Zurück zur Übersicht
10:00 Uhr - 20.08.2014

«Die geopolitischen ­Risiken sind begrenzt»

Bruno Gisler, Chefökonom von Aquila, rechnet mit Besserung für den Aktienmarkt, wie er im Interview mit der FuW erläutert.

Herr Gisler, seit Wochen gibt’s keinen ­Börsenkommentar ohne Hinweis auf die geopolitischen Spannungen. Wie ­gefährlich ist die Situation?
Hauptschauplatz ist ganz klar die Ukraine. Da wird Russlands Präsident Putin auch weiterhin für Unruhe sorgen. Jedoch ist ein Waffeneinsatz gegen den Westen wie auch militärische Invasion in der Ost­ukraine höchst unwahrscheinlich. Auf 5 bis 6% im SMI veranschlagt Bruno Gisler das Aufwärtspotenzial bis Ende Jahr. Bild: PDStrategisch hätte ein solcher Schritt wenig Sinn. Er würde den Osten des Landes separieren und Kiew erst recht in die Arme des Westens treiben, also genau das Gegenteil, was Moskau will.

Aber eine Verschärfung des ­Handelskriegs ist denkbar?
Das hängt davon ab, wie Russland auf die Handelssanktionen der USA und der EU reagiert. Die engsten Wirtschaftsbeziehungen mit Russland hat Deutschland. Mit  3,2% hält sich der Exportanteil  jedoch in Grenzen, und für die Energieeinfuhren gibt es längerfristig Alternativen. Auch da gilt, dass ein Handelskrieg primär Russland und die Ukraine trifft und den Westen relativ unbeschadet lässt.

Eine Verschärfung des Handelskriegs wäre an den Anlagemärkten eingepreist?
Seit Anfang Juli die Sanktionen verhängt wurden, fiel der Dax rund 4%. Beim Cac 40 in Frankreich sind es 3%. Das zeigt, dass die Anleger durchaus differenzieren. Nach unserer Meinung ist eine  Zuspitzung des Handelskonflikts in den Kursen mehr oder weniger eskomptiert.

Die Börsenerholung der letzten Tage ist ­damit gerechtfertigt?
Absolut, die Spannungen, das Risiko eines russischen Einmarsches in der Ukraine, haben abgenommen.  Es war am Freitag ja brutal: In kurzer Zeit fiel der Dax von plus 1% auf minus 1,4%. Das zeigt, dass die Märkte nervös sind. Die Aussenminister der beiden Länder haben sich unter deutscher und französischer Vermittlung zumindest mal an einen gemeinsamen Tisch gesetzt. Auch sind erste Lkw des russischen Konvois, von dem man nicht wusste, ist es ein Trojanisches Pferd oder nicht, umgeladen worden. Das ist immerhin ein positiver Ansatz.

Was bedeutet der Fall der Rendite zehnjähriger deutscher Staatsanleihen auf ein neues  Rekordtief von unter 1%?  Gibt es dafür noch andere Motive als Russland – die Angst vor Nullwachstum, vor Deflation?
Der Auslöser für den Renditerutsch war schon die geopolitische Situation. Die schwachen Wirtschaftszahlen aus Europa und die Erwartung einer weiterhin expansiven Geldpolitik der EZB dürften jedoch nicht ohne Einfluss gewesen sein.

Die Wirtschaft im Euroraum hat im zweiten Quartal ­stagniert. Grund zur Sorge?
Sagen wir es so: Man muss die Situation im Auge behalten. Der EU-Raum bräuchte dringend Strukturreformen. Doch Frankreich und Italien, um zwei Beispiele zu nennen, erweisen sich notorisch resistent gegen liberale Reformen. Und Deutschland machte mit Mindestlohn, Mindestrente und Pensionierung ab 63 die Agenda 2010 der Kanzlerschaft Schröder  wieder zunichte. Hingegen wird Europa  vom guten Wirtschaftsgang in den USA und in Asien profitieren. Ein Wachstumsziel von 0,5 bis 1% in diesem Jahr für den Euroraum ist deshalb realistisch. Auch muss man sehen, dass Deutschland mit seiner Minuszahl im zweiten Quartal ­etwas unter Wert geschlagen worden ist. Wetterbedingt hatte die Wirtschaft im ­ersten Vierteljahr einiges  vorgezogen, was im zweiten dann fehlte.

Folgen daraus ein schwächerer Euro und ein festerer Dollar, wie es aufgrund der ­unterschiedlichen konjunkturellen und ­monetären Entwicklung Konsens ist?
Es ist nicht sonderlich attraktiv, den Konsens zu teilen. In diesem Fall tun wir es aber aus vier Gründen: die stärkere US-Konjunktur, der bevorstehende Zinserhöhungszyklus in Amerika, das voraussichtliche Ende der quantitativen ­Lockerung des Fed und eine verbesserte US-Leistungsbilanz.

Wo steht der Dollarkurs Ende Jahr?
Punktprognosen sind gerade bei Währungen sehr ungewiss. Aber wir meinen: Er wird Ende Jahr höher sein als heute.

Weshalb reagieren ­Ölpreis und Gold (Gold 1293.83 -0.07%) nicht auf die verschärfte politische Lage? Kommt das noch?
Gold taugt nicht oder nicht mehr als ­Krisenbarometer. Trotzdem hätte der Goldpreis steigen sollen, weil im Umfeld der  geopolitischen Spannungen die Realzinsen sanken. Traditionell tendieren die beiden Grössen gegenläufig.

Warum jetzt nicht?
Das ist für uns auch nicht offensichtlich. Möglicherweise ist es auf den stärkeren Dollar und die etwas zurückgegangene physischen Nachfrage aus China zurück- zuführen.

Es brodelt auch im Nahen Osten. Bleibt die Lage am Ölmarkt ruhig?
Die Unruhen in Nahost haben bis heute zu einer vergleichsweise bescheidenen  Minderproduktion von 2,5 Mio. Fass geführt. Die Reservekapazität von 5% der Weltproduktion, die als sichere Marge gilt, sank auf lediglich 3,2%. Erst weitere Produktionsausfälle würden das Öl spürbar verteuern. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung ist gering. Libyen produziert kaum noch, auch Syrien nicht, und im Irak, dem dritten Unruheherd, befinden sich die Ölreserven im Süden des Landes. Die USA, der Iran, die Kurden   und die irakische Regierung haben in ­dieser Sache ein gemeinsames Interesse und werden es nicht zulassen, dass die ­islamischen Extremisten in diese Region vorstossen.

Ist die Börsenkorrektur vorbei? Wie sehen die nächsten Monate an den ­Aktienmärkten aus?
Die Börsen stehen weiterhin im Zeichen der Geopolitik, der weltwirtschaftlichen Entwicklung und der monetären Politik mit dem bevorstehenden Zinserhöhungszyklus in den USA. Die Volatilität wird zunehmen, aber Aktien werden trotzdem bis Ende Jahr noch etwas zulegen. Die geopolitische Lage wird sich aus den genannten Gründen kaum dramatisch verschlechtern. Auch zeigen Untersuchungen, dass den letzten drei Zinserhöhungen in den USA in den Jahren 1994, 1999 und 2004 ­jeweils in den zwölf Monaten davor deutliche Kursavancen von 11, 21 und 18% ­vorausgingen, angetrieben von besseren Wachstumsaussichten. Die Weltwirtschaft zeigt zurzeit kein ungetrübtes Bild. Sie ist jedoch stark genug, um die Kurse zu stützen. Auch fehlen nach wie vor Alternativen zu Aktien.

Hat Aquila die Asset Allocation verändert?
Merklich nur im Gold, dessen Gewicht wir reduziert haben. Durch die hektischeren Märkte sind wir mit einer neutralen Position navigiert, mit 40% Anleihen – keine Staatsanleihen, sondern  höher verzinsliche Papiere –, 40% Aktien, 10% Liquidität und 10% übrige Anlagen.

Machen Sie statt für den Dollar für den Swiss Market Index eine Punktprognose?
Eine Steigerung um 5 bis 6% bis Ende Jahr ist realistisch. Das würde einen SMI (SMI 8516.84 -0.1%) von knapp 9000 bedeuten.

Welche Sektoren würden Sie kaufen?
Wir orientieren uns nicht nach Sektoren, sondern nach Ländern und Themen. Zum Beispiel haben wir ein Übergewicht in Japan. Innerhalb des japanischen Marktes legen wir das Schwergewicht auf export­orientierte Gesellschaften. Das mit Blick auf eine weitere geldpolitische Lockerung der Bank von Japan, was den Yen schwächen und der Exportindustrie neue Chancen einräumen würde. Europa favorisieren wir aus Bewertungsüberlegungen. Diese Position ist jedoch wegen der wirtschaftlichen Entwicklung unter Beobachtung. Ausserdem sind Infrastruktur und Dividenden interessante Themen.

Wie setzen Sie die Aktienstrategie um, mit Einzeltiteln, mit Fonds?
Für die Schweiz, Europa und die USA trauen wir uns kraft unserer Erfahrung die Selektion aussichtsreicher und solider Einzeltitel zu. Für andere Regionen, zum Beispiel für Asien, nehmen wir die Hilfe von erfahrenen Spezialisten mit gutem Leistungsausweis in Anspruch. Da können wir aufgrund unserer Unabhängigkeit die besten Manager und die besten Produkte auswählen.

Welche Rolle spielt der Home Bias, die ­Bevorzugung des Heimmarkts?
Grundsätzlich unterstützen wir den Home Bias. Es gibt in der Schweiz so viele gute international diversifizierte Unternehmen, dass das wirtschaftliche Klumpen­risiko Schweiz fast nicht besteht. Hingegen hat das politische Risiko Schweiz ­zugenommen. Sollten die Bilateralen I ­fallen und das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA dereinst zustande kommen, dürften Aktien von mittleren bis kleineren exportorientierten Schweizer Gesellschaften in der Zuliefer- und Investitionsgüterindustrie mit vorwiegend inländischer Produktion einem raueren Wind ausgesetzt sein.

Auf welche fünf Titel dürfen Anleger in der Schweiz nicht verzichten?
Nestlé (NESN 69.85 -0.14%), Novartis (NOVN 80.4 0.12%) und Roche (ROG 266.2 0.3%) sind, so langweilig es tönt, ein Muss. Dazu kommen Swatch Group (UHR 495.9 -0.22%) und Richemont (CFR 87.3 -0.91%).

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.