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09:43 Uhr - 11.03.2016

«Am sichersten sind Cash und Gold»

Luiz Pinto-Coelho, Investmentstratege und GL-Mitglied der Bank Gutzwiller, erwartet weitere Aktienrückschläge. Weshalb, und auf welche Aktien er ausser Cash und Gold trotzdem setzt, verrät er im Interview.

«Nein», sagt Luiz Pinto-Coelho von der Basler Privatbank Gutzwiller auf die Frage, ob im Umfeld niedrigster Zinsen weiterhin ohne Alternative sind: «Es gibt immer eine Alternative, nämlich Cash.» Die Bank hält im ausgewogenen Modellportfolio eine im Branchenvergleich tiefe Aktienquote von 30%, dafür – ausser 40% Obligationen und alternative Fonds – 10% Gold (Gold 1268.75 -0.17%) und 20% Cash.

Herr Pinto-Coelho, das mutet sehr vorsichtig an. Was sollen forschere Investoren tun?
Referenz für risikofähigere und -willigere Kunden ist unser Wachstumsmodell. Es besitzt einen Aktienteil von 40%, ist jedoch wie das ausgewogene Depot mit 10% Gold und 20% Cash bestückt. Diese Allokation, in beiden Portfolios, gilt seit rund einem Jahr.

Denken Sie nach dem Aktieneinbruch über eine Veränderung, eine Aufstockung, nach?
Eigentlich gehen wir von einer unveränderten Allokation bis gegen Ende Jahr aus.

Aktien sind billiger geworden.
Sie sind weniger teuer, zumindest in den USA, wo sie vorher am teuersten waren. Doch die US-Unternehmen befinden sich in einer Gewinnrezession. Es fehlt an Wachstumspotenzial. Dieses Jahr wird für die Unternehmen ein schwieriges Jahr, nicht nur in Amerika. In einer deflationären Umgebung, wie wir sie seit geraumer Zeit erleben, haben sie keine Preismacht.

Es fehlt an Alternativen zu Aktien. Ist das ein Kaufgrund?
Es gibt stets eine Alternative zu Aktien, nämlich Cash, und nichts verdienen ist immer noch besser als verlieren. Auf den Aktienmärkten lastet weiterhin grosse Unsicherheit, die umso schwerer wiegt, als die Kurse vorher lange gestiegen waren.

Der Bärenmarkt ist für Sie Tatsache, weshalb?
Viele Fragen sind offen: Fällt die US-Wirtschaft in eine Rezession, da die Unternehmensinvestitionen, die die konjunkturelle Erholung stützen sollen, ausbleiben? Harte oder sanfte Landung in China, wobei – ein Wachstumsrückgang von 11 auf 6% oder noch weniger ist per se schon hart. Wird der Renminbi weiter abgewertet? Das wäre schädlich auch für andere Schwellenmärkte. Europa wird von politischen Problemen geplagt, Flüchtlinge, der Brexit. Das ist keine vertrauensbildende Basis.

Wie würden die Märkte auf einen Austritt der Briten aus der EU reagieren?
Ich glaube nicht, dass die Briten der EU den Rücken kehren werden. Sie würden sich damit selbst am meisten schaden. Aber die Debatte ist ein Präzedenzfall für Europa und wird dementsprechend hitzig geführt. Die Verunsicherung hält bis auf weiteres an.

Wäre der Brexit das Ende des Euros?
So weit würde ich nicht gehen, ausser, es käme zur politischen Spaltung zwischen Deutschland und Frankreich und im Sog davon den Beneluxländern. Der Brexit wäre in erster Linie eine Zerreisprobe für die politischen Institutionen in der EU und erst später für den Euro. Der grösste Leidtragende wäre unmittelbar das Pfund, das jetzt schon schwächelt.

Wenn Sie den Börsentaucher der letzten Monate mit früheren Baissen vergleichen, was ist gleich, was anders?
Die Begleitumstände sind mehr oder minder immer die gleichen, mit einer Ausnahme: Aktuell haben wir es mit einem deflationären Umfeld zu tun. Das gab’s lange nicht mehr, letztmals in den Dreissigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Das bedeutet nicht, dass sich die Geschichte wiederholt. Es sind Tendenzen, keine ausgeprägte Deflation wie damals. Aber es ist ein Restrisiko. Auch die Ölschocks in den Siebzigerjahren waren ein Debakel, damals wegen Inflation. Allein die britische Börse verlor damals fast zwei Drittel ihres Werts.

Den Kampf gegen Deflation führen die Notenbanken bisher mit bescheidenem Erfolg. Wie viel Spielraum haben sie noch?
Auch bei der Geldpolitik gilt das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Es liegt jetzt an den Regierungen, die Wirtschaft zu unterstützen und die Konjunktur zu beschleunigen, mit fiskalischen Schritten, mit strukturellen Reformen, mit Deregulierung und so weiter. Stattdessen wird darüber diskutiert, noch mehr Geld zu drucken und helikoptermässig übers Land zu verteilen – eine unsinnige Idee.

Was bewirken Negativzinsen?
Die Europäische Zentralbank hat den monetären Spielraum, der ihr noch zur Verfügung stand, erwartunsgemäss genutzt. Doch auch Null- respektive Negativzinsen sind von begrenztem Nutzen. Sie engen die Zinsmarge der Banken ein, die wegen der Regulierungsverschärfung eh schon unter Druck stehen. Das behindert die Kreditvergabe an kleinere und mittelgrosse Unternehmen und damit letztlich die ganze Wirtschaft. Wir stecken in einer Vertrauenskrise. Der wieder steigende Goldpreis spiegelt das deutlich.

Was schüfe Abhilfe? Gibt es Lichtblicke?
Um wieder Vertrauen zu schaffen, ist wie gesagt in erster Linie die Politik gefordert. Da sind Lichtblicke zurzeit rar. Die Notenbanken haben noch etwas Manövrierraum, und die EZB wird ihn wohl nutzen. Positiv wäre zu werten, wenn die US-Zentralbank trotz politischem Widerstand den Leitzins in diesem Jahr nochmals ein Stück heraufsetzen würde, womit wir auch rechnen. Der US-Wirtschaft geht es nicht so schlecht, der Konsum, der Wohnungsmarkt, der Arbeitsmarkt hellen sich auf. Das verträgt sich nicht mit einem Zins nahe der Nulllinie. Noch fürchten sich die Anleger vor einem Entzug von Liquidität. Später werden sie es begrüssen und den Umstand honorieren, dass höhere Zinsen Ausdruck einer gesunden Wirtschaft sind.

zoomWas ist sicherer, Cash oder Gold? Beides gewichten Sie in den Musterdepots hoch.
Der Goldpreis wird nicht explodieren, aber Gold mutiert in Zeiten erhöhter Unsicherheit zur Fluchtwährung. Wer Cash hält, kann nominal nichts verlieren. Auch das ist eine Versicherung. Doch Cash ist eine Papierwährung. Wenn alle Stricke reissen, ist physisches Gold der letzte Anker.

Wenn alle Stricke reissen – eine realistische oder eine hypothetische Annahme?
Hypothetisch, es hat sich einfach vieles rasch zum Schlechteren entwickelt. Kurz- bis mittelfristig bin ich negativ gestimmt, langfristig jedoch zuversichtlich. Die Wirtschaft liegt nicht am Boden. Kostensparen und Kapazitätsabbau in der Industrie gehen weiter. Der Konsum schlägt sich wacker, und der Ölpreis wird sich auf niedrigem Niveau einpendeln und letztlich von Vorteil sein.

Wohin steuern die Börsen?
Mit Blick auf hohe Unsicherheit haben sie die Talsohle noch vor sich. Ein weiterer Rückgang um 10 oder 15% würde nicht überraschen. Wenn sich dann fürs nächste Jahr die Aussichten aufhellen, werden sich die Märkte im vierten Quartal steigern.

Welche Aktien favorisieren Sie?
Wir konzentrieren uns auf defensive Titel und auf Aktien grosskapitalisierter, global aktiver Unternehmen. Sie sind nicht von einem Land oder von einer einzigen Region abhängig, und die Titel sind liquide. Zyklische Werte sind interessant, doch der Kaufzeitpunkt ist verfrüht.

Wie halten Sie es mit dem Schweizer Markt, welche Titel zieht Gutzwiller vor?
In ein Frankendepot gehört allein aus Währungsgründen ein hoher Schweizanteil. Konsum, Versicherungen und Medizinaltechnik sind unsere Favoriten. Bei Pharma sind wir generell vorsichtig, der globale Trend zur Eindämmung der Gesundheitskosten wird den Sektor weiter belasten. Von Bankaktien halten wir uns fern. Sie bürgen noch nicht für Qualität. Zu viele Fragen sind offen: Zinsentwicklung, Regulierung, Umbau, Geschäftsmodell, Schatten der Vergangenheit. Die Visibilität ist eingeschränkt. Regional meiden wir die Schwellenländer und ziehen Europa und Japan dem US-Markt vor.

Fünf Ideen, auch abseits von Mainstream?
Daimler-Benz sind Nutzniesser des VW-Skandals, und die Aktien sind preiswert. Der Luxusgüterkonzern Hermès besitzt im Branchenvergleich einen recht konjunkturresistenten Produktmix. Orpea ist ein erfolgreicher französischer Betreiber von Pflege- und Seniorenheimen und profitiert vom demografischen Wandel, genauso wie Straumann (STMN 326.75 1.08%), unsere vierte Idee. Der Zahnimplantathersteller hat sich vielversprechend restrukturiert. Die fünfte ist Geberit (GEBN 365.5 1.11%), der Sanitärtechniker ist in ganz Europa und besonders in Deutschland bestens positioniert.

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