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16:00 Uhr - 28.01.2022

Aufgefallen in… Jordanien

Wenn ein Meer verdampft.

Das trockene Klima des Toten Meeres ist ein Segen für die Geschichtsforschung. So überlebten dort die Qumran-Handschriften, sie wurden ab 1947 in Höhlen an der palästinischen Nordwestküste des Salzsees gefunden. Darunter befinden sich die ältesten bekannten Manuskripte mancher biblischer Texte. Hat man in der jorda­nischen Hauptstadt Amman das Jordan Museum und die Kammer mit den dort ausgestellten Qumran-Schriftrollen besucht, findet man im nächsten Raum die Modelle für ein grosses Zukunftsprojekt. Es soll das Überleben des Toten Meeres ­sichern: «Red to Dead» – vom «Roten zum Toten». Wasser soll in einer 180 Kilometer langen Pipeline vom Roten ins Tote Meer gepumpt werden.

Denn das Tote Meer wird immer kleiner. Noch ist es gut zehnmal so gross wie der Zürichsee. Doch der Pegel des Salzsees ohne Abfluss – das Wasser verdunstet im trockenen Klima – ist in den vergan­genen dreissig Jahren um gut 30 Meter ­gesunken. Und der Wasserstand fällt immer schneller. Derzeit sinkt der Pegel um mehr als 1 Meter pro Jahr.

Touristen müssen von den Hotels immer länger bis zum Ufer laufen, das mit 430 Metern unter dem Meeresspiegel die tiefste Landstelle der Erde darstellt. Am Death Sea Spa Resort an der jordanischen Küste macht eine traurige Szene mit einer unnütz gewordenen Strandterrasse und verloren stehenden, künstlich bewässerten Palmen dies deutlich. Daneben erinnert ein Schild: «Der Pegel des Toten Meeres ist schnell zurückgegangen. Hier war der Wasserstand 2005.» Das heutige Ufer ist heute nur aus der Ferne sichtbar.

Das Wüstenland Jordanien musste schon immer mit dem Wasser haushalten. Nur zehn Länder der Welt weisen einen niedrigeren Durchschnittsniederschlag auf. Aber die Wasserknappheit wird schlimmer. Denn die Bevölkerung ist stark gewachsen. Nicht so sehr durch den Nachwuchs der Jordanier, sondern be­sonders wegen des Zustroms von palästinischen, libanesischen und zuletzt syrischen Flüchtlingen. Heute hat das Land über 10 Mio. Einwohner, das sind viermal mehr als vor vierzig Jahren.

Der Fluss Jordan – Zufluss für das Tote Meer – wird nicht nur durch die Entnahme für wasserintensive Tomaten- und Gurkenlandwirtschaft und Haushalte ausgetrocknet. Auch ein Damm in Syrien hält Wasser auf. Und Israel hat Hunderte Millionen Kubikmeter in den See Genezareth umgeleitet. Der Jordan führt rund 90% weniger Wasser als noch vor einigen Jahren. Nicht nur der Pegel des Sees sinkt. ­Zusätzlich wird der Mineraliengehalt – auf 1 Liter Wasser kommen etwa 300 Gramm Mineralien, hauptsächlich Magnesiumchlorid statt Kochsalz wie in den Welt­meeren – wird immer mehr durch Süsswasser verdrängt. Das Süsswasser dringt in unterirdische Salzschichten ein, löst sie auf und verursacht Hohlräume. Der Boden über diesen Hohlräumen stürzt ein, es entstehen Sinklöcher. Immer mehr dieser Löcher reissen auf. Ganze Gebäude wurden schon verschluckt. Bauern mussten ihre Felder aufgeben. Strassen sind unbefahrbar geworden.

Die Mineralien des Toten Meeres werden industriell genutzt, dafür wird Wasser auf beiden Ufern des Sees abgepumpt. Der Pegel sinkt stärker, die Gefahr von Sinklöchern verschärft sich. Doch das «Red to Dead»-Projekt – 2005 als Kooperation mit Israel und Weltbank angekündigt – scheint keine Fortschritte zu machen.So gibt es Bedenken, dass das Problem der Sinklöcher durch weiter verdünntes Wasser im Toten Meer verschärft wird. Und statt riesige Summen für eine Leitung zu bezahlen, um Wasser verdunsten zu lassen, könnte man es auch Haushalten und der Landwirtschaft zur Verfügung stellen. Experten wie der israelische Geologe Ittai Gavrieli fordern daher Regierungen und Bevölkerung auf, den stetigen Rückgang des Toten Meeres zu akzeptieren. In einem Fernsehbeitrag hat er erklärt, den Wandel der Landschaft mit dem Aufklaffen neuer Sinklöcher könne man doch auch geniessen. Alexander Trentin

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