Thomas Heller, Anlagechef bei der Schwyzer Kantonalbank, mag weder Aktien noch Anleihen. Anleger müssten bereit sein, ausserhalb der Kernmärkte zu investieren.
Herr Heller, die Aktienhausse in den USA dauert bereits mehr als acht Jahre. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?
Wir sind seit Längerem kritisch gegenüber dem amerikanischen Aktienmarkt. Entsprechend zurückhaltend sind wir in den Portfolios positioniert. Der Markt bewegt sich seit März seitwärts, während es beispielsweise in Europa noch einmal einen Schub gab. Diese Kluft hat sich nach den Wahlen in Frankreich aufgetan. Insofern hat sich unsere Einschätzung also bestätigt. Ich versuche zwar, das Wort Altersschwäche zu vermeiden, doch diese Hausse dauert tatsächlich schon sehr lange. In den letzten acht Jahren gab es immer wieder Rückschläge. Aber die letzte signifikante Korrektur, die länger als ein oder zwei Tage dauerte, liegt eineinhalb Jahre zurück. Allein deshalb wird eine Gegenbewegung wahrscheinlicher.
Was könnte denn der Auslöser für eine grössere Korrektur sein?
Ganz oben auf der Liste stehen politische Entwicklungen. Dazu zählt etwa eine Eskalation der Krise in Nordkorea. Aber eine Korrektur kann auch von völlig überraschender Seite kommen. Ich erinnere an die Bilanzskandale von Enron und WorldCom Anfang der Nullerjahre, als eine Unternehmenskrise zu Turbulenzen an den Aktienmärkten führte. Im vergangenen Jahr sorgte die Deutsche Bank (DBK 16.725 0.87%) für Verunsicherung. Wenn also plötzlich ein Unternehmen in Schwierigkeiten gerät, das stark vernetzt ist, kann das weitreichende Folgen haben. Es ist schwierig abzuschätzen, was der Auslöser sein wird. Aber wenn es eine Korrektur gibt, trifft sie auf einen teuren Markt und auf immer noch relativ optimistische Anleger. In dieser Situation braucht es nicht viel, damit es zu Erschütterungen kommt.
In welchen Sektoren werden Sie in diesem Marktumfeld fündig?
Auf kurze Sicht setzen wir auf Branchen, die von einem Zinsanstieg profitieren. Zwischenzeitlich war die Hoffnung auf steigende Zinsen am langen Ende ja schon fast verflogen, nun haben sie doch angezogen. Davon profitieren Titel aus dem Finanzsektor. Spekulativ sind Investitionen in Aktien aus dem Ölsektor. Sie hinken dem Gesamtmarkt seit Jahresbeginn deutlich hinterher. Der Ölpreis notiert derzeit in der unteren Hälfte unserer Schätzungen. Wenn er sich erholt, könnten Werte aus der Energiebranche überproportional zulegen. Dabei handelt es sich aber um eine eher riskante Wette.
Dem amerikanischen Aktienmarkt stehen Sie kritisch gegenüber. Wie sieht es ausserhalb der Vereinigten Staaten aus?
Wir sind seit Jahresbeginn leicht untergewichtet in Aktien. Neben den USA sind wir auch in Schwellenländern vorsichtig positioniert. Wir haben erwartet, dass der Dollar anzieht. Diese Entwicklung hat sich inzwischen abgeschwächt, aber die Kombination von stärkerem Dollar und steigenden Zinsen ergibt ein schwieriges Umfeld für Emerging Markets. Eine der favorisierten Regionen für Aktieninvestments ist derzeit Europa. Hier sind wir auf relativer Basis ebenfalls positiv.
Gilt das auch für den Schweizer Markt?
Das hängt stark davon ab, wie sich die Konjunktur weiterentwickelt. Die Schweiz wird sich dem globalen Trend nicht entziehen können. Ich bin aber positiv überrascht, wie gut sich die Schweizer Wirtschaft trotz der Aufhebung des Euromindestkurses vor zweieinhalb Jahren entwickelt hat. Wir glauben, Schweizer Aktien werden gut mit Europa mithalten können.
Welche Schweizer Einzeltitel sind attraktiv?
Wir setzten derzeit auf Zykliker. Dazu zählen etwa ABB (ABBN 23.81 0.04%), Dätwyler (DAE 160.2 -0.5%) oder Sonova (SOON 155.4 -1.21%) aus dem Mid-Cap-Bereich. Allerdings sind diese Valoren teilweise schon ziemlich gut gelaufen. Wir werden uns also bald Gedanken machen müssen, ob wir sie verkaufen wollen. Was für den US-Markt gilt, gilt darüber hinaus auch für die Schweiz: Steigen die Zinsen weiter, und davon gehen wir aus, profitieren Finanztitel. Nach dem jüngsten Zinsanstieg konnten wir bereits beobachten, dass die Valoren von Banken und Versicherern gut abgeschnitten haben.
Sie sind in Aktien untergewichtet. Welche Anlageklassen bevorzugen Sie?
In einem Nullzins- oder Negativzinsumfeld müssen Anleger bereit sein, ausserhalb der Kernanlageklassen und Kernmärkte zu investieren. Wir sind übergewichtet in alternativen Anlagen. Das bedeutet nicht zwingend Hedge Funds, die häufig in diesem Zusammenhang genannt werden. Wir setzen auf versicherungsbasierte Instrumente, Private Equity (PEHN 78.5 0%) und Unternehmenskredite. In klassischen Anlageklassen wie Obligationen müssen Investoren zusätzliche Risiken in Kauf nehmen, indem sie sich länger binden – was im Umfeld steigender Zinsen nicht angezeigt ist – oder höhere Kreditrisiken eingehen. Das machen wir in unseren Portfolios mit Wandelanleihen und Unternehmensanleihen. Bei Aktien setzen wir diese Strategie mit Small Caps um.
Was raten Sie Anlegern, die in europäische Staatsanleihen investieren wollen?
Natürlich gibt es noch Staatsanleihen, die eine positive Rendite abwerfen – dazu zählen Italien, Spanien, Portugal und Griechenland. Die Risiken sind möglicherweise nicht mehr so gross wie noch vor zwei oder drei Jahren. Aber wenn ein Portfolio in Europa breit aufgestellt ist, erzielt es unter dem Strich eine Verfallsrendite von vielleicht 1 bis 2%. Sollten in den kommenden zwölf Monaten die Zinsen jedoch um 1 Prozentpunkt steigen, wird diese Rendite mehr als aufgefressen. Aus dieser Perspektive ist das Rendite-Risiko-Profil völlig asymmetrisch. Es gibt mit Staatsanleihen fast nichts mehr zu gewinnen, aber sehr viel zu verlieren. Im Vergleich erachten wir es für einen Privatanleger fast schon als attraktiver, Cash zu 0% zu halten.
Die Wachstumsphase in den USA zählt zu den längsten in der Geschichte. Steigt die Gefahr einer Rezession?
Die Datenlage sieht derzeit ziemlich gut aus. Da fühlt man sich fast als Spielverderber, wenn man das Haar in der Suppe sucht. Doch wir denken, die USA haben den zyklischen Höhepunkt überschritten. Zwar notieren die Daten auf hohem Niveau, aber eine Verbesserung hat es zuletzt kaum gegeben. Zudem hat sich die Zinskurve entgegen unseren Erwartungen verflacht. Wir sind davon ausgegangen, dass sie steiler wird, weil die kurzfristigen Zinsen wegen der Notenbankpolitik steigen und das lange Ende überproportional anzieht. Die Verflachung hat sich mit dem Zinsanstieg der letzten zwei Wochen zwar etwas relativiert. Eine flachere Zinskurve ist jedoch häufig ein Signal für eine Verlangsamung des Wachstums. Eine Rezession möchte ich nicht heraufbeschwören, aber eine abnehmende Dynamik könnte bereits dieses oder spätestens nächstes Jahr anstehen.
Der Franken ist unter Druck geraten. Welche Entwicklung erwarten Sie?
Auf die kurze Sicht wird sich der Franken gegenüber dem Euro in einer engen Bandbreite bewegen. Die Wahlen in Frankreich und die Rede von EZB-Chef Mario Draghi vor zwei Wochen haben den Euro über 1.10 Fr. getrieben. Allerdings hat die SNB (SNBN 1944 0.36%) laufend am Devisenmarkt interveniert, die Eurostärke war also nicht selbsttragend. Dazu bräuchte es drei Voraussetzungen: Die europäische Konjunktur muss sich gut entwickeln, die politischen Risiken müssen abnehmen, und der Regimewechsel der EZB muss sich konkretisieren. Die Entwicklung geht derzeit in diese Richtung. Ich erwarte daher, dass sich der Euro gegenüber dem Franken noch etwas aufwerten wird, wenngleich es keine grossen Bewegungen geben dürfte.
Immobilienanlagen sind in der Schweiz nach wie vor beliebt. Gibt es in diesem Segment Übertreibungen?
In einzelnen Regionen und Teilmärkten gibt es sicherlich Übertreibungen. Die Agios von Immobilienfonds sind auf rekordhohem Niveau. Diese Investments sind also teuer. Aber das gilt auch für Aktien und Obligationen. Immobilien werfen immerhin noch eine Rendite von rund 3% ab. Im Vergleich zu zehnjährigen «Eidgenossen», die leicht negativ rentieren, klingt das äusserst attraktiv. Das Interesse an Immobilienanlagen ist deshalb sowohl von institutioneller Seite als auch von Privatanlegern ungebrochen, was mir seit Längerem Sorgen macht. Immobilieninvestments sind sehr zinssensitiv. Sollten die Zinsen steigen, droht eine Korrektur.
Wie schätzen Sie die Gefahr einer Immobilienblase ein?
Die Banken sind bei der Hypothekarkreditvergabe vorsichtiger geworden. Selbst wenn die Zinsen für zehnjährige «Eidgenossen» von heute 0 auf 2% steigen – und davon sind wir weit entfernt – und die Hypothekarzinsen entsprechend mitziehen, bleibt das Zinsniveau sehr niedrig. Die Schweizer Haushalte können das stemmen. Es braucht bedeutend mehr für eine Immobilienkrise, die etwa zu Zwangsverkäufen führen würde. Sollten die Immobilienpreise aber sinken, werden die reinen Renditeobjekte unter Druck geraten, die bislang zu stets höheren Preisen weiterverkauft werden konnten.
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