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11:47 Uhr - 21.10.2014

Stresstest: «Banken sollten 30% Eigenmittel halten»

Martin Hellwig, Professor am Max-Planck-Institut, hat Vorbehalte gegen den für Sonntag angekündigten Bankenstresstest der Europäischen Zentralbank und nennt im Interview mit FuW seine Forderungen an die Banken.

Der Steuerzahler bleibt in Geiselhaft: Trotz neuer Vorschriften haben die Banken immer noch wenig Eigenkapital und sind zu gross, um unterzugehen – too big to fail. Am kommenden Sonntag veröffentlicht die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Untersuchung der Bilanzen und den Stresstest für etwa 130 Grossbanken. Es würden wohl einige Probleme gefunden, «aber nicht sehr viele», erwartet der renommierte Finanzprofessor Martin Hellwig. [info 1R]Herr Hellwig, helfen die Bilanzprüfung und der Stresstest der EZB, um Banken gegen die Konkursgefahr zu stärken? Die EZB wird ab Anfang November für die Bankenaufsicht im Euroraum zuständig sein – neben den nationalen Bankenaufsichten. Sie will sich vorher ein genaues Bild vom Zustand der grossen Banken machen und überprüft zum einen die Bilanzen im Hinblick auf die Verlässlichkeit der zugrundeliegenden Bewertungen. Zum anderen untersucht der Stresstest, ob die Banken mit unangenehmen Überraschungen fertigwerden können. So will man verhindern, dass die EZB von Anfang an mit Bankproblemen zu kämpfen hat. Ist der Stresstest streng genug? Ich habe drei Vorbehalte. Erstens: Die Zahlen der Bilanzprüfung gehen erst danach in die Bilanz ein, liegen dem Stresstest also noch nicht zugrunde. Zweitens: Es werden keine Nachwirkungen berücksichtigt, also Zweit- und Drittrundeneffekte. Es wird somit nicht untersucht, was passiert, wenn Schwierigkeiten einer Bank sich auf andere Institute auswirken – ob direkt oder auch indirekt, über die Märkte. Drittens: Der Stresstest erfasst nur ausgewählte Szenarien. Wie sollte der Stresstest somit aussehen? Anat Admati, Mit-Autorin unseres gemeinsamen Buches «Des Bankers neue Kleider», sagt dazu: «Der einzig verlässliche Stresstest liegt in der Antwort auf die Frage: Kann die Bank sich gegebenenfalls genügend zusätzliches Eigenkapital am Markt verschaffen?» Die Bank, die das kann, kann auch viele Stresssituationen verkraften, denn der Markt glaubt an sie. Wie werden die deutschen Banken den Stresstest überstehen? Der EZB liegt daran, dass es nicht innerhalb von ein bis zwei Jahren nach Übernahme der Aufsicht einen grösseren Problemfall gibt. Die nationalen Aufsichtsbehörden, die ja auch mitwirken, wollen dagegen, dass nicht allzu viele neue Problemfälle entdeckt werden, sonst fällt ein Schatten auf ihre bisherige Arbeit. Aus nationaler Sicht ist auch fraglich, ob die einzelnen Staaten in der Lage sind, etwaige Probleme durch eine Rekapitalisierung zu beheben. Ich erwarte daher, dass man einige Probleme finden wird, aber nicht sehr viele. Aus Proporzgründen werden dann wohl deutsche Banken dabei sein. Trotz Stresstest fordern Sie zur Stärkung der Banken sehr viel Eigenkapital. Wir fordern eine Eigenkapitalfinanzierung von 30% der gesamten Aktiva der Bank. Zwischen 20 und 30% sollten die Banken keine Gewinne ausschütten, Aktien zurückkaufen oder Boni zahlen dürfen. Unter 20% sollten sie zur Aufnahme neuen Eigenkapitals verpflichtet sein. Wir fordern so hohes Eigenkapital, weil das Too-big-to-fail-Problem nach wie vor nicht gelöst ist. Wenn eine grosse Bank vor dem Zusammenbruch steht, haben wir nur die Wahl zwischen der Abwicklung, die die Wirtschaft schwer schädigen kann, und der Rekapitalisierung, die den Steuerzahler teuer zu stehen kommen kann. Eine hohe Eigenfinanzierung trägt dazu bei, dass wir gar nicht erst in diese Zwangslage kommen. Warum gerade 30% Eigenkapital? Zum einen: Es gibt keine nennenswerten gesellschaftlichen Kosten einer hohen Eigenkapitalanforderung für Banken. Zum anderen: 30% ist das, was die Banken selbst bei ihren Firmenkunden verlangen, darunter auch Hedge Funds, die mindestens so gut diversifiziert sind wie Banken. Zum Dritten: Vor dem Ersten Weltkrieg, ehe der Staat ins Spiel kam, lagen die Eigenmittel der Banken in dieser Grössenordnung – so etwa in Deutschland auf 22% im Jahr 1913. Mit dem Staat wandelte sich das Bild? Von 1913 bis 1920 sanken die Eigenmittel der Banken auf 8% ihrer Bilanzsumme. In dieser Zeit war die Börse geschlossen, und der Staat brauchte die Banken für die Kriegsfinanzierung. In der Weltwirtschaftskrise kam das Too big to fail dazu – der Staat fing die Krisenbanken auf. Die Staatsgarantien lassen die grossen Institute besonders sicher erscheinen, das sorgt für gute Ratings und niedrige Schuldzinsen. De facto handelt es sich um eine Subventionierung der Banken und ihrer Gläubiger durch den Staat. Ist Too big to fail ein Anreiz für Banken, gross zu werden? Eindeutig ja. Ausgesprochene und stillschweigende Staatsgarantien für grosse Banken schaffen Anreize zur Grösse, auch durch Zusammenschlüsse. Die Aktionärsgewinne bei Bankzusammenschlüssen beruhen weitgehend auf der Staatsgarantie. Mit Effizienz hat das nichts zu tun. Bei wesentlich höheren Eigenmitteln wären die Staatsgarantien deutlich weniger wert. Dann würden etliche Grossbanken von selbst schrumpfen. Aber ein Schrumpfungsprozess hat bei grossen Instituten bereits eingesetzt. Ja, dafür hat vor allem die Beihilfekontrolle der Europäischen Kommission gesorgt. Aber die Schrumpfung geht nicht weit genug. Das übermässige Wachstum des Jahrzehnts vor der Krise wirkt immer noch nach. In manchen Bereichen ist der Wettbewerb immer noch so intensiv, dass die Banken nur durch Eingehen erheblicher Risiken am Markt überleben können. Das darf nicht sein. Auch gibt es Anhaltspunkte, dass die Zombies – also Banken, die bei realistischer Bewertung ihrer Anlagen als überschuldet anzusehen sind – noch nicht alle geschlossen worden sind. Vor hundert Jahren gab es weder eine Bankenaufsicht noch den Wust an Regulierungen. Könnte darauf bei angemessenem Eigenkapital verzichtet werden? Richtig ist: Je mehr Eigenkapital die Banken einsetzen und je weniger sie sich verschulden, desto besser funktioniert die Haftung und umso mehr kann auf andere Regulierungen verzichtet werden. Aber man braucht die Aufsicht, um die Eigenkapitalanforderungen durchzusetzen. Trotz der neuen, von Basel III vorgeschriebenen strengeren Eigenkapitalbestimmung erwarten Sie, dass es immer wieder zu Bankinsolvenzen und -krisen kommen wird. Auch die Eigenkapitalanforderungen nach Basel III sind lächerlich niedrig. Basel III führt eine Schuldengrenze ein, aber sie lässt zu, dass eine Bank sich zu 97% verschuldet – das entspricht der letzten Bilanz von Lehman Brothers vor dem Bankrott. Im Übrigen arbeitet man nach wie vor mit «Risikogewichten» – die 7, 9 oder 12%, von denen man in der Zeitung liest, beziehen sich auf die «risikogewichteten» Anlagen. Dass man die Risiken kaum messen kann, wird vergessen. Basel III wurde aber von Experten geschrieben. Von Vertretern der verschiedenen Aufsichtsbehörden und Zentralbanken, die jeweils ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Das ergibt ein politisches Gerangel erster Ordnung. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Tradition, Politik und Pseudowissenschaft. Wo soll das viele Eigenkapital herkommen? Eine Bank, die Gewinn macht, kann ihr Eigenkapital erhöhen, indem sie Gewinne einbehält und reinvestiert. Die deutschen Sparkassen etwa, die sehr profitabel sind, könnten ihr Eigenkapital so in wenigen Jahren deutlich erhöhen. Private Banken, die profitabel sind, könnten den Prozess beschleunigen, indem sie Aktien ausgeben. Allerdings sind die Märkte misstrauisch, weil sie nicht wissen, wie profitabel die Institute sind und ob sie es nicht mit einem Zombie zu tun haben. Neues Eigenkapital sei aber teuer, klagen die Banker. Teuer für die Banker und teuer für die Altaktionäre, nicht aber für die Gesellschaft. Die Gläubiger freuen sich, wenn die Banken sicherer werden. Und wir alle freuen uns, wenn das Risiko einer Systemkrise oder einer Belastung der Steuerzahler geringer wird. Diese Vorteile für die Gesellschaft kommen in der Rechnung der Banker nicht vor. Banker sehen durch höheres Eigenkapital die Eigenkapitalrendite geschmälert. Die durchschnittliche Eigenkapitalrendite dürfte tatsächlich niedriger sein, dafür ist aber auch das Risiko der Aktionäre je eingesetzten Euro geringer. Wenn die durchschnittliche Eigenkapitalrendite hoch ist, spiegelt das die Entscheidung der Banker, ins Risiko zu gehen, durch spekulative Geschäfte oder auch durch hohe Verschuldung. Das ist besonders attraktiv, wenn der Staat bei Schwierigkeiten einspringt. Eine Veränderung aufgrund hoher Eigenkapitalanforderungen würde lediglich die jetzigen Verzerrungen korrigieren. Bei sehr hohem Eigenkapital sehen sich die Banken nicht mehr in der Lage, die Realwirtschaft ausreichend mit Krediten zu versorgen – mit Rückwirkungen auf das Wirtschaftswachstum? Das ist Unsinn. Nehmen die Banken zusätzliches Eigenkapital auf, können sie sogar noch mehr Kredite vergeben. Aber das wollen sie nicht – aus den beschriebenen Gründen. Im Übrigen: Den schlimmsten Einbruch bei Kreditvergabe und Wirtschaftswachstum hatten wir im Herbst 2008, und das, weil die Banken mit so wenig Eigenkapital gearbeitet hatten, dass sie die Verluste aus amerikanischen Hypotheken und Verbriefungen nicht verkraften konnten. Weshalb erholt sich das weltweite Wirtschaftswachstum nicht schneller? Unter anderem wegen der hohen Verschuldung von Staaten, privaten Haushalten, Unternehmen der Realwirtschaft – und Banken. Wollen wir eine jahrelange Stagnation vermeiden, müssen wir Mittel finden, die Gesamtverschuldung zu senken. Da sollte man bei den Banken anfangen: Starke Banken wären eher in der Lage, die Überschuldung ihrer Kunden – Staaten, Unternehmen, Privathaushalte – zu bereinigen. Was hat Banker dazu getrieben, übermässig hohe Risiken einzugehen? Neben dem bereits erwähnten Wettbewerbsdruck die hohen Boni. Wenn man sich hoch verschuldet, kann man ein grosses Rad drehen. Hat man Glück, so verdient man sehr viel. Hat man Pech, haben die Gläubiger ein Problem – oder die übrige Wirtschaft oder der Staat. Brauchen nur systemrelevante Grossbanken mehr Eigenkapital oder auch weniger risikoreiche regionale Sparkassen und Genossenschaftsbanken? Grundsätzlich plädiere ich für eine einheitliche Behandlung aller Institute, denn das regionale Geschäft kann auch sehr riskant sein. Denken Sie an die Unternehmenskredite in den späten Achtzigerjahren, sie führten zu Multimilliardenverlusten, ganz ohne Investment Banking. Allerdings könnte ich mir Differenzierungen vorstellen, die für das Handelsgeschäft deutlich höhere Anforderungen stellen als für das traditionelle Kreditgeschäft. Das würde die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen weniger betreffen. Selbst wenn die Eigenkapitalquoten ausreichend erscheinen  – wird die ethisch-moralische Eignung der Bankverantwortlichen ausreichend hinterfragt, um eine verantwortungsvolle Unternehmensführung sicherzustellen? Ethik ist wichtig, lässt sich aber nicht verordnen. Und wenn die Versuchung gross genug ist, werden die meisten schwach. Deshalb braucht man bessere Anreize, bessere Haftung und bessere Kontrolle. Davon hat es im letzten Jahrzehnt zu wenig gegeben, sowohl vonseiten der Behörden als auch der Institute selbst. Der Aktionärsbericht der UBS von 2008 zeigt diesbezüglich ein erschreckendes Bild. Gehören mehr Frauen in die Verwaltungsräte der Banken? Laut Studien gehen Männer aggressiver Risiken ein, und Frauen denken langfristiger. Wünschenswert ist, dass Persönlichkeiten mit hohem Risikobewusstsein in wichtigen Führungspositionen sind. Eine Zuwahl von Frauen in diese Gremien kann dort zur Vielfalt der Diskussion beitragen – die beiden Punkte sind aber nicht automatisch gekoppelt. Wären mit einem Trennbankensystem die katastrophalen Folgen der Finanzkrise vermeidbar gewesen? Da bin ich skeptisch. Die Krisen in den Achtzigerjahren in den USA wurden dadurch verursacht, dass das dortige Trennbankensystem nicht mehr zeitgemäss war. Deshalb wurde es am Ende aufgehoben. Dass aber die Krise der letzten Jahre etwas damit zu tun hatte, dafür gibt es keinerlei Evidenz. Mein Grundansatz ist: Man soll die Geschäftsmodelle und die Strategien den Bankern überlassen, sie aber stark in die Haftung nehmen. Deshalb plädiere ich dafür, dass sie deutlich mehr mit eigenen Mitteln arbeiten sollten. Der EZB ist es trotz Nullzinspolitik nicht gelungen, die Konjunktur zu beleben. Nun will sie den Banken Kredite abkaufen, damit sie den Unternehmen mehr Darlehen gewähren. Ist das sinnvoll? Ich bin skeptisch. Wenn man den Banken mit dem Kauf der Verbriefungen die Risiken abnimmt, nimmt man ihnen die Anreize, bei der Kreditwürdigkeitsprüfung aufzupassen. Wenn man ihnen aber die Risiken belässt, werden die Bilanzen nicht entlastet, es sei denn, das erforderliche Eigenkapital ginge zurück, obwohl die Risiken bleiben. Also ist mit dem Kreditkaufprogramm der EZB kein Erfolg garantiert? Ob es ein Erfolg wird, ist auch deshalb fraglich, weil nicht sicher ist, ob die Unternehmen die Kredite haben wollen. Viele sind bereits so hoch verschuldet, dass weitere Schulden nicht tragbar sind. Andere finden keine Nachfrage und wollen deshalb nicht investieren. Es kann nicht angehen, dass wir um jeden Preis die Kreditvergabe der Banken an die Unternehmen anheizen. Wenn das Grundproblem darin liegt, dass der Schuldenüberhang bei Staaten, Privaten und Banken die Wirtschaftsinitiative lähmt, so müsste man zuallererst da ansetzen und Mittel zum Abbau der hohen Verschuldung finden. Da ist die EZB allerdings überfordert.

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