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07:38 Uhr - 02.09.2014

Humira dominiert Arthritis-Markt

Das Produkt des US-Anbieters AbbVie ist das meistverkaufte Medikament der Welt und wächst weiterhin rasant.

«Finanz und Wirtschaft» beleuchtet in loser Folge Krankheiten, deren Behandlung der Gesundheitsbranche besondere Wachstumschancen verspricht. Den Anfang machten die Infektionserkrankung Hepatitis C, COPD (auch bekannt als Raucherlunge), Multiple Sklerose und Diabetes. Ein Medikament wie Humira hätte jeder Pharmakonzern gerne im Angebot. Das Präparat von AbbVie, das vor allem, aber längst nicht nur gegen die Gelenkerkrankung rheumatoide Arthritis (RA) eingesetzt wird, ist das meistverkaufte Pharmaprodukt der Welt. Branchenweit bilden Antirheumatika den drittgrössten Markt nach Therapien gegen Krebserkrankungen und Diabetes.

Der amerikanische Pharmakonzern AbbVie erzielte 2013 mit Humira einen Umsatz von 10,7 Mrd. $. Die Einnahmen nahmen Quartal für Quartal um einen zweistelligen Prozentsatz zu – ein Trend, der sich auch in diesem Jahr fortgesetzt hat. Im ersten Quartal  stieg der Umsatz rund 13% und im zweiten gar über 26% auf zusammengerechnet 5,9 Mrd. $.

Rheumatologen, zu deren Spezialgebiet die Behandlung von RA zählt, schätzen an Humira die gute Wirksamkeit und die umfangreichen Erfahrungswerte. zoomDas Medikament ist in den USA bereits seit Ende 2002 und in Europa seit 2003 zum Verkauf zugelassen. Die Behandlung ist kostspielig. In der Schweiz kostet eine monatliche Dosis 2000 Fr. Obschon Humira 2016 in den USA und 2018 auch in der Europäischen Union den Patentschutz verliert, rechnen die meisten Analysten noch über einen längeren Zeitraum mit hohen Einkünften. Die Pharmaspezialisten der Credit Suisse (CSGN 25.85 -0.12%) versprechen sich auch in zehn Jahren noch einen Umsatz von mehr als 11 Mrd. $.

Erste Kopie bewilligt

Das u. a. auch gegen die Hauterkrankung Psoriasis (Schuppenflechte) und das Darmleiden Colitis Ulzerosa eingesetzte Präparat ist ein Biologikum. Wie alle biotechnologisch hergestellten Medikamente stellt es hohe Anforderungen an Nachahmer. Der Marktführer im Geschäft mit sogenannten Biosimilars, die Novartis-Tochter Sandoz, erzielt hier erst einen Umsatz von rund 500 Mio. $, wie Novartis-CEO Joseph Jimenez Anfang dieser Woche gegenüber internationalen Medienvertretern in Basel verriet. Sandoz ist bisher das einzige Unternehmen, das in der abschlies­senden Phase III der klinischen Entwicklung an einem Generikum für Humira arbeitet.

Früher oder später dürfte aber auch Humira Konkurrenz durch Nachahmerprodukte erhalten. In der EU wurde im vergangenen Jahr bereits ein Biosimilar für einen verwandten Umsatzrenner gegen RA, Remicade, zur Verabreichung bewilligt. Das Produkt beruht wie Humira auf einem gegen den Tumornekrosefaktor eingesetzten monoklonalen Antikörper (TNF-Blocker). Die weltweite Vermarktung teilen sich die US-Gesundheitskonzerne Johnson & Johnson und Merck (MRK 60.11 0.18%) & Co.

20 Mrd. $ schwerer Markt

RA gehört wie Colitis Ulzerosa und Psoriasis zu den grundsätzlich nicht heilbaren Autoimmunerkrankungen (Lesen Sie hier mehr). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass der Körper fortlaufend durch das eigene Immunsystem attackiert wird. Der Markt für Medikamente gegen Autoimmunerkrankungen ist nach Schätzung der CS-Analysten allein in den USA gut 15 Mrd. $ schwer, wovon 10 bis 11 Mrd. $ auf die Behandlung von RA entfallen. Weltweit werden rund 20 Mrd. $ mit RA-Medikamenten umgesetzt.

Den Pharmaexperten der CS zufolge dürfte der gesamte US-Markt mit Therapien gegen Autoimmunerkrankungen bis 2020 jährlich um durchschnittlich 7% auf 25 Mrd. $ wachsen. zoomDeutlich verhaltener sind die Wachstumsaussichten für das US-Pharmageschäft als Ganzes. Im vergangenen Jahr entwickelte es sich wegen der beschleunigten Abgabe von Generika sogar rückläufig.

Unter Branchenbeobachtern umstritten ist, ob Biosimilars wegen ihrer niedrigeren Preise im Vergleich zu Originalpräparaten den Gesamtmarkt schmälern oder – als erschwingliche Alternative für neue RA-Patientengruppen vorab in Schwellenländern – zu einer Markterweiterung beitragen. Ueli Fankhauser, Leiter des Therapiebereichs für Immunologie, Infektionskrankheiten und Ophthalmologie bei Roche (ROG 269.3 0.6%), hält beide Szenarien für plausibel. Wie er im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft» konstatiert, sieht Roche das Geschäft mit RA-Therapien gegenwärtig branchenweit im zweistelligen Prozentbereich expandieren. Dieselbe Feststellung treffe auf das unternehmenseigene RA-Medikament RoActemra zu.

RoActemra brachte 2013 dank einem Zuwachs von 30% Roche erstmals mehr als 1 Mrd. Fr. ein. Das Biologikum, das mit Anti-IL6 auf einen anderen Pfad als die Anti-TNF setzt, verspricht für Fankhauser vorab als Monotherapie Potenzial. In dieser Art der Verabreichung wird es anders als die TNF-Blocker nicht mit Methotrexat kombiniert. Behandlung von rheumatoider Arthritis zoomMethotrexat wird seit den Fünfzigerjahren eingesetzt und ist als Erstlinientherapie bei RA-Erkrankten noch immer Standard. Allerdings vertragen längst nicht alle Patienten Methotrexat, wie Fankhauser betont.

Die seit den späten Neunzigern verfügbaren TNF-Blocker haben die Behandlung von RA revolutioniert, auch wenn bis heute nur 60 bis 70% der Patienten darauf ansprechen. Nach wie vor skeptisch werden im Markt dagegen die Chancen für RoActemra beurteilt. Die Analysten des Brokerhauses Helvea beispielsweise beziffern den jährlichen Spitzenumsatz dafür bis 2020 auf lediglich 1,8 Mrd. Fr. Roche dagegen setzt grosse Hoffnungen in das Medikament, das nun auch in Europa für Injektionen unter die Haut (subkutaner Einsatz) und nicht – wie nach der erstmaligen Marktfreigabe 2009 – nur für die umständliche intravenöse Verabreichung zugelassen ist. «Wir haben die klare Erwartung, dass RoActemra als Therapie gegen RA an Einfluss gewinnt», sagt Fankhauser.

Neuheit von Pfizer enttäuscht

Wegen der beschränkten Wirksamkeit der TNF-Inhibitoren besteht weiterhin grosser Bedarf nach neuartigen RA-Medikamenten. Die hohen Erwartungen bisher enttäuscht hat das Ende 2012 zugelassene Xeljanz des US-Pharmamultis Pfizer (PFE 29.39 0.03%), obwohl es im Gegensatz zu den bestehenden modernen Präparaten erstmals nicht mehr injiziert werden muss, sondern in Tablettenform verfügbar ist. Das Produkt aus der neuartigen Kategorie der Januskinase-Inhibitoren dürfte weiterhin meist nur nach dem erfolglosen Einsatz von TNF-Hemmern verabreicht werden. Damit ist fraglich, ob das Produkt den von Analysten ursprünglich in Aussicht gestellten Spitzenumsatz von gegen 3 Mrd. $ pro Jahr jemals erreichen wird.

Aus Anlegersicht sind mit Blick auf den RA-Pharmamarkt die mit einem KGV 2015 von 14 moderat bewerteten Aktien von AbbVie klarer Favorit. Der amerikanische Medikamentenhersteller trägt wegen Humira, das 2013 beinahe 57% zum Konzernumsatz von 18,8 Mrd. $ beigetragen hat, zwar ein beträchtliches Klumpenrisiko. zoomAuf den Umsatzrenner dürfte jedoch noch länger Verlass sein. Kaum Wert attestieren Investoren bisher potenziellen Nachfolgern für Humira, obwohl AbbVie mehrere vielversprechende Wirkstoffe gegen Autoimmunerkrankungen in Phase I und II der klinischen Entwicklung erforscht.

Chronische EntzündungenDie Zahl der Betroffenen von rheumatoider Arthritis (RA) wird weltweit auf bis zu 70 Mio. geschätzt. Kennzeichnend für diese Autoimmunerkrankung, die in der Regel zwischen dem 35. und 55. Altersjahr erstmals auftritt und deutlich mehr Frauen als Männer heimsucht, sind chronisch entzündete, schmerzhafte und geschwollene Gelenke. Die Patienten kämpfen zunehmend mit Behinderungen, weil Knorpel und Knochen dauerhaft geschädigt werden.

Pro Jahr wird ungefähr ein neuer RA-Fall auf 2000 Einwohner gezählt. Die Behandlung dieser nach wie vor nicht heilbaren Krankheit beginnt in der Regel durch die Verabreichung des bereits seit über fünfzig Jahren gebräuchlichen Immunsuppressivums Methotrexat. Da Krankheitsschübe sich damit aber oft nicht ausreichend unterdrücken lassen, wird es mit der Zeit mit einem Biologikum meist vom Typ TNF-Blocker kombiniert. Rund zehn solcher Folgetherapien stehen inzwischen zur Verfügung. Fast alle sind Blockbustermedikamente mit jährlichen Umsätzen von über 1 Mrd. $.

 

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