Andrew Milligan, Anlagechef von Aberdeen Standard Investments, erklärt, wo die Stolpersteine für die Märkte liegen und wo er noch Renditechancen sieht.
Herr Milligan, Europas Konjunktur wächst solide, mit Aktien lässt sich aber kaum etwas verdienen. Geht es so weiter?
Die meisten europäischen Börsen haben in diesem Jahr an Terrain eingebüsst. Ein grosser Teil der Anlagegelder fliesst derzeit in amerikanische Titel. Investoren setzen hauptsächlich auf Technologiewerte, und da bietet Europa im Gegensatz zu den USA und Asien weniger Auswahlmöglichkeiten. Zudem ist das Wirtschaftswachstum in Europa im ersten Halbjahr leicht zurückgekommen, und das Gewinnwachstum europäischer Unternehmen hinkt jenem der amerikanischen hinterher. Dazu kommen die ungelösten politischen Probleme.
Sprechen Sie damit die Sorgen um Italien an?
Italien bleibt ein Schlüsselproblem für die Märkte. Das hat sich am steigenden Spread zwischen zehnjährigen italienischen und deutschen Staatsanleihen gezeigt.
Inzwischen hat sich der Spread wieder etwas abgeflacht. Ist das ein positives Signal?
Ja. Nur sind deutsche Staatsanleihen derzeit ziemlich falsch bewertet. Ihre Renditen notieren in etwa auf dem Niveau derjenigen von Japan. Nur entspricht dies nicht der ökonomischen Realität. Die deutsche Wirtschaft läuft auf Hochtouren, die Inflation zieht an. Die Renditen des Bunds müssten deutlich höher liegen.
Warum steigen die deutschen Zinsen nicht?
Anleger sind angesichts der politischen Spannungen in Europa auf der Suche nach sicheren Häfen wie eben die deutschen Staatsanleihen oder der Yen.
Und der Franken?
Wir empfehlen, sich währungsseitig breit zu diversifizieren, auch in den Franken. Wir ziehen aber den Yen wegen des liquideren Handels vor.
Gold (Gold 1194.55 -0.11%) schwächelt. Spricht nur der starke Dollar gegen ein Engagement?
Die Dollarstärke ist nur ein Grund. Ein anderer ist, dass weder ein Inflations- noch ein Deflationsschock droht. Dies, sowie die Annahme, dass die Dollarstärke ihren Höhepunkt erreicht hat, wäre die Voraussetzung, auf Gold zu setzen. Solange wir aber nicht wissen, was die US-Notenbank vorhat, lässt es sich kaum prognostizieren.
Die Sorgen um Italien, die Wahlen in Schweden und nun die Endphase der Brexit-Verhandlungen. Drohen weitere Rückschläge für europäische Aktien?
Der Brexit spielt eine Rolle für die Finanzmärkte, keine Frage. Es ist völlig offen, wie er ausgeht. Das zeigen die Prognosen für das Pfund. Der Dollar-Pfund-Kurs kann je nach Ausgang auf 1.10 fallen oder auf 1.50 klettern. Das ist nicht das Umfeld, um auf britische Aktien zu setzen.
Droht wegen des Brexit Ansteckungsgefahr für weitere Aktienmärkte?
Natürlich werden die Folgen für Europa spürbar sein – gerade wenn es zu keinem Deal kommen sollte. Aber ich glaube nicht, dass eine mögliche Rezession in Grossbritannien sich auf Europa ausbreiten würde. Ein schlechter Brexit-Ausgang würde nicht nur das Pfund, sondern auch den Euro zum Dollar schwächen.
Finden sich die Briten und die EU?
Wir alle wissen, dass die entscheidenden Verhandlungen erst ganz am Schluss stattfinden. Aber auch wenn der Brexit derzeit ein Thema ist, für Europa gibt es viel wichtigere und auch relevantere Probleme.
Zum Beispiel?
Die Türkei, und zwar nicht nur wirtschaftlich. Stellen Sie sich vor, das Land lässt die von ihm aufgenommenen Flüchtlinge Richtung Europa ziehen. Schon heute dominiert das Thema die politische Agenda in vielen Ländern, wie zuletzt in Deutschland und aktuell in Schweden. Ein weiterer Brennpunkt ist der Handelskrieg zwischen den USA und China. Auch dessen Folgen sind markanter als jene des Brexit.
Im November stehen in den USA Zwischenwahlen an. Was heisst das für den amerikanischen Aktienmarkt?
Dies wird den Fokus der Anleger auch in den USA auf die politische Bühne lenken. Entscheidend wird sein, wie gut oder schlecht die Republikaner abschneiden. Wird das Ergebnis den Welthandel weiter belasten, oder sehen wir wieder mehr Dynamik? Je nach Entwicklung der Wählerstimmung vor den Wahlen könnte sich auch der Dollar wieder abschwächen.
Was heisst das für ein Portfolio eines Privatanlegers für die nächsten ein, zwei Jahre?
Sinnvoll ist ein global diversifiziertes Aktienportfolio, breit über alle Sektoren gestreut. Vorsichtig sind wir gegenüber Grossbritannien und Asien. Europa, die USA und Japan gefallen uns besser.
Europa? Trotz den politischen Risiken?
Europäische Aktien werden zumindest einen Teil der jüngsten Verluste aufholen können. Wirkliches Potenzial für Outperformance sehen wir indes nicht. Investoren werden nach dem Ausverkauf der vergangenen Monate eher in den Schwellenländern nach Kaufgelegenheiten suchen.
Und abgesehen von Aktien?
Wir setzen auf Hochzinsanleihen und Immobilien. Interessant finden wir europäische Geschäftsliegenschaften. Vorsichtig sind wir gegenüber Staatsanleihen, von denen die meisten überteuert sind. Ausserdem stellt sich die Frage, wie lange der aktuelle Zyklus noch dauert. Aus diesem Grund raten wir, selektiv Gewinne mitzunehmen.
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