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13:38 Uhr - 30.05.2017

«Rüstung ist ein Thema»

Neil Dwane, Globalstratege von Allianz Global Investors, favorisiert Europa, wo noch viel Geld Rendite sucht. Auf welche Sektoren setzt er?

Herr Dwane, reicht die Kraft für weitere Gipfelstürme an den Börsen, oder ist der Zenit erreicht?
Die Kraft reicht aus, um die Aktienhausse fortzusetzen. Vor allem die europäischen Märkte befinden sich in einer aussichtsreichen Verfassung. Weder zeichnet sich eine substanzielle Veränderung der Geldpolitik ab, noch hat das viel diskutierte Wahljahr bisher zu einem Sieg der Extremparteien geführt. Die Unternehmensresultate sind robust, und die Konjunktur gewinnt stärker an Fahrt, als noch vor Monaten zu erwarten gewesen war.

Anlagestrategen sind sich einig wie noch selten, dass Europa zu favorisieren ist. Stimmt das nicht vorsichtig?
Strategen geben nur Empfehlungen ab. Auf die Investoren kommt es an, und da stellen wir fest, dass in Europa immer noch enorm viel Geld in Cash und in festverzinslichen Anlagen steckt, die kaum oder sogar negativ rentieren. Daran stören sich immer mehr Anleger. Sie fragen sich: Wie viele Risiken kann ich für eine einigermassen vernünftige Rendite verantworten, Obligationen- oder Aktienrisiken? Rendite brauchen alle: die Vorsorgeinstitute, um ihre Rentenverpflichtungen zu erfüllen, und die Privathaushalte für die Ausbildung der Kinder, die Gesundheits- und die individuelle Altersvorsorge.

Aktien oder Obligationen vorziehen?
Mit guten Obligationen verdient man maximal 1 bis 2%. Erstklassige Aktien werfen allein eine Dividendenrendite von teilweise 4% und mehr ab. Und nicht nur Aktien sind mit Kursrisiken behaftet. Obligationen verlieren an Wert, wenn die Zinsen steigen. Selbst wenn die Europäische Zentralbank den Leitsatz niedrig hält, so wird sich die Zinskurve in Europa nach oben bewegen, worunter auch kurzfristige Papiere leiden werden.

Weshalb steigt das Zinsniveau?
Weil die US-Notenbank begonnen hat, die Zinsen sachte zu normalisieren, und dieses Jahr weitere Erhöhungen plant. Die Zinsmärkte korrelieren, eine Zinserhöhung in den USA lässt Europa nicht unberührt.

Also (ALSN 132.2 0.69%) in Aktien investieren, obschon auch sie grösstenteils als überbewertet gelten?
Ja. In der Schweiz, in Skandinavien und in den Niederlanden sind Anleger ziemlich gut in Aktien vertreten. Aber in Italien, in Frankreich und in Deutschland ist das bei weitem nicht der Fall. In diesen Ländern belaufen sich die geschätzten Bargeldreserven von Unternehmen und Privaten auf 2 Bio. €. Auch wenn nur ein Teil davon in Aktien fliesst, gibt das den Märkten nochmals Schub. Ich behaupte nicht, dass die Entwicklung linear sein wird, aber der Aufwärtstrend ist nicht zu Ende.

Mit welcher Performance können Anleger für die nächsten sechs bis zwölf Monate rechnen?
Lassen Sie mich die Antwort in einen grösseren Zusammenhang stellen. Es gibt zwei Arten von Anlegerkunden: solche, die Einkommen suchen, und solche, die auf Kapitalgewinn setzen. Einkommen aufspüren ist einfacher, ich würde mich darauf konzentrieren. Das Dividendenniveau ist in Europa höher als anderswo. Einkommensorientierte Anleger können deshalb mit einer guten Sektor- und Titelauswahl einen Gesamtertrag von 5 bis 7% veranschlagen. Auf fünf Jahre hinaus, mit zwischenzeitlich grösseren Schwankungen, dürfte der durchschnittliche Aktienertrag bei 8 bis 9% pro Jahr liegen.

Nochmals, weshalb Europa? Die Staatsschulden sind immens, die europäischen Institutionen – siehe Brexit – wenig beliebt, und der Euro steht in der Kritik.
Sie nennen jetzt negative Faktoren. Nicht nur Europa, die Welt ist überschuldet, auch China und die USA. Für jede Einheit an Sozialprodukt, die kreiert wird, werden fünf bis sechs Einheiten Schulden benötigt. Die Schulden wachsen stärker als der Ertragspool der einzelnen Volkswirtschaften. Deshalb geht die finanzielle Repression weiter, das Bemühen, Wachstum und Inflation zu kreieren, um die realen Schulden zu senken. In zehn Jahren, mit einer Inflation von 4% und Zinsen von 1%, sind die realen Schulden halbiert. Das ist der Weg, den Europa gehen will. Für Anleger heisst das: in Sachwerte, in Immobilien und in Aktien investieren. Und die europäischen Märkte weisen im globalen Vergleich ein sehr attraktives Chancen-Risiko-Verhältnis auf.

Trotz der politischen Unsicherheit?
Die gibt es in den USA auch. Der Wahlausgang in den Niederlanden und in Frankreich hat die Ängste verbannt, und beim Brexit sind die Folgen noch gar nicht absehbar. Anleger verhalten sich im Vorfeld von solchen Ereignissen jeweils nervös, bevor sie sich rasch wieder anderen Themen zuwenden. Der politische Zyklus ist länger als die Aufmerksamkeitsspanne an den Finanzmärkten.

Was sind an den Märkten die neuen Themen, die heute und morgen beschäftigen?
Wir gehen davon aus, dass die Weltwirtschaft nur bescheiden, um 3 bis 4%, wachsen wird. China bringt es auf 6%, Japan auf 1% und die USA und Europa auf je 1 bis 2%. Der alte Kontinent hält also dank einer wieder stärkeren Binnenwirtschaft mit Amerika mit, was in der Vergangenheit nicht oft der Fall war. Umgekehrt bleibt der Konkurrenzkampf wegen des nur mässig positiven globalen Ausblicks intensiv und zwingt die Unternehmen, weiterhin zu konsolidieren und zu restrukturieren. Da hat Europa Nachholbedarf.

Auch acht Jahre nach der Finanzkrise?
Die Gewinnmargen europäischer Unternehmen bewegen sich durchschnittlich rund 30% unter denjenigen von US-Gesellschaften. Wenn Siemens (SIE 126.35 -0.2%) zum Beispiel die Rentabilität steigern will, dauert es länger als bei General Electric (GE 27.45 -0.15%). Das Umfeld ist anders, das Arbeitsrecht, die Sozialpläne. Das heisst aber nicht, dass Siemens nicht genauso erfolgreich – wenn nicht erfolgreicher – werden kann. Europäische Vermögenswerte, Know-how und Marktanteile sind beliebt. Das sieht man auch daran, wie stark beispielsweise China – Stichwort Syngenta (SYNN 429.25 -1.32%) – an europäischen Unternehmen interessiert ist.

Syngenta ist schweizerisch. Gehört auch die Schweizer Börse zu Ihren Favoriten?
Absolut. Langfristig würde ich die Schweiz sogar vorziehen, Schweizer Unternehmen sind weltweit verankert und erfolgreich. Mit Blick auf den konjunkturellen und strukturellen Nachholbedarf gefällt mir die Eurozone besser. Das zyklische Element, die Industrie, ist im Euroraum stärker vertreten als unter den führenden Schweizer Aktien, unter denen Pharma, Nahrungsmittel und Banken dominieren.

Sie haben von Sektorallokation gesprochen. Mögen Sie Bankaktien?
Eher nicht. Erstens gibt es in Europa zu viele Banken, und der Wettbewerb wird zusätzlich durch die Digitalisierung angeheizt, die das Bankgeschäft massiv verändern wird. Zweitens ist der Sektor zurzeit überreguliert. Man bekommt den Eindruck, Banken arbeiten nicht für die Aktionäre, für die Stakeholders, sondern für den Regulator. Und drittens bewegt sich die Bewertung der Bankaktien im Durchschnitt in Höhe des Buchwerts. Damit bieten sie einen Ertrag von rund 8%. Das ist okay, lässt aber wenig Raum nach oben.

Welche Sektoren sind empfehlenswert?
Der Immobilienmarkt, sieht man von Hot Spots wie Zürich, München und London ab. Dann Konsumtitel, vorausgesetzt, ein Unternehmen ist auch im Online-Handel erfolgreich, so etwa die spanische Bekleidungskette Inditex (ITX 36.205 0.64%) mit der Marke Zara, Zalando (ZAL 42.375 0.22%) aus Deutschland und Asos (ASC 75.1914 16.13%) aus Grossbritannien. Und vergessen wir nicht die Logistiker, sie sind Nutzniesser des boomenden Online-Versandgeschäfts, beispielsweise Deutsche Post (DPW 31.58 0%), Poste Italiane oder Bpost aus Belgien.  Interessant ist, dass auch Versicherer profitieren, wenn es den Konsumenten besser geht und der Wohlstand steigt. Dann wächst das Bedürfnis nach Absicherung.

Was kommt noch in Frage?
Ich weiss nicht, wie man in der Schweiz darüber denkt. Aber Rüstung ist ein Thema. Die europäischen Nato-Mitglieder sollen sich auf Drängen der USA verpflichten, mehr finanzielle Verantwortung zu übernehmen. Das könnte die Verteidigungs- und Rüstungsindustrie mit Unternehmen wie Thales oder Rheinmetall unterstützen. Hinzu kommt, wie erwähnt, das Thema Restrukturierung und Konsolidierung. Ein spannendes Beispiel, wie sich ein Unternehmen quasi neu erfindet und positioniert, ist Nokia (NOKIA 5.64 -1.09%). Vor Jahren fast totgesagt, hat sich der finnische Konzern unrentabler Aktivitäten entledigt. Dank Kooperationen in Übersee und der Integration von Alcatel-Lucent (6687 3.5 0%) in Europa ist er heute ein vielversprechender Anbieter von Telecominfrastruktur.

Wo ist Europa sonst noch stark in der IT?
Bei den sozialen Medien glänzt Amerika. Europa hat in dem Stärken, was ich als klassische IT bezeichne, wie Amadeus (AMS 49.95 2.03%) in der Reisetechnologie und SAP (SAP 94.96 -0.27%) in der Betriebssoftware. Dazu gibt es etliche Zulieferer, die erfolgreich unterwegs sind. Der Technologiestandort Europa ist nicht tot.

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