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13:47 Uhr - 23.08.2016

«Aktien haben noch Spielraum»

Christoph Schenk, CIO der Zürcher Kantonalbank, hält abseitsstehen für die schlechtere Wahl als investieren. Die Geldschwemme treibe Aktien weiter voran.

Herr Schenk, trotz grösseren Hindernissen wie flauer Konjunktur, geopolitischer Unsicherheit und verlangsamtem Unternehmenswachstum zeigen sich die Börsen gut gelaunt. Was treibt die Märkte an?
Christoph Schenk Bild: ZVGDie historisch einmalige Geldversorgung drückt die Obligationenrenditen immer weiter nach unten. «Tina – there is no alternative to equities», lautet das Motto, obschon man natürlich trotz sinkender Obligationenrenditen weiterhin Anleihen kaufen kann. Seit der Finanzkrise stellen sich die Notenbanken auf den Standpunkt, dass sinkende Konsumentenpreise schlimmer sind, als wenn die Vermögenspreise kollabierten, denn das würde dem Konsum und damit der Konjunktur schaden. Geld pumpen und nochmals Geld pumpen, heisst deshalb die Devise. Die Märkte sind zentralbankgetrieben. Im Vergleich zu Anleihen ist die Risikoprämie von Aktien weiterhin hoch, sprich attraktiv.

Jüngst weichen Anleger auf Schwellenländeranleihen aus. Machen Sie mit?
zoomWir sehen mehr Potenzial in Dollarobligationen, auch aus Währungsüberlegungen. Bei in Lokalwährung denominierten Emerging Markets Bonds halten wir uns aus Risikogründen zurück. Auch scheint der Aufschwung bereits ausgereizt zu sein. Jetzt noch aufzuspringen, wäre verfehlt.

Und Emerging-Markets-Aktien, die lange vernachlässigt waren, jetzt aber, siehe Brasilien oder Russland, wieder gefragt sind?
Aktien allgemein gefallen uns, zumal die Weltwirtschaft nicht stillsteht, sondern wächst, wenn auch gemächlich. Unsere Aktienquote ist leicht übergewichtet, bei insgesamt defensiver Ausrichtung und breiter Diversifikation. Aktien aus Schwellenländern haben darin Platz, sind aber untervertreten.

Sind Aktien die richtige Wahl, mit Geldschwemme und dem Fehlen von Anlagealternativen als einziger Stütze?
Die Notenbanken wollen die Wirtschaft zum Laufen bringen. Dann folgt Inflation, und über Inflation kann das überschüssige Geld vernichtet werden, und die Zinsen normalisieren sich. Geld abpumpen ist einfacher als hineinpumpen. Dass es gelingen kann, zeigen die Amerikaner. In den USA hat das Zusammenspiel von Geld-, Fiskal- und Strukturpolitik funktioniert. In Europa funktioniert nur die Geldpolitik, in Japan nur die Geld- und die Fiskalpolitik.

Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben?
Die Chance ist intakt, dass die Wirtschaft allen Unkenrufen wie dem Brexit zum Trotz auch in Europa und in Japan stärker wird. Amerika macht es vor. Es gilt jetzt wirklich, mit aller Kraft die Konjunktur voranzubringen. Dazu müssen auch die Regierungen ihren Beitrag leisten, in Form einer expansiven Fiskalpolitik, und sei es mit noch höherer Verschuldung. Die Schulden kann man später zurückzahlen. Das jüngste G-20-Treffen in China hat gezeigt, dass die Einsicht einer koordinierten Fiskal- und Geldpolitik unter den Entscheidungsträgern wächst.

Wird der Umschwung gelingen?
Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ja, es kommt gut, trotz einer weiteren Zinserhöhung in den USA, die wir frühestens für Dezember, also nach der Präsidentschaftswahl, erwarten. Ich sage nicht, die Wirtschaft entwickelt sich fantastisch, aber die Richtung stimmt, darauf lässt sich aufbauen.

Wie äussert sich Ihre Wachstumshoffnung in Zahlen?
Nach dem Brexit haben wir die Wachstumsprognosen für die Schweiz leicht zurückgenommen, für 2016 von 1,2 auf 1,1% und für 2017 von 1,1 auf 0,9%. Für die Eurozone rechnen wir aktuell mit 1% für das laufende und 0,7% für das nächste Jahr. Das mag wenig sein, ist aber weit weg von einer Rezession. Die US-Wirtschaft entwickelt sich wie gesagt tendenziell gut, und vergessen wir China nicht: Da setzt die Regierung inzwischen alles daran, das Wachstum aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt der niedrige Ölpreis, der für die Weltkonjunktur mehr Segen als Fluch ist.

Würden die Märkte eine zusätzliche Verschuldung in Europa akzeptieren?
Die Aufwertung des Dollars würde sich fortsetzen, und die Währungen von Ländern, die ihre Staatsausgaben erhöhen, würden schwächer. Das ist von vielen ja auch gewollt. Jeder will zur Export- und Konjunkturankurbelung einen noch niedrigeren Wechselkurs. Der Negativzins setzt diesem Trend allerdings eine natürliche Grenze, dann nämlich, wenn die Konsumenten um ihre Vorsorge zu bangen beginnen und sparen statt konsumieren.

Wie wahrscheinlich sind Strafzinsen auf Schweizer Sparkonten?
Es wäre irgendwie der ultimative Schritt, weshalb sich die Banken mit einer solchen Massnahme sehr zurückhalten. Bei institutionellen Kunden gibt es ihn bereits. Negativzinsen fürs breite Publikum halte ich für wenig wahrscheinlich. Da müsste noch einiges passieren, bis es zur grossflächigen Einführung käme.

Was führt die ZKB punkto Negativzinsen im Schild?
Ich kann Ihnen Auskunft über Märkte und Anlagen gegen, nicht über die Geschäftspolitik. Aber nochmals: Banken überlegen es sich ganz genau, bevor sie zu einer solch drastischen Massnahme greifen.

Aktien übergewichten, aber defensiv ausrichten. So ganz scheinen Sie der Börse nicht zu trauen.
Solange die Märkte den Notenbanken grundsätzlich vertrauen und die Geldschwemme anhält, haben Aktien Raum nach oben. Das gilt zumindest bis Ende des dritten Quartals respektive bis zu den US-Präsidentschaftswahlen. Dann wird sich zeigen müssen, wie sich die Zinsen und das Wachstum weiter entwickeln. Man spricht ja auch von der Wall of Worries, der Wand der Sorgen, die von Börsianern erklommen wird. Das ist weiterhin das Szenario. Wir behalten aus diesem Grund unser Aktienübergewicht bei, setzen aber verstärkt auf die Schweiz, weil hier die grossen Werte eher defensiver Natur sind.

Der starke Franken bremst die Schweizer Börse. Brächte eine Diversifikation ins Ausland nicht mehr?
Beides ist notwendig. Bei der Frankenstärke gilt es zu differenzieren. Unternehmen wie Swatch Group (UHR 267.9 -0.37%) und Richemont (CFR 59.45 0.08%) mit hohem Kostenanteil im Inland trifft es anders als beispielsweise Nestlé (NESN 77.95 -0.19%) oder die Pharmakonzerne. 

Empfehlen Sie Pharma?
Aus Qualitäts- und Bewertungsgründen, ja – der Sektor bleibt allerdings unter Druck. Hillary Clinton ist nicht die erste demokratische Präsidentschaftskandidatin, die die Medikamentenpreise zurückfahren will. Das haben schon andere versprochen, und als sie dann im Weissen Haus waren, blieben sie im politischen Alltag hängen.

Andere Sektoren, Themen und Titel, die Ihnen gefallen?
Wir kommentieren zwar Einzelwerte, aber Tipps geben wir keine ab. Ob ich den Titel X oder Y besitze, hilft mit nichts, wenn ich das Gesamtrisiko nicht beherrsche. Der Einzeltitel ist nicht matchentscheidend, sondern ob ich die Asset Allocation, den Portfoliomix, im Griff habe: Habe ich die Zinsrisiken richtig eingeschätzt, die Aktien-, die Währungsrisiken? Das ist das A und O des Anlegens. Eine breite Diversifikation war noch nie falsch.

Sind Aktien heute nicht zu teuer?
Wer ehrlich ist, muss zugeben, wir wissen es nicht. Die Kurse sind derart von der Geldpolitik getrieben, dass Preis-Kurs- oder Preis-Buchwert-Verhältnisse keine verlässliche Auskunft mehr geben. Der einzige Massstab – und selbst in «normalen» Zeiten der wichtigste – ist die Bewertungsrelation zwischen Aktien und Obligationen. Bei einer Negativrendite von 0,5% für zehnjährige «Eidgenossen» und einer erwarteten Gesamtrendite für Aktien von 3 bis 4% sind Aktien noch immer günstig. Am Obligationenmarkt blicken wir auf eine über zwanzigjährige, unglaubliche Hausse zurück. Es muss nicht mal zu einem Zinsanstieg kommen. Allein das Wiederanlagerisiko, wenn bei anhaltendem Seitwärtstrend eine Obligation fällig wird, ist enorm.

Wäre Cash die Lösung?
Nein, unsere Cash-Quote im ausgewogenen Portfolio bewegt sich als taktisches Schiesspulver um 6%. Eine Alternative sind Schweizer Immobilien, auch wenn es sich um eine illiquide Anlage handelt: Der Investor weiss, das ist mein Boden, es gibt Rechtssicherheit, und der Mietertrag ist längerfristig gesichert.

Wann gilt es, Gewinne mitzunehmen?
Die Frage ist, was dann, wo investieren, wenn das Negativzinsszenario anhält, wovon auszugehen ist. Das Thema ist nicht das Aussteigen, sondern der Umstand, dass viele Anleger seit der Finanzkrise 2008 nicht eingestiegen sind. Trotz mehrerer Korrekturen hätten sie ihr Vermögen vermehrt. Nicht das Investieren, das Zuwarten macht ärmer.

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