Die Gewerkschaften verlangen bis 5% mehr Lohn. Dabei blenden sie vieles aus. Ein Kommentar von Arno Schmocker.
In der «SonntagsZeitung» gab SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard, Präsident des Gewerkschaftsbunds SGB, den Arbeitgebern den Tarif für die bevorstehenden Lohnverhandlungen im Herbst durch: «Ohne vollen Teuerungsausgleich gibt es Kampfmassnahmen!»
Tags darauf, gut koordiniert, konkretisierte die zweitgrösste Gewerkschaft, Travail.Suisse, deren Präsident ebenfalls für die SP im Nationalrat sitzt, ihre Lohnforderungen. Generell 3 bis 5% höhere Nominallöhne seien notwendig angesichts deutlich höherer Lebenshaltungskosten und Produktivitätsgewinnen der Unternehmen.
Dass die Gewerkschaften mit Maximalforderungen in die Verhandlungen einsteigen, gehört bis zu einem gewissen Grad zum alljährlichen «Spiel». In ihrer Argumentation blenden sie jedoch vieles aus, das gegen überzogene Lohnforderungen spricht.
Eine flächendeckende Erhöhung der Gehälter ist grundsätzlich falsch. Nicht jede Branche kann sich 3 bis 5% mehr Lohn für alle leisten.
Weiter macht Maillard einen «Nachholbedarf» aus. Tatsächlich sind die Reallöhne (Nominallöhne minus Konsumentenpreise) 2021 gesunken. Gemäss dem Schweizerischen Lohnindex SLI war das seit 1942 aber erst zum fünfzehnten Mal der Fall. In den vergangenen zehn Jahren ist die Kaufkraft nur drei Mal gesunken, sieben Mal hat sie, teilweise erheblich, zugenommen.
Als weiteres Argument müssen die Krankenkassenprämien herhalten. Ja, sie werden diesen Herbst deutlich steigen. Aber zu einem erheblichen Teil ist das eine Folge davon, dass die Prämien im Vorjahr teilweise gar gesunken sind, weil die Krankenkassen Reserven aufgelöst haben. Und kein Wort davon, dass viele als Bedürftige eingestufte keine oder nur einen Teil der Monatsbeiträge selbst berappen. Bund und Kantone wenden für Prämienverbilligungen gemäss zuletzt verfügbaren Zahlen 5 Mrd. Fr. pro Jahr auf.
Weiter soll die Teuerung «voll ausgeglichen» werden. Welche Teuerung? Derzeit liegt die Inflationsrate auf Monatsbasis bei 3,4%, viel niedriger als in den USA und in der EU, dank des starken Frankens, der die Importe (und den Urlaub im Ausland!) verbilligt, und dank geringerer Abhängigkeit vom Gas. Weil ausserdem der Ölpreis von 125 auf weniger als 100 $ pro Barrel, etwa auf den Stand vor einem halben Jahr, zurückgefallen ist, wird die Monatsteuerung im Herbst zu sinken beginnen.
Kaum der Erwähnung wert ist den Gewerkschaften sodann die international beneidenswerte Lage auf dem Arbeitsmarkt. Mit 2% war die Arbeitslosenrate im Juli niedriger als vor der Pandemie (im Segment der 50- bis 64-Jährigen ist sie, nebenbei gesagt, nicht höher als im Durchschnitt, womit eine weitere Behauptung der Gewerkschaften widerlegt wird). Der Fachkräftemangel eröffnet vor allem mobilen und gut Ausgebildeten die Aussicht auf eine besser bezahlte Stelle.
Generelle Lohnsteigerungen in der Höhe, wie sie von den Gewerkschaften gefordert werden, setzen eine Lohn-Preis-Spirale in Gang und sind letztlich kontraproduktiv, weil die Unternehmen die Kostensteigerung zumindest teilweise in Form höherer Güterpreise an die Konsumenten weitergeben.
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