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14:42 Uhr - 28.01.2015

«Das Fed unterschätzt die Dollarstärke»

Joseph Gagnon, Ökonom am Peterson Institute, sieht die EZB auf dem richtigen Weg und empfiehlt der Schweiz eine expansivere Fiskalpolitik, wie er im Interview mit der FuW erläutert.

Seit vergangener Woche gehört auch die Europäische Zentralbank (EZB) zum Club der grossen Notenbanken, die quantitative Lockerung (QE) betreiben oder betrieben haben. Durch Anleihenkäufe von monatlich 60 Mrd. € will sie im Kampf gegen die Deflation den Euro schwächen und die Wirtschaft stimulieren. «Finanz und Wirtschaft» sprach mit dem Ökonomen Joseph Gagnon vom Peterson Institute of International Economics über die Wirksamkeit des angekündigten Anleihenkaufprogramms und über den Entscheid der SNB (SNBN 1001 1.11%), den Euromindestkurs aufzuheben.Zur PersonDer Nationalökonom Joseph Gagnon (54) ist Senior Fellow am einflussreichen Think-Tank Peterson Institute for International Economics in Washington. Zuvor arbeitete er für die US-Notenbank und für das US-Finanzministerium.

2011 verfasste er ein Buch über den Nutzen von flexiblen Wechselkursen («Flexible Exchange Rates for a Stable World Economy»). Gagnon war Dozent an der Berkeley-Universität in Kalifornien. Er studierte in Harvard und promovierte in Stanford.
Gagnon war zuvor einer der schärfsten Kritiker des Mindestkurses und forderte im Interview mit der FuW vor zwei Jahren Strafzölle gegen die Schweiz.

Herr Gagnon, hat die EZB mit dem Anleihenkaufprogramm den richtigen Schritt gemacht?
Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Ich glaube allerdings nicht, dass dieser Schritt auch nur annähernd ausreichen wird, um innerhalb der nächsten zwei Jahre Vollbeschäftigung und eine Inflationsrate von 2% zu erreichen.

In den USA hat das Anleihenkaufprogramm QE3 aber nicht schlecht funktioniert?
Die beiden Programme sind zwar in etwa vergleichbar. Allerdings befindet sich die Wirtschaft der Eurozone heute in einem  deutlich schlechteren Zustand als die US-Konjunktur zum Zeitpunkt der Lancierung von QE3 Ende 2012. Ich hoffe deshalb sehr, dass die EZB bereit ist, den Geldhahn noch weiter aufzudrehen und weitere Massnahmen zu ergreifen. Mario Draghi wird früher oder später erkennen, dass es mit diesem Programm allein nicht gelingen wird, die Deflationsgefahr zu bekämpfen und mittelfristig das Inflationsziel von 2% zu realisieren. Ich schliesse nicht aus, dass die EZB den Leitzins noch weiter wird senken müssen.

Rechnen Sie mit einer weiteren Abwertung des Euros gegenüber dem Dollar? Wird die Parität schon bald Realität sein?
Der jüngste Kursverfall des Euros signalisiert einerseits die konjunkturelle Schwäche im Euroraum und andererseits die Erwartung der Märkte, dass die Währungshüter in Frankfurt die Geldschleusen noch weiter öffnen müssen. Dazu, ob es zur Euro-Dollar-Parität kommen wird, will ich keine Prognose wagen. Ich halte das allerdings für wesentlich wahrscheinlicher, als dass die Gemeinschaftswährung wieder die Marke von 1.30 $ erreicht, auf der sich der Kurs, von geringen Abweichungen abgesehen, lange Zeit eingependelt hatte.

Ihr Kollege Fred Bergsten hat 1.30 $/€ stets als den langfristigen Gleichgewichtskurs beschrieben. Lag er also falsch?
Vor der Krise befand sich die Eurozone gemessen an der Handelsbilanz im Gleichgewicht, während die USA wie auch heute ein Defizit aufwiesen. Das sprach dafür, dass der Euro eigentlich noch stärker hätte sein müssen, mit Kursen zwischen 1.40 und 1.50 $/€. Dass das nicht passierte, lag an den wirtschafts- und geldpolitischen Fehlentscheidungen sowie an der mangelnden Reaktionsgeschwindigkeit der Politiker in Europa. Das ist der Grund, weshalb der Euro so schwach ist und im Euroraum gar steigende Leistungsbilanzüberschüsse zu erwarten sind.

Wann wird die US-Exportwirtschaft die Folgen des starken Greenbacks zu spüren bekommen?
Das tut sie bereits heute. In verschiedenen Branchen klagen Exporteure über stornierte Aufträge und sehen sich gezwungen, die Produktion zu drosseln und auf Neueinstellungen zu verzichten oder Mitarbeiter zu entlassen. Ich verstehe nicht, warum Finanzminister Jack Lew trotz des Dollarhöhenflugs die Ansicht vertritt, dass sich dieser weiter fortsetzen soll. Damit erweist er heimischen Exporteuren keinen guten Dienst. Ich befürchte offengestanden, dass auch die Zentralbank die Bedeutung dieser Folgen für die Gesamtwirtschaft unterschätzt. Die US-Notenbank Fed ist meines Erachtens deutlich zu optimistisch in ihrer Einschätzung sowohl der Wachstumsaussichten für die USA als auch der Inflation beziehungsweise der potenziellen Deflationsgefahr.

Welche Folgen wird die Euroschwäche für die Exportwirtschaft der Währungsunion haben?
Für die Exportwirtschaft der Eurozone ist die Abwertung des Euros, vorrangig gegenüber dem Dollar, aber auch gegenüber dem Franken, eine ausgesprochen gute Nachricht.

Wird sie ausreichen, um der Wirtschaft die notwendigen Impulse zu geben?
Die Wechselkursanpassung wird nur moderat helfen. Der Euro müsste deutlich unter Parität zum Dollar fallen, um eine kräftige Erholung zu ermöglichen. Statt auf einen weiteren Kursverfall zu setzen, sollten die Eurostaaten und übrigens auch die Schweiz eine Politik verfolgen, die eine auf starke Binnennachfrage gestützte Erholung fördert. Diese auch von den Amerikanern wiederholt gestellte Forderung, die inländische Nachfrage stärker anzukurbeln und die Abhängigkeit von Ausfuhren zu verringern, dürfte nun aber erst recht auf taube Ohren stossen.

Die SNB hat mit der Aufhebung des Euromindestkurses eine Kehrtwende in ihrer Geldpolitik vollzogen. Haben die Schweizer Währungshüter das Richtige getan?
Für sich genommen war es zweifellos die korrekte Entscheidung. Die wichtigere Frage aber lautet: Was kann die SNB jetzt noch tun? Eine weitere Senkung der Leitzinsen wäre hilfreich, aber auch das genügt nicht. Die Inflation ist jetzt schon eindeutig zu niedrig und wird als Folge des starken Frankens noch weiter sinken.

Sollte die SNB auch Anleihenkäufe in Erwägung ziehen?
Quantitative Lockerung könnte der einzige Weg sein, um die Risiken effektiv zu bekämpfen. Da die Renditen für Staatsanleihen aber bereits unter null liegen, sollte die Notenbank ihren Fokus darauf richten, Aktien und Unternehmensanleihen zu kaufen. Sollte die Arbeitslosigkeit deutlich steigen, hätte die Regierung fraglos den notwendigen fiskalpolitischen Spielraum, um Ausgabenprogramme zu beschliessen und Steuern zu senken.

Sie haben der Schweiz vorgeworfen, ein grösserer Währungsmanipulator als China zu sein. Nach dem SNB-Entscheid zielt diese Kritik ins Leere.
Insoweit, als die SNB jetzt nicht mehr Devisenreserven anhäuft, um den Wert der eigenen Valuta zu drücken, hat sie ihre aktive Wechselkursmanipulation in der Tat eingestellt. Empirisch nachgewiesen ist aber, dass die Folgen der Manipulation noch lange Zeit fortbestehen können, solange eine Zentralbank Fremdwährungsreserven in diesem Umfang hält.

IWF-Direktorin Christine Lagarde war irritiert, dass SNB-Präsident Thomas Jordan sie nicht vorher über die Entscheidung informiert hatte. Hätte er sie vorher benachrichtigen sollen?
Natürlich nicht. Das Versäumnis liegt nicht heute bei der SNB, sondern lag 2011 beim Währungsfonds. Die IWF-Statuten verpflichten den Fonds, Mitgliedländern zu untersagen, dass sie Wechselkurse manipulieren, um ihrer Exportwirtschaft einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das aber hat der IWF damals nicht getan und sollte sich daher auch jetzt nicht beschweren.

Auch die führenden Notenbankchefs wurden über den Schritt der SNB nicht in Kenntnis gesetzt. War das ein Fehler?
Nein. Der Fehler bestand darin, dass die SNB 2011 anlässlich der Einführung des Mindestkurses  nicht vorher die Europäische Zentralbank und das Fed konsultierte. Zentralbanken sollten generell verpflichtet sein, von Ländern, deren Währungen sie aufkaufen, die Zustimmung einzuholen. Darüber, dass der Mindestkurs aufgegeben wurde, bestand vorher kein Aufklärungsbedarf.

Warum nicht?
Der Schritt musste überraschend kommen. Hätte die SNB mit anderen Notenbanken oder dem IWF gesprochen, wäre das unweigerlich an die Märkte durchgesickert. Dann hätte sich jeder Devisenhändler auf dem Erdball vorher zum Mindestkurs mit Franken eingedeckt und daran grosses Geld verdienen können.

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