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10:26 Uhr - 13.12.2018

Die verlorene Generation

Leute in ihren Zwanzigern oder Dreissigern werden beschuldigt, ganze Branchen auf dem Gewissen zu haben. Dabei lässt die Wirtschaft gerade sie im Stich. Von Schulden erdrückt, blicken Millennials in eine wenig rosige Zukunft.

Die Liste ist lang und wird immer länger. Corn Flakes, Thunfisch in der Dose, Häuser, Autos und Hotelübernachtungen – sie alle haben etwas gemein: Millennials sollen sie auf dem Gewissen haben. Die Menschen in den Zwanzigern oder Dreissigern werden für die Absatzschwäche verantwortlich gemacht, weil sie angeblich lieber Avocado-Toast essen, via Airbnb die Welt erkunden und alles ständig in den sozialen Netzwerken teilen. Doch so einfach ist es nicht. Denn Millennials leiden stärker unter den Folgen der Finanzkrise als andere Altersklassen. Sie haben schlichtweg weniger Mittel zur Verfügung, um zu konsumieren, als die Generationen vor ihnen.

Die Researchorganisation Pew Research Center definiert Millennials als die Generation mit den Geburtsjahren 1981 bis 1996. Ihre definierenden Momente waren ein Terroranschlag (11. September 2001) und zwei Rezessionen (nach dem Platzen der Internetblase zur Jahrtausendwende und nach der Finanzkrise vor zehn Jahren). Seit zwei Jahren sind sie die zahlenmässig grösste Generation im US-Arbeitsmarkt.

Beschränkte Mobilität

Laut William Emmons, Ökonom der Distriktnotenbank von St. Louis, sind Millennials «die am besten ausgebildete Generation in der US-Geschichte». Denn schon früh wurde ihnen eingeprägt, dass sie nur mit einer guten Ausbildung erfolgreich sein können. Doch der Uniabschluss hat bisher nicht zum gewünschten wirtschaftlichen Erfolg geführt.

«Millennials geht es schlechter als den Generationen zuvor», sagt Alissa Quart, Autorin eines Buches über die verschwindende Mittelklasse in den USA. «Ihre Aufstiegschancen sind geringer.» Eine Studie des National Bureau of Economic Research bestätigt dies. Neun von zehn Amerikanern, die in den Vierzigerjahren geboren wurden, verdienten mit dreissig mehr als die Eltern. Seither ist dieses Verhältnis stetig gesunken. Von denjenigen, die während der Achtzigerjahre auf die Welt kamen, schaffte es nur noch jeder Zweite.

Eine Analyse der US-Notenbank Fed bringt es auf den Punkt. Verglichen mit früheren Generationen «verdienen Millennials weniger, sie haben weniger Vermögen und einen geringeren Wohlstand», schreiben die Autoren. Sie zahlen den Preis dafür, während der grossen Rezession nach der Finanzkrise in den Arbeitsmarkt eingetreten zu sein, als die Nachfrage nach Arbeit niedrig war. Inflationsbereinigt ist der Stundenlohn im vergangenen Jahrzehnt kaum gestiegen. Das Gleiche gilt für das durchschnittliche Einkommen. Das ist ein Problem. Denn laut Quart ist das Leben der Mittelklasse in den vergangenen zwanzig Jahren 30% teurer geworden. Das zeigt das Beispiel Schulbildung.

Erdrückende Schuldenlast

«Die hohen Studienschulden sind ein Grund, warum es den Millennials schlechter geht als früheren Generationen», sagt Quart. Inflationsbereinigt haben sich die Studiengebühren in zwanzig Jahren verdoppelt. Entsprechend gestiegen sind auch die damit verbundenen Schulden. Sie summieren sich mittlerweile auf 1,5 Bio. $ und haben sich seit der Jahrtausendwende fast verfünffacht. Ein Absolvent hat im Mittel Studienschulden in der Höhe von 39 400 $.

Millennials haben auch noch andere Verbindlichkeiten. Laut Sudipto Banerjee, Analyst beim Vermögensverwalter T. Rowe Price, haben «Millennials nicht viel Erspartes und benutzen darum die Kreditkarte, um im Notfall an Bargeld zu kommen». T. Rowe Price hat die Vermögenssituation von Millennials analysiert, die bei ihrem Arbeitgeber eine Vorsorgelösung haben. Vier von fünf haben Kreditkartenschulden. Im Durchschnitt betragen sie 18 000 $.

Gestiegen sind gemäss Quart auch die Wohnkosten in den Grossstädten. «Es gibt zwar günstige Wohnungen im Rust Belt», sagt sie. Das ziehe aber keine Millennials an, die im Technologiebereich, in der Medienbranche oder als Anwalt arbeiten wollen. «Also (ALSN 112 0.18%) zieht es die junge Mittelklasse in die Grossstädte, wo sie sich die Miete nicht leisten können.» Die Konsequenzen sind verheerend. «Menschen, die von Gehaltscheck zu Gehaltscheck leben, planen kaum und glauben nicht an eine eigene Zukunft», sagt Quart. Das zeigt auch die Statistik.

Der Anteil der Immobilienbesitzer, die  35 Jahre alt oder jünger sind, ist unter dem Mittelwert seit 1994. Das liegt nicht daran, dass die Jungen keine Häuser kaufen wollen. «Gemäss Umfragen ist der Wunsch nach den eigenen vier Wänden bei den Millennials ähnlich ausgeprägt wie bei früheren Generationen», sagt Ökonom Emmons. «Für junge Familien ist es aber schwieriger geworden, Geld aufzunehmen.»

Das Leben zieht vorbei

Laut dem Pew Research Center wohnten die meisten 18- bis 34-Jährigen 2014 darum auch noch bei den Eltern zu Hause. So hoch war der Anteil zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg. Zum ersten Mal überhaupt war die häufigste Wohnform nicht mehr mit dem Partner.

Wegen der finanziellen Herausforderungen lassen sich Millennials mit der Familiengründung länger Zeit. Der Anteil der Eheschliessungen unter Millennials liegt deutlich unter der Quote der vorhergehenden Generationen. Das Gleiche gilt für die Zahl der Scheidungen. Ehen unter Millennials halten länger als bei früheren Generationen. Millennials haben auch weniger Kinder. Die Fertilitätsrate, die angibt, wie viele Kinder eine Frau bekommt, ist mit 1,76 auf ein Vierzigjahrestief gesunken. Damit liegt sie deutlich unter der Reproduktionsrate von 2,1. Je niedriger sie ist, desto schneller altert die Bevölkerung.

Das wird für die USA zu einer grossen Herausforderung. Denn schon heute wird das System der staatlichen Altersvorsorge mit der Pensionierung der Babyboomer strapaziert. Und ob das System in der jetzigen Form noch existiert, wenn Millennials dereinst in Pension gehen, darf laut Rob Arnott, Gründer und CEO von Research Affiliates, bezweifelt werden. Denn gemäss Prognosen des Committee for a Responsible Federal Budget dürfte das Staatsdefizit der USA 2050 10% und die Staatsverschuldung sogar 160% der jährlichen Wirtschaftsleistung der USA betragen.

Eine Entwarnung kann aber gegeben werden. Der Konsum spielt auch für die Millennials eine wichtige Rolle. Sie unterscheiden sich diesbezüglich kaum von den Generationen zuvor. Gemäss einer Studie des Fed gibt die junge Generation relativ zum Einkommen genauso viel aus wie die Eltern und die Grosseltern. Nur hat sie einfach weniger Geld zur Verfügung.

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