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07:02 Uhr - 31.08.2017

«Der Negativzins bleibt noch länger bestehen»

Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, sieht erst Spielraum, wenn die EZB die Zinsen erhöht – frühestens in einem Jahr. Die Börsenhausse hält er für intakt.

Herr Stucki, ist es Zeit, nach kräftigem Anstieg die Risiken im Portfolio zu reduzieren?
Der Börsenaufschwung ist noch nicht zu Ende. Erstmals seit der Finanzkrise läuft es wirtschaftlich in allen wichtigen Regionen gut, nachdem das konjunkturelle Wachstum auch in der Eurozone an Stärke und Breite gewonnen hat. Das gibt den Unternehmen die Möglichkeit, ihren Gewinn zu steigern.

Gesondert nach Regionen und Sektoren, wo legt die St. Galler Kantonalbank (SGKN 427.5 0.53%) im Aktiendepot den Schwerpunkt?
Wir sind in Europa übergewichtet, da wir hier das stärkste Gewinnpotenzial sehen. Kompensiert wird dieses Übergewicht durch ein Untergewicht im amerikanischen Markt. Ihn stufen wir als relativ teuer ein. Zudem wird er durch die politische Unstetigkeit in Washington belastet. Innerhalb der Sektoren gefällt uns das Momentum im Technologiebereich, wobei sich diese Aussage auf die amerikanischen Titel bezieht. Die Industrievaloren sind zu hoch bewertet.

Welche Aktienquote halten Sie im ausgewogenen Depot?
Wir halten in den ausgewogenen Portfolios 50% Aktien und 5% Wandelanleihen. Das entspricht auf der Aktienseite der strategischen Ausrichtung dieses Risikoprofils. Aktien profitabler Unternehmen ziehen wir Obligationen von Schuldnern mit durchzogener Bonität vor.

Wird die Schweizer Börse mit den anderen grösseren Märkten mithalten oder sie sogar übertrumpfen?
In den nächsten Monaten wird sie mit den ausländischen Märkten mithalten können. Die Schweiz profitiert von der Abschwächung des Frankens. Auf Sicht von zwölf Monaten sind wir weniger zuversichtlich, da ein wieder stärkerer Franken die Aussichten für die Unternehmen mindert.

Welche Schweizer Aktien führen Sie auf der Strong-Buy-Liste, die bei Ihrer Bank «Opportunitäten» heisst?
Zu den Opportunitäten zählen SGS (SGSN 2129 0.8%). Die Aktien des Warenprüfers profitieren von strukturellen Wachstumstreibern, wie zum Beispiel höheren regulatorischen Anforderungen, dem Trend zu mehr Outsourcing sowie von immer kürzeren Produktzyklen. Ein zweiter Favorit ist Swisscom (SCMN 480.6 1.26%). Das Unternehmen hat ein überdurchschnittliches Wachstumspotenzial durch die Italientochter Fastweb. Zusätzlich dürften die Kosteneinsparungs- und Effizienzmassnahmen positiv überraschen. Ausserdem überschätzt der Markt den Konkurrenzdruck in der Schweiz. Bei Lindt & Sprüngli (LISN 65930 0.69%), einem dritten Favoriten, überzeugt uns das erfolgreiche Geschäftsmodell mit den überdurchschnittlichen Wachstumsraten, auch wenn dieser Trend aktuell von der Schwäche bei Russell Stover überschattet wird. Wir erwarten zukünftig eine dynamischere Unternehmensentwicklung sowie steigende operative Margen. Unter den Finanzwerten setzen wir auf Helvetia (HELN 542.5 2.07%), einen Versicherer mit hoher Qualität im Vertragsportfolio und in der Abwicklung.

Wovon raten Sie ab?
Unattraktiv finden wir AMS (AMS 65.7 0.77%), Dormakaba (DOKA 861.5 1.89%) sowie Straumann (STMN 610 0.41%). Alle drei halten wir nach kräftigem Kursanstieg für ausgereizt und überteuert.

Wo empfehlen Sie, nach ebenfalls starkem Kursverlauf, Gewinnmitnahmen? Gehören ausser AMS auch andere Schweizer Technologieaktien dazu?
Gegenwärtig kommt es aufgrund der hohen Bewertungen vermehrt zu grösseren Kursrückschlägen, wenn die Erwartungen enttäuscht werden. Bei AMS würden wir wie gesagt den Gewinn mitnehmen. Logitech (LOGN 33.5 1.21%), wo die Dynamik nachgelassen hat, und VAT, die nach wie vor vom starken Halbleiterzyklus profitieren, würden wir im Depot behalten.

Wie beurteilen Sie die Währungsaussichten, wird der Euro noch stärker respektive der Franken schwächer und wird damit die Schweizer Börse weiter stimulieren?
Der Euro wird noch etwas von der EZB-Fantasie profitieren, bis klar wird, wann und wie die EZB ihre Geldpolitik restriktiver gestaltet. Die grundlegenden Probleme der Eurozone wie die Schuldenlast und die strukturellen Ungleichgewichte werden danach den Euro zum Dollar und damit auch zum Franken wieder schwächer werden lassen. Im nächsten Sommer sehen wir den Euro zum Franken wieder knapp unter 1.10 Fr. Zum Dollar wird der Franken auf dem jetzigen Niveau stabil bleiben.

Welche Währung wird längerfristig die stärkste sein? Aufgrund der neuen Konjunkturdynamik der Euro, dank Renditevorteilen der Dollar oder mit Blick auf immer wieder auftretende geopolitische Spannungen der Franken?
Der erwartete Wechsel in der EZB-Geldpolitik wird wie gesagt die Anleger noch etwas von einem starken Euro träumen lassen, wobei vieles davon bereits im aktuellen Kurs drin ist. Für den Dollar fehlen zurzeit die Argumente. Die US-Notenbank bietet keine Überraschung mehr, und wirtschaftspolitisch ist das Land festgefahren. Am Ende werden sich die Sicherheit und die Stabilität des Frankens wieder durchsetzen.

Bei Ihrem früheren Arbeitgeber, der Schweizerischen Nationalbank, waren Sie für die Verwaltung der Devisenreserven und der Frankenobligationen verantwortlich. Was vermuten Sie, wie stark trägt die SNB (SNBN 2961 0.48%) zum schwächeren Franken bei?
Für mich handelt es sich weniger um eine Frankenschwäche als um eine Stärke des Euros. Der Franken ist gegenüber den meisten Währungen schwächer geworden. Der Beitrag der SNB ist kurzfristig somit gering. Durch ihre Bereitschaft, den Franken nicht aufwerten zu lassen, hat sie die Währung jedoch vom Spielfeld der Spekulation genommen.

Was muss erfüllt sein, damit die SNB den Negativzins aufheben oder mindestens von –0,75 auf –0,5% erhöhen kann?
Für die SNB bleibt die EZB-Geldpolitik der zentrale Taktgeber. Ein schwächerer Franken oder ein stärkerer Euro allein genügen nicht. Es braucht höhere Zinsen der EZB, damit die negative Zinsdifferenz zum Euroraum auch bei einer SNB-Zinserhöhung gewährleistet bleibt.

Auf welchen Zeitpunkt würden Sie eine solche Massnahme veranschlagen?
Wenn die strukturelle Stärke des Frankens und auch der schwache Inflationsdruck nicht wären und allein die Konjunkturentwicklung bestimmen würde, dann jetzt. Weil wir aber erwarten, dass die EZB den Zins erst im kommenden zweiten Halbjahr erhöhen wird, müssen wir uns noch gedulden.

Geldpolitisch wollen und müssen die Zentralbanken zur Normalisierung zurückfinden. Wie lange ist gegenwärtige Situation mit Nullzinsen bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum noch haltbar?
Solange der Inflationsdruck so gering bleibt, können die Zentralbanken an ihrer Tiefzinspolitik festhalten. Die Inflationserwartungen können aber schnell nach oben drehen, wie wir letzten Herbst gesehen haben. Die EZB tut gut daran, sich ein Vorbild am Fed zu nehmen und mit der ersten Zinserhöhung nicht allzu lange zu warten. Ein gutes Timing erlaubt ein gemächliches Vorgehen, führt zu einem positiven Gewöhnungseffekt und verbessert die Planbarkeit.

Kehrt die Inflation zurück?
Der Inflationsdruck ist momentan noch gering. Die Kapazitäten im Arbeitsmarkt nehmen jedoch rasch ab, auch in Europa. In den USA machen sich bereits öfters Engpässe bei der Suche nach qualifiziertem Personal bemerkbar. Die Folge werden höhere Löhne und ein Anstieg der Inflationsraten sein. Angst vor einer hohen Inflation haben wir aber keine.

Die Staatsschulden sind höher als vor der Finanzkrise. Wie werden Länder, Wirtschaft und Märkte mit diesem Problem fertig?
Staatsschulden werden erst ein Problem, wenn der Kapitalmarkt nicht mehr bereit ist, sie zu finanzieren. Deshalb können die Finanzminister der USA und von Japan trotz eines horrenden Schuldenbergs ruhig schlafen, denn sie geniessen viel Vertrauen trotz der hohen Schulden. Anders sieht es bei Staaten wie Italien mit einer geringeren Reputation aus. Sie sollten bemüht sein, ihre Schulden abzubauen. Nur wird das nicht passieren, solange der Druck des Kapitalmarktes nicht so gross ist, wie er es beispielsweise bei Griechenland war.

Also (ALSN 125.5 2.53%) doch die Portfoliorisiken senken? Wie kommt ein Anleger unbeschadet über die nächsten Jahre?
Die Liquiditätsrisiken sollten gesenkt werden, damit man handlungsfähig bleibt, wenn die Stimmung an den Märkten dreht. Das ist die Grundlage, um den nächsten Sturm mit möglichst wenig Schaden zu überstehen. Zudem wird die sorgfältige Titelauswahl umso wichtiger, je fortgeschrittener ein Wirtschafts- und Börsenzyklus ist. Qualität übersteht auch schlechte Phasen, die Hoffnung auf Ertrag allein aber nicht.

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