Jenseits aller Kursspekulationen: Digitale Währungen könnten ernste Konkurrenz zum etablierten Finanzsystem werden. Doch dafür sind noch Probleme zu lösen.
Der Preis von Bitcoin ist seit dem Allzeithoch von fast 20 000 $ im Dezember mehr als die Hälfte abgesackt. Trotzdem feiert sich die Kryptoszene auf einer Riesenkonferenz in New York – inklusive Stargästen wie Rapper Snoop Dogg. Jack Dorsey, CEO von Twitter (TWTR 33.5 -0.39%), zeigte sich dort überzeugt: «Das Internet wird seine eigene Währung haben» – und meint damit Bitcoin. Dorsey gehört zu denen, die fest daran glauben, dass sich die Kryptowährung durchsetzen wird.
Doch man muss kein Gläubiger sein, um eine anstehende Umwälzung des Währungssystems zu erwarten. So ist ein elektronischer Franken gar in Bundesbern im Gespräch: Der Bundesrat hat am Donnerstag als Reaktion auf ein Postulat des Nationalrats Cédric Wermuth angekündigt, «rechtliche, wirtschaftliche und finanzielle Aspekte» eines E-Frankens zu prüfen. Anders als bei einer dezentral organisierten Währung wie Bitcoin, die dank Blockchain ohne zentrale Instanz auskommt, würde aber die Nationalbank das Ruder in der Hand behalten.
«Eine echte Innovation»
Aleksander Berentsen, Wirtschaftsprofessor an der Universität Basel, erklärt: «Ich glaube nicht, dass wir in Zukunft alle unser Geld nur in dezentrale Systeme investieren wollen. Die Kryptowährungen sind komplementär zum bestehenden Finanzsystem.» Zwar stehe hinter Bitcoin die Idee, eine Währung aufzubauen, die keine Institutionen brauche, in die man vertrauen muss. Doch: «Viele werden an vertrauenswürdigen Institutionen und einem bekannten System festhalten», sagt Berentsen. Die Nationalbank habe etwa viel Vertrauenskapital aufgebaut. Kryptowährungen seien eine «echte Innovation», aber «wie in jedem Innovationszyklus ist unsicher, was sich am Ende durchsetzt.»
Ein Problem von Bitcoin & Co. ist, dass sie mit einer hohen Transaktionszahl, wie sie heute mit Kreditkarten anfallen, noch nicht zurechtkommen. Fabian Schär, Geschäftsführer des Center for Innovative Finance an der Universität Basel, hält dieses Problem der Skalierbarkeit für lösbar. Doch schwieriger seien für Bitcoin die hohen Kursschwankungen. Schär erklärt: «Ein sogenannter Stable Coin braucht eine zentrale Instanz, die den Wert stabilisiert» – indem diese etwa auf Nachfrageschwankungen reagiert.
Kostenlose Überweisungen
Wenn die Volatilität einmal gebändigt ist, «müssen sich etablierte Finanzinstitute warm anziehen», meint Berentsen. Denn die neue Technologie hätte erhebliche Vorteile: «Schon heute sind Überweisungen mit gewissen Kryptowährungen kostenlos in wenigen Sekunden über den Globus möglich», sagt der Ökonom. Internationale Überweisungen seien daher einer der ersten Anwendungsfälle der Kryptowährungen. Doch Berentsen hält Banken nicht für chancenlos: «Die Finanzinstitute könnten sich behaupten – aber dafür müssen sie besser werden.» Das sei der Vorteil des neuen Wettbewerbs: «Ob Kryptowährungen eine Rolle spielen, hängt davon ab, wie die etablierten Player auf neue Konkurrenz reagieren», erläutert der Professor.
Jochen Möbert, Analyst bei der Deutschen Bank, hat in einer Studie auf die Innovationen im bestehenden System hingewiesen. So plant die Europäische Zentralbank noch für dieses Jahr mit TIPS ein Netzwerk, das in der Eurozone Überweisungen in Sekunden ermöglicht. Möbert schreibt: «Bitcoin hat Vorteile und Nachteile gegenüber dem traditionellen Banking» – die Kryptowährung könne eine Nische besetzen und mit Banken koexistieren. Gleichzeitig würden Finanzinstitute viel investieren, um die Vorteile von Kryptowährungen zu nutzen. Gerade wegen der Innovationen im etablierten Finanzsystem äussert sich Möbert vorsichtig: «Selbst für eine vorläufige Einschätzung ist es zu früh.» Es brauche noch einige Jahre, bis sich die Technologie etabliere.
Die unsicheren Zukunftserwartungen seien für einen Grossteil der Kursschwankungen der Kryptowährungen verantwortlich, meint Berentsen: «Die Spekulation auf Kryptowährungen ist wie das Wetten auf den Sieger in einem Schönheitswettbewerb.» Einem Konzept von John Maynard Keynes folgend, erklärt er: «In den Finanzmärkten geht es nicht nur darum, was man selbst für besser hält. Sondern man muss Erwartungen bilden, was die anderen Anleger gut finden.»
So ist unsicher, welche Kryptowährung etabliert bleibt. Fabian Schär erläutert: «Der grösste Vorteil der etablierten Währungen wie Bitcoin und Ethereum ist die Entwicklerbasis.» Für neue Projekte sei es schwierig, solch eine Community aufzubauen. Aber: «Sollte eine grundlegende Neuerung auftauchen, könnte dieser Vorteil auf mittlere Frist verschwinden.»
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