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16:00 Uhr - 13.06.2018

«Die AHV braucht strukturelle Massnahmen»

Manuel Leuthold, Präsident des Verwaltungsrats des AHV-Ausgleichsfonds, zu Zustand und Perspektiven der AHV sowie zur Anlagepolitik des Fonds.

Die AHV befindet sich vor allem wegen der Alterung der Bevölkerung vor einer schwierigen und unsicheren Zukunft. Der AHV-Fonds sieht sich mit der anspruchsvollen Aufgabe konfrontiert, in einem unfreundlichen Zinsumfeld das Vermögen sicher anzulegen und zugleich die nötige Liquidität zu garantieren. Manuel Leuthold erklärt im Gespräch, wie er das macht.

Herr Leuthold, wie geht es der AHV heute, und wie sehen die Perspektiven aus?
Wir haben im vergangenen Jahr sehr gut gearbeitet. Mit den Anlagen haben wir 2 Mrd. Fr. verdient. Das Umlageergebnis schloss mit einem Defizit von rund 1 Mrd. Fr. ab, das konnten wir über das Anlageergebnis mehr als kompensieren.

Und der Blick in die Zukunft?
Da sieht es deutlich weniger rosig aus. Die Resultate der AHV bestehen aus drei Komponenten. Erstens aus dem Umlageergebnis. Da schreiben wir Defizite, das wird auch in den kommenden Jahren so sein. Für das laufende Jahr erwarten wir einen Fehlbetrag von deutlich über 1 Mrd. Fr. Die zweite Komponente ist die Rückzahlung der Schulden der Invalidenversicherung an die AHV. Sie erhöht das gesamte Vermögen zwar nicht, das Anlagevermögen dagegen schon. Die Rückzahlungen ermöglichen uns, eine höhere Verzinsung der angelegten Gelder zu realisieren. Mit dem Auslaufen der Unterstützung für die Schuldenrückzahlung verliert dieser Effekt aber an Bedeutung. Die dritte Komponente ist die Rendite aus dem Anlagevermögen, die allerdings sehr volatil ist.

Wo liegen die zentralen Probleme der künftigen Entwicklung der AHV?
Das zentrale Problem ist die demografische Entwicklung, also das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern. Es wird immer ungünstiger und führt zu einer Verschlechterung der Lage der AHV. Gemäss den Prognosen des Bundesamts für Sozialversicherungen sind die Kassen der AHV, wenn wir nichts unternehmen, 2030 leer. Die Demografie zieht den Vermögensstand des Fonds nach unten.

Wie wirkt sich die Zuwanderung aus?
Die Zuwanderung wirkt zunächst positiv, denn die Zuwanderer bezahlen ja auch ihre Beiträge. Sie haben in den vergangenen Jahren einen positiven Beitrag geleistet. Allerdings werden sie auch älter und einmal Rentner, da müssen wir dann Renten zahlen.

Die Politik hat erkannt, dass etwas getan werden muss. Das Projekt zur Altersvorsorge 2020 ist jedoch gescheitert. Sind die nun eingeleiteten neuen Massnahmen zielführend?
Ich kann und will mich nicht politisch äussern. Wir verfolgen das Geschäft natürlich sehr intensiv. Ich bin froh, dass die Revision der Altersvorsorge, nicht der AHV allein, ein wichtiges Thema ist.

Wie sinnvoll ist es aus Sicht der AHV, die erste und die zweite Säule getrennt zu behandeln?
Auch das ist ein politisches Thema, zu dem ich mich nicht äussern möchte. Die zweite Säule ist grundsätzlich mit denselben Herausforderungen konfrontiert wie die AHV, also mit der Demografie und den Zinsen. Das Modell der Vorsorge in der Schweiz wurde nicht mit Blick auf Negativzinsen aufgebaut. Sie sind für beide Säulen ein Problem.

Als ein Kernproblem haben Sie auf die Alterung der Bevölkerung hingewiesen. Also (ALSN 125 -0.16%) müsste zur Sanierung da angesetzt werden.
Das Vermögen der AHV schrumpft stetig, wenn wir nichts tun. Nun gibt es zwei Arten von Massnahmen, die wir ergreifen können. Man kann einfach mehr Geld in die AHV pumpen. Das hilft, keine Frage. Allerdings wird dadurch einfach die Schrumpfung des Vermögens hinausgeschoben, vielleicht um einige wenige Jahre, je nach Betrag, der ins System gepumpt wird. Aber das Problem wird dadurch nicht gelöst, die Kurve der Vermögensentwicklung wird lediglich verschoben. Die andere Variante wäre ein automatischer Anpassungsmechanismus, wie ihn andere Länder kennen. Gemeint ist ein Automatismus, der greift, wenn gewisse Eckwerte erreicht werden.

Das wäre dann ein Interventionsmechanismus, der ab bestimmten Grenzen automatisch Massnahmen im Rentenalter vorsehen würde. Das wurde zwar diskutiert, jedoch abgelehnt.
Ja, wir sollten strukturelle Massnahmen ergreifen, um die AHV zu stabilisieren. Müsste man nicht über das Rentenalter diskutieren, so wie das die meisten Nachbarländer wie auch die nordischen Staaten tun?

Versuchen Sie diese Gedanken auch den Politikern zu vermitteln?
Da sind viele Diskussionen in Gang. Wir intervenieren jedoch nicht im politischen Prozess. Aber wir wollen und müssen korrekt informieren. Wir erklären, was wir tun und welche Konsequenzen gewisse Massnahmen haben.

Die Steuervorlage 17 soll mit der AHV-Revision verknüpft werden. Wie stehen Sie zu diesem Vorgehen?
Ich überlasse diese Diskussion den politischen Akteuren.

Der Vorschlag würde einfach die Kurve hinausschieben und strukturell nichts ändern?
Rund 2 Mrd. Fr. Mehreinnahmen jedes Jahr sind gut. Aber sie reichen bei weitem nicht, um die AHV nachhaltig zu sanieren. Gemäss den Prognosen des BSV beträgt das Defizit 2030 rund 7 Mrd. Fr. Das Problem wird nicht gelöst, sondern hinausgeschoben.

Damit wird auch die politische Lösung weiter vertagt.
Wir haben noch Zeit, es brennt noch nicht. Aber auch in diesem Jahr resultiert im Umlageergebnis ein Verlust von über 1 Mrd. Fr. Sollte das Anlageergebnis auch negativ ausfallen, beschleunigt sich die Bewegung nach unten.

Wie schätzen Sie die Lage an den Kapitalmärkten ein? Wird sich an der Zinssituation kurzfristig etwas ändern?
Irgendwann wird sich die Lage normalisieren, das heisst, die Zinsen werden wieder steigen. Wann dies jedoch der Fall ist, wissen wir nicht, das kann noch dauern. In den USA scheint das Ganze in Bewegung zu kommen. In der EU gibt es dafür kaum Zeichen, und die Schweiz wird sich nicht von allein bewegen. Vorderhand müssen wir mit dieser Situation leben.

Wie haben Sie Ihre Anlagepolitik diesem Umfeld angepasst?
Wir sind ein Reservefonds. Es geht nicht darum, einen möglichst hohen Ertrag aus festverzinslichen Papieren, also Obligationen und Darlehen, zu generieren. Zwei Drittel unserer Mittel sind in solchen Produkten angelegt, ein Viertel in Aktien und der Rest in kotierten Immobilien. Das ist insgesamt eine sehr konservative Allokation.

Haben Sie diese Allokation der Situation mit den niedrigen Zinsen angepasst?
Wir haben rund zwei Drittel unseres Vermögens im Ausland investiert. Das hat zwei Gründe. Erstens ist der Schweizer Markt ziemlich klein. Wir dürfen keinen Einfluss auf den Markt ausüben. Zudem geht es auch um eine Risikoabwägung. Es ist besser, nicht alle Gelder in denselben Wirtschaftsraum zu investieren. Dafür sind wir anderen Währungen mit dem entsprechenden Risiko ausgesetzt, das wir jedoch grösstenteils absichern.

Ist die Aktienquote nicht etwas gar niedrig?
Wenn wir einen sehr langfristigen Anlagehorizont hätten, könnten wir mehr Aktien halten. Unser Vermögen ist aber instabil. Wir müssen jederzeit die Liquidität sicherstellen. Es geht auch darum, zu verhindern, dass das Portfolio in einem schlechten Jahr massiv an Wert verliert. 2008 war ein Beispiel dafür. Wir konnten das relativ rasch wettmachen. Dennoch haben wir eine Änderung vorgenommen: Wir werden künftig der Liquidität viel grössere Bedeutung geben als bis anhin. Statt über die Volatilität zu steuern, wollen wir künftig vermehrt über die Liquidität steuern. Wir versuchen im Voraus abzuschätzen, wie viel Cashflow wir brauchen werden, und gestalten das Portfolio entsprechend.

Das ist ein Strategiewechsel.
Ja, es ist eine Änderung der Philosophie unserer Anlagepolitik. Wir sind jetzt in diesem Prozess der Umgestaltung unserer Politik. Wir schichten das Portfolio so um, dass wir kurzfristig stets genug Mittel haben. Gewisse Teile sind und bleiben langfristig angelegt. Wir müssen in der Lage sein, das wachsende Umlagedefizit zu finanzieren. Das gibt natürlich auch einen Druck auf die Rendite.

Die Immobilien spielen in Ihrem Portfolio eine relativ kleine Rolle. Sehen Sie da einen Ausbau?
Im Moment sind die Preise für Direktanlagen in Immobilien nicht gut. Verbriefte Anlagen sind kein Problem. Immobilien sind natürlich langfristige Anlagen, es ist nicht der richtige Moment, hier jetzt mit grossen Beträgen auszubauen. Die Zinsen können mittelfristig nur nach oben gehen, die Renditen sind damit eher niedrig.

Eigentlich ist es problematisch, dass eine derart langfristig ausgerichtete Institution wie die AHV nun kurzfristig investieren muss.
Ja, aber um langfristig zu investieren, bräuchten wir einen stabilen Anlagehorizont. Unsere Hauptaufgabe ist die Sicherstellung der Liquidität. Es ist nicht erste Priorität, eine  möglichst hohe Rendite zu erarbeiten, sondern die nötige Liquidität jederzeit zu garantieren, das ist mit einem schrumpfenden Vermögen zentral. Die Anlagepolitik ist in diesem Rahmen zu sehen.

Ist das in Mode gekommene nachhaltige, also umweltschonende Anlegen für den AHV-Fonds ein Thema?
Wir achten bei unseren Anlagen natürlich die Schweizer Gesetze und von der Schweiz unterschriebene Abkommen. Anlagen, die diesen Vorgaben nicht entsprechen, gehen wir nicht ein. Das überprüfen wir regelmässig. Weiter sind wir bisher nicht gegangen.

Es gibt aber politische Bestrebungen, nicht in besonders umweltbelastende Unternehmen zu investieren. Wenn man dem nachkommen wollte, würde dies auch auf die Rendite drücken.
Wahrscheinlich. Und wir sind per Gesetz verpflichtet, die Interessen der Versicherten zu verteidigen. Das ist unser Fokus.

Der AHV-Fonds ist in seinem Abstimmungsverhalten an Generalversammlungen aktiver geworden, das geht auch auf die «Minder-Initiative» zurück. Wie gehen Sie genau vor?
Wir sind der entsprechenden Gesetzgebung nicht unterstellt, aber wir haben entschieden, das freiwillig umzusetzen. Wir nehmen die Stimmrechte in Schweizer Unternehmen wahr, von denen wir direkt Aktien halten. Das auch im Ausland zu tun, wäre sehr aufwendig und kompliziert. Wir stimmen an den Generalversammlungen von rund achtzig Unternehmen ab. Wir bereiten das sehr seriös vor und haben auch ein entsprechendes Reglement erarbeitet, das sich auf unserer Webseite befindet. Die Entscheide, die wir getroffen haben, sind öffentlich.

Nach welchen Kriterien stimmen Sie jeweils ab?
Zwei Themen stehen im Vordergrund. Zunächst die Amtsdauer der Organe der betreffenden Gesellschaft. Wir finden es nicht gut, wenn sie zum Teil zwanzig oder mehr Jahre im Amt sind. Es braucht ab und zu neue Gesichter und Meinungen. Das zweite grosse Thema sind die Vergütungen an VR und Geschäftsführung. Die Vergütungen sollten sich einigermassen parallel zu den Geschäftsergebnissen bewegen. Wir setzen uns auch für klare, transparente Bestimmungen ein.

Sprechen Sie mit den Unternehmen vor der GV?
Ab und zu haben wir Kontakte, vor allem, um Unternehmen darauf aufmerksam zu machen, wenn uns etwas nicht gefällt. Wir werden eher selten von den Unternehmen selbst kontaktiert, aber wir sind immer zum Gespräch bereit.

Arbeiten Sie mit Stimmrechtsberatern?
Ja, wir haben einen externen Berater, der nur für uns arbeitet. Es ist keiner der grossen Stimmrechtsberater. Wir gleichen unsere Meinung jeweils mit ihm ab. Gibt es Differenzen, entscheidet unser Verwaltungsrat. Dieser Prozess hat sich bewährt.

Mussten Sie für die Wahrnehmung dieser Stimmrechte einen neuen Apparat aufbauen? Wie gross ist da der Aufwand?
Wir sind natürlich nicht physisch präsent an der GV, wir stimmen brieflich oder elektronisch ab. Der Zusatzaufwand hält sich für uns in engen Grenzen. Wir haben die Unternehmen, in die wir investieren, schon immer verfolgt.

Zum Abschluss eine visionäre Frage: Können auch die folgenden Generationen noch mit einer AHV-Rente rechnen, in zehn, zwanzig oder dreissig Jahren?
Ja, ich bin optimistisch. Die Schweiz wird die Wege finden, um die AHV und auch die zweite Säule zu sichern.

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