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10:12 Uhr - 09.11.2016

«Das ist keine Trendwende»

Thomas Steinemann, CIO der Bellerive Privatbank, sagt, wie sich der Wahlsieg Trumps auf die Märkte auswirken wird, und rät Anlegern, sich über Kaufgelegenheiten Gedanken zu machen.

Herr Steinemann, worauf führen Sie den Wahlsieg von Donald Trump zurück, der nicht nur die Börse überrascht hat?
Thomas Steinemann Bild: Thomas Entzeroth
Die Situation in Deutschland war ein Fingerzeig: Wenn man die Diskussion zwischen Bevölkerung und Obrigkeit abklemmt oder sogar unterdrückt, geht der Schuss früher oder später in die andere Richtung los. Irgendwann entweicht der Druck. Man kann den Deckel, um ein anderes Bild zu bemühen, nicht ewig auf dem Kessel halten. In der Demokratie lässt man entweder den Diskurs zu, oder es kommt, wie jetzt in den USA, zu einem überraschenden Ausgang.

Trump gilt als «Börsenschreck», was passiert jetzt an den Märkten?
Einen ersten Eindruck von Asien haben wir bekommen. Es wird sicher ein schlechter Börsentag werden. Das hat in erster Linie mit dem Schock über den Wahlsieg von Donald Trump zu tun und weniger mit einer differenzierten Betrachtung.

Bedeutet Trumps Wahlsieg eine fundamentale Veränderung an den Finanzmärkten?
Ich glaube nicht, dass wir eine fundamentale Wende erleben werden. Ein solches Ereignis ist selten eine Trendwende, dafür ist die Geldpolitik viel zu wichtig für den Marktverlauf. Es ist ein vorübergehender Schock, Anleger und die Weltöffentlichkeit müssen sich zuerst orientieren, was jetzt kommt.

Hat der Wahlsieg von Trump auch positive Aspekte?
Die von ihm angekündigten Steuersenkungen sollten der Wirtschaft helfen. Auf der Handelsseite entsteht Unsicherheit, protektionistische Massnahmen sind eine Rückschlagsgefahr für den globalen Handel und für einzelne Unternehmen. Aber ein Denkverbot, wie es einzelne Regierungen gerne hätten, ist schlechter. Warum soll man Handelsverträge nicht neu verhandeln können oder zumindest überprüfen? Man sieht es in Europa, wo über das Freihandelsabkommen mit Kanada jetzt wenigstens eine Diskussion stattfindet. Das muss nicht negativ sein.

Steht eine Rezession bevor?
Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Dafür sind die Wachstumskräfte, unterstützt von der ultralockeren Geldpolitik, zu stark.

Was kommt währungsseitig auf uns zu? Eine Flucht in den Franken, was der Schweizer Börse doppelt wehtäte?
Eine Kapitalbewegung in den Franken ist nicht auszuschliessen, wobei ich erwartet hätte, dass sie stärker sein und der Schweizer Aktienmarkt mehr Terrain verlieren würde, als es zur Stunde der Fall ist. Nach der schwachen Eröffnung hat bereits eine Gegenbewegung stattgefunden. Das könnte ein Indiz sein, dass es weniger schlimm kommt, als viele befürchten. Wahrscheinlich ist am Devisenmarkt auch die Nationalbank aktiv geworden. Sie war sicher auf den Ernstfall vorbereitet.

Was sollen Anleger jetzt tun?
Sie sollten zu den aktuell tieferen Kursen grundsätzlich Kaufgelegenheiten prüfen. Pharmaaktien, die unter dem Clinton-Szenario stark gelitten hatten, sind ein Thema. Auch Banktitel, für die ich sonst nicht schwärme, sind eine Überlegung wert, weil es zu einer gewissen Deregulierung kommen könnte. Ölwerte könnten eine Möglichkeit sein. Ich hätte erwartet, dass der Ölpreis stärker fällt.

Gold hat sich in Erinnerung gerufen. Ein Kauf?
Der Goldpreis ist das Gegenstück von Dollar und Ölpreis, die gesunken sind. Es dürfte sich aber auch da eher um ein Strohfeuer handeln. Ich gehe, wie gesagt, von einem Schock und nicht von einer fundamentalen Trendwende an den Finanz- und den Anlagemärkten aus. Wenn sich die Lage beruhigt, wird auch der Goldpreis wieder zur Ruhe kommen.

Worauf ist in den kommenden Wochen und Monaten zu achten?
Im Vordergrund steht ganz klar die Geldpolitik, im Besonderen das weitere Vorgehen der US-Notenbank. Fed-Chefin Janet Yellen hatte durchblicken lassen, dass sie bei einem Trump-Sieg zurücktreten wird. Man wird sehen müssen, ob und allenfalls wann sie damit Ernst macht und wie die Nachfolge aussieht. Das ist die Hauptfrage. Auch wenn die Notenbank unabhängig ist, muss man in Betracht ziehen, dass Trump eher für eine Normalisierung der Zinsen eintritt. Wenn er schlau ist, äussert er sich nicht explizit zur Geldpolitik.

Ist jetzt wegen der Verunsicherung ein Fed-Zinsschritt im Dezember vom Tisch?
Nein, eine Zinserhöhung im Dezember ist noch nicht vom Tisch, ebenso weitere Zinsschritte im nächsten Jahr. Dass die US-Notenbank die Zinsen vom ultraniedrigen Niveau schrittweise erhöhen wird, wenn die Wirtschaft weiter ansprechend wächst, steht jedoch schon länger im Raum und darf die Märkte nicht überraschen.

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