vor zehn Jahren, als die Euroschuldenkrise ausbrach, befanden sich 51% dieser Titel in den Depots von Investoren im Ausland. Erfahrungsgemäss sind sie die ersten, die ihre Positionen verkaufen, sobald sich das Anlageklima verschlechtert. Das Kapital wird daher als heisses Geld bezeichnet. Es fliesst schnell zu, wenn Gewinne locken, aber genauso schnell wieder ab. Weil dann meist andere kaufwillige Investoren fehlen, fallen die Kurse und steigen die Zinsen vehement.
Genau das passierte 2011, als die Berlusconi-Regierung die Staatsfinanzen nicht unter Kontrolle brachte und mit einem Euroaustritt drohte. Deutsche und französische Banken warfen ihre BTP-Pakete auf den Markt. Insgesamt stiessen ausländische Gläubiger 150 Mrd. € ab. Ihre Anlagen sackten Mitte 2012 auf ein Tief von 590 Mrd. € ab, bevor die Europäische Zentralbank versprach, die Märkte zu stützen.
In den folgenden Jahren kauften Ausländer zwar wieder rund 100 Mrd. € italienische Schuldtitel zu. Aber ihr Anteil liegt heute (Stand: Ende 2017) mit 36% sehr tief. Das Gros landet bei italienischen Banken und Institutionellen. Erstere halten 17%, mehr als 2010. Versicherer und Institutionelle besitzen 22%. Privathaushalte haben ihre direkten Engagements stark abgebaut: von 20% vor zehn Jahren auf aktuell 5%.
Anders als zu Beginn der Euroschuldenkrise sind die nationalen Notenbanken inzwischen in den meisten Staaten die grössten Gläubiger. In Italien halten die Banca d’Italia und die EZB 19% der Staatsanleihen. Das ist etwas mehr als der Durchschnitt: In Deutschland besitzt die Notenbank vor Ort zusammen mit der EZB 16%, in Portugal 17 und in Spanien 18% der Regierungsanleihen.
Grossschuldner Frankreich
Der IWF schätzt, dass Frankreich nächstes Jahr Italiens Schuldenberg um 50 Mrd. € übersteigen wird. Behält der IWF recht, würde die Grande Nation damit zu Europas grösstem Schuldner avancieren. In Frankreich haben ausländische Gläubiger ein viel grösseres Gewicht als in Italien.
Sie halten 56% resp. Staatsanleihen im Wert von 946 Mrd. €. Das ist mehr als in jedem anderen Land, Deutschland ausgenommen. Zweifel an der Euromitgliedschaft sollten also in Frankreich besser nicht aufkommen, denn nirgendwo ist die «Hot Money»-Problematik grösser.
Spaniens Gläubigerstruktur hat sich im vergangenen Jahrzehnt kaum verändert. Notenbank und EZB haben im Zuge des Anleihenkaufprogramms seit 2015 spanische Papiere für rund 150 Mrd. € erworben, die sie nun im Portefeuille halten.
Das kräftige Wirtschaftswachstum der letzten Jahre lässt übersehen, dass die spanischen Staatsschulden kräftig gestiegen sind. Seit 2012 nahmen sie um 726 Mrd. auf 1106 Mrd. € zu. Fast 40% des Anstiegs wurde mit ausländischem Geld finanziert. Ausländische Anleger halten heute 42% der ausstehenden Schuldtitel.
Das ist in etwa gleich viel wie im Falle Portugals. Hier hat sich die Gläubigerstruktur über das Jahrzehnt hingegen dramatisch gewandelt. Der Anteil ausländischer Gläubiger halbierte sich fast, weitgehend zugunsten der portugiesischen Notenbank und der EZB.
Wo die Risiken lauern
Die Gläubigerstruktur der Staatsschulden ist heute stabiler als während der Eurokrise. Nicht zuletzt dank der EZB. Der Anteil ausländischer Gläubiger, die traditionell ungeduldiger sind, ist geschrumpft. Die Achillesferse bleiben indes die Banken. Besonders in Italien, Portugal und Spanien halten sie viele Staatsanleihen.
Die Regierungskrise in Italien hat seit Anfang Mai zehnjährige italienische BTP 8% an Wert gekostet. Setzen sich die Kursverluste fort, werden Banken bald die Risiken zurückfahren, um ihre Ertragskraft zu sichern. Sie werden die Zinsen erhöhen und weniger Kredit vergeben. Zumal noch ein Überhang notleidender Kredite vorhanden ist. Die nächste Eurokrise wird vor allem konjunkturellen Schaden anrichten. Die Rückkehr der Rezession lässt dann nicht lang auf sich warten.
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