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16:00 Uhr - 23.01.2018

Am Wef ist die Politik das Sorgenkind

In Davos zeigt sich die Elite besorgt um die wachsende Ungleichheit, rebellierende Globalisierungsverlierer und populistische Staatschefs.

Am Weltwirtschaftsforum Wef in Davos scheint nicht die Weltwirtschaft das meist diskutierte Thema. «Die Zukunft der Politik» betitelt etwa die Credit Suisse (CS) ein fünfzig Seiten starkes Research-Dokument zum Wef (siehe Kasten unten). Das Forum selbst hat sich das Motto «Eine gemeinsame Zukunft in einer gespaltenen Welt schaffen» gesetzt.

Die Weltkonjunktur präsentiert sich so gut wie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr. Der Internationale Währungsfonds hat die Wachstumsprognosen für fast alle Industrieländer nach oben gesetzt. Trotzdem fürchtet sich die in Davos versammelte Elite. Angst macht ihr die Wut der Globalisierungsverlierer.

Keine einfachen Antworten

Einfache Antworten vom Wef kann es nicht geben, wie der CS-Report unterstreicht. Denn der Aufstieg der Populisten ist nur zu einem Teil auf ökonomische Effekte zurückzuführen. Die politischen Verwerfungen sind auch durch die Angst vor dem Verlust der kulturellen Identität und die Frustration über gelähmte Regierungen entstanden. Die Wirtschaftselite muss sich also plötzlich und ungewohnt mit Kultur und Politik statt mit ihnen vertrauten Themen wie Technologie und Management-Methoden beschäftigen.

An einer Podiumsdiskussion im sonnigen Davos, organisiert von CS, erkennt Mario Monti eine paradoxe Situation. Der ehemalige italienische Premierminister erklärt: «Der Weltwirtschaft geht es im Moment so gut, dass der Anreiz fehlt, die Art der politischen Führung zu überdenken.» Dabei sei nun eine engere politische Zusammenarbeit international nötig, um negativen Entwicklungen entgegenzusteuern. Die Europäer würden sich als die Einzigen fühlen, die noch Werte wie der Kampf gegen den Klimawandel, Begrenzung der Einkommensungleichheit und multilaterale Kooperation noch hochhalten würden.

Gegenreaktion auf Trump

Das Paradox: Je stärker sich der Populismus in der Politik Donald Trumps oder in der Diskussion um die Implementierung des Brexit ausdrückt, desto stärker wächst der Zusammenhalt in der Europäischen Union, meint Monti. «Die europäischen Regierungschefs sind Trump sehr dankbar – je mehr er gegen internationale Zusammenarbeit wettert, um so stärker ist ihr Zusammenhalt.»

Die US-Ökonomen Kenneth Rogoff und Joseph Stiglitz schätzen die Lichtblicke während der Amtszeit von Donald Trump ähnlich ein, obwohl sie seiner Amtsführung sonst wenig Gutes abgewinnen können. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz konstatiert, dass «Trump mehr spaltet, als wir erwartet haben». Doch gleichzeitig hätten sich die amerikanischen Institutionen bisher bewährt und sich als widerstandsfähig erwiesen. Das gleiche könnte für die Weltgemeinschaft gelten. So hat sich Trump bisher geweigert, einen Richter für das Berufungsorgan der Welthandelsorganisation WTO zu benennen. Stiglitz führt aus: «Das könnte die WTO lähmen. Aber die anderen Länder könnten alternativ auch sagen: Wir halten an unserer Weltordnung fest – mit oder ohne die USA.»

Märkte reagieren auf Politik nicht mehr

Harvard-Professor Kenneth Rogoff beobachtet, dass Investoren sich von einer besorgniserregenden politischen Lage kaum verunsichern lassen: «Die Marktvolatilität ist ungemein niedrig, die politische Volatilität dagegen ungemein hoch.» Die Märkte hätten sich von der politischen Realität abgekoppelt.

Einer der identifizierten Gründe für die hohe politische Unsicherheit ist die wachsende Einkommensungleichheit in den entwickelten Ländern.

Für Joseph Stiglitz – der seit Jahrzehnten vor der wachsenden Ungleichheit warnt – ist der Bruch schon Mitte der Siebzigerjahre geschehen. Seit dann habe in den USA die Entwicklung der Löhne nicht mehr mit der Entwicklung der Produktivität Schritt gehalten. Der Anteil der Löhne an der Wertschöpfung sei in den vergangenen Jahrzehnten von drei Vierteln auf ungefähr 60% gefallen. «Das hat extreme Auswirkungen auf die Gesellschaft», sagt Stiglitz. Nun müsste die Politik entgegensteuern.

Macht der Tech-Giganten

Stiglitz sieht in der wachsenden Macht der Technologie-Unternehmen einen wichtigen Treiber für die Ungleichheit. Amazon und Co. könnten – unbemerkt vom Konsumenten – durch die Anhäufung von Daten individuelle Preise setzen und damit einen immer höheren Umsatz je Kunden erzielen. Also sich auf Kosten der Kunden bedienen.

Das Wettbewerbsrecht in den USA ist nach Ansicht von Stiglitz veraltet. So werde das Robinson-Patman-Gesetz, das die Preisdiskriminierung verbietet, schon seit langer Zeit nicht mehr angewendet. Rogoff sekundiert: «Würde man die Tech-Konzerne zwingen, ihre Preispolitik zu veröffentlichen, würden die Kunden sofort reagieren.» Es fehlten aber politische Vorgaben, um solch eine Transparenz zu erreichen.

Stiglitz mahnt, die USA und Europa müssten gegen den Steuerwettbewerb vorgehen. Man brauche eine Minimum-Unternehmenssteuer, so dass die Tech-Konzerne sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen müssten. Für Mario Monti ist noch «offen», ob sich der Kampf um den niedrigsten Steuersatz selbst innerhalb der Europäischen Union stoppen lasse.

Keine Risikoprämie mehr

Dass die Investoren schwierige politische Entwicklungen ignorieren würden, ist vielleicht keine irrationale Entscheidung, meint Michael Strobaek, Chief Investment Officer der Credit Suisse. Strobaek erinnert sich: «Nach dem Brexit-Referendum wie auch nach der Wahl Trumps haben sich die Aktienmärkte gut entwickelt.» Wer damals auf fallende Kurse gesetzt habe, der hätte verloren.

Die Risikoprämie für politische Gefahren sei stetig gesunken. Nun würde man sich am Markt – im Gegensatz noch zum Vorjahr – eher vor einer Überhitzung der Weltwirtschaft als vor einer säkularen Stagnation fürchten.

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