Raymond Chan, CIO Equity Asia Pacific bei Allianz Global Investors, über den globalen Handelskonflikt und das Risiko einer neuen Schwellenländerkrise.
Herr Chan, die neusten Entwicklungen belegen: Der globale Handelsstreit ist noch lange nicht beigelegt – vor allem zwischen den USA und China. Wie dürften sich die Querelen fortsetzen?
Der weitere Verlauf und die möglichen Folgen eines Handelskriegs sind schwierig abzuschätzen. Doch es kann übel enden. Letztlich hängt alles von Donald Trump und seinen Motiven ab. Anfangs gab der US-Präsident an, das Handelsdefizit gegenüber China senken zu wollen. Inzwischen wird immer klarer, dass er es auf andere Dinge abgesehen hat.
Auf welche?
Zum Beispiel auf die chinesische Industriepolitik, in der Subventionen und Staatsbetriebe noch immer ein tragende Rolle spielen. Ein grosses Problem hat Trump auch mit dem Plan «Made in China 2025», mit dem sich das Reich der Mitte von der bisherigen Rolle des Auftragsfertigers abheben möchte. Trump ist extrem beunruhigt, dass China damit die amerikanische Führungsrolle gefährdet. Jedes Land, das versucht, die Spitzenposition der USA anzugreifen, wird attackiert.
Wie dürfte es im Streit weitergehen?
China dürfte wahrscheinlich bis zu den US-Zwischenwahlen keine aktiven Gespräche mehr führen, sondern abwarten, bis die Resultate feststehen. Man erkennt aber, dass Peking den Ball gegenwärtig ein bisschen flacher hält – etwa was die Agenda 2025 betrifft.
Um die negativen Folgen der US-Strafzölle abzufedern, könnte China die eigene Währung schwächen. Als wie gross stufen Sie das Risiko ein, dass Peking den Renminbi abwerten lässt und es dabei zu einer gefährlichen Abwärtsspirale kommt?
Ich bin sicher, dass China die eigene Währung nicht als Druckmittel einsetzen wird. China ist zurzeit primär darauf bedacht, die eigene Wirtschaft zu stärken und den Binnenkonsum anzukurbeln. Hierbei wäre ein schwacher Renminbi hinderlich. China verfügt jedenfalls über genügend andere Instrumente, um sich zur Wehr zu setzen. Dass der Renminbi in den letzten Monaten dennoch an Boden verloren hat, ist wohl eher auf die Folgen der US-Zinserhöhungen und den Handelskonflikt zurückzuführen. Das sieht man an der jeweiligen Reaktion des Marktes: Bei einer Entspannung des Disputs hat der Renminbi gegenüber dem Dollar jeweils zugelegt, bei einer Verschärfung verloren.
Wie schätzen Sie den Zinserhöhungspfad in den USA ein? Haben Sie Bedenken, dass ein Anziehen der Zinsschraube und ein starker Dollar die Schwellenländer unter Druck setzen werden, wie man das 2013 während des «Taper Tantrum» gesehen hatte?
Viele Marktakteure sind bullish für den Dollar und gehen noch immer von einer raschen US-Zinserhöhung aus. Ich sehe das anders: Zwar dürften die USA im September respektive im Dezember die Zinsen durchaus weiter erhöhen, denn die Konjunktursignale sind gegenwärtig sehr stark. Die Frage ist aber, wie nachhaltig diese Entwicklung ist. Wo soll der positive Impuls nach der Steuerreform von Trump herkommen? Gleichzeitig sind auch Überraschungsindizes wie der Citigroup Economic Surprise Index ins Negative gefallen, ohne dass dies von den Finanzmärkten bislang gebührend berücksichtigt worden wäre.
Gibt es sonst Argumente, die der optimistischen Beurteilung der USA zuwiderlaufen?
Die flache Zinskurve spricht für eine bevorstehende US-Rezession – noch nicht dieses Jahr, aber womöglich bereits 2019 oder 2020. Zudem weisen die Vereinigten Staaten sowohl ein Haushalts- als auch ein Leistungsbilanzdefizit auf. Deshalb denke ich, dass wir uns gemessen am handelsgewichteten Dollar eher am oberen denn am unteren Rand der Kursspanne bewegen. Aus diesem Grund gehe ich auch nicht davon aus, dass eine Schwellenländerkrise droht.
Eine sich abschwächende Konjunktur in den USA und ein eskalierender Handelsstreit – das sind nicht gerade gute Vorzeichen für den globalen Aktienmarkt.
Der Bullenzyklus ist tatsächlich ziemlich ausgedehnt – besonders in den USA, wo der Aktienmarkt bereits sehr hoch bewertet ist. Ab einem gewissen Punkt kann dies so nicht mehr weitergehen. Ich bin überzeugt, dass in der nächsten Phase die asiatischen Schwellenländer die USA überperformen werden. Die jüngste Schwäche in China und den Emerging Markets halte ich eher für temporär denn für einen Übergang in einen Bärenmarkt. Klar ist allerdings: Asien könnte sich trotz der günstigen Bewertungen einer Schwäche an den US-Börsen nicht entziehen.
Seit diesem Sommer werden chinesische Festlandvaloren, die A-Aktien, in den MSCI-Schwellenländerindizes berücksichtigt. Was bedeutet das für westliche Anleger?
Was die Relevanz chinesischer Aktien im globalen Gefüge anbelangt, gibt es nur eine Richtung: aufwärts. Seit Jahresbeginn haben die Kurse der A-Aktien zwar an Boden eingebüsst. Es sind aber vor allem lokale Anleger ausgestiegen. Ausländische Investoren haben sich keineswegs zurückgezogen. Im Gegenteil: Sie scheinen immer mehr Kapital in den Markt zu stecken.
Bislang scheint bei hiesigen Anlegern dennoch eine gewisse Skepsis vorzuherrschen. Wie dürfte der Prozess voranschreiten?
Anschauungsunterricht liefert Taiwan in den Neunzigerjahren. Eine tragende Rolle spielte damals TSMC: Als der Chipkonzern begann, erstmals eine Dividende auszuschütten, zog dies ausländische Investoren an. Immer mehr internationales Kapital floss in den Markt, während der Anteil lokaler Anleger sank. Dadurch verlor der Aktienmarkt Taiwans an spekulativem Charakter und wurde stetig solider. Dieser Prozess findet nun auch in China statt – einfach noch eine Stufe schneller. Bislang habe ich auch vonseiten von MSCI keine negativen Kommentare gehört. Die Einbeziehung der A-Aktien lief bislang ziemlich geschmeidig ab. Das alles spricht dafür, dass sich China – so wie Japan vor vielen Jahren – als separate Assetklasse etablieren kann. Zudem gehe ich davon aus, dass 2020 die chinesische Währung vollständig konvertierbar sein wird.
Gerade die chinesischen Internetaktien haben starke Kursavancen verzeichnet. Teilen Sie die Befürchtungen, dass sich hier eine Blase gebildet hat?
Grundsätzlich rechtfertigen die chinesischen Internetkonzerne eine höhere Bewertung als ihre US-Wettbewerber durchaus. Ihr Schlüssel zum Erfolg sind die gewaltigen Datenmengen: Die chinesischen Internetkonzerne sind unter anderem so schnell gewachsen, weil heimische Konsumenten kaum Befürchtungen bezüglich Datenschutz hegen. Zudem sind die Unternehmen innovativ. In den grossen Städten Chinas ist der Alltag bereits bargeldlos. Praktisch alles kann man mit dem Smartphone erledigen. Dass sich China in diesem Bereich vom Kopierer zum Innovator entwickelt hat, zeigt sich auch an der hohen Zahl neu angemeldeter Patente.
Haben chinesische Internetkonzerne das Potenzial, sich im Westen zu etablieren?
Das wohl eher nicht. Aber sie expandieren kräftig in den umliegenden Staaten. Selbst in Ländern wie Pakistan scheint jeder bereits WeChat des chinesischen Internetkonzerns Tencent zu benutzen. Dieses Wachstum birgt allerdings auch Gefahren. Einzelne Regierungen – wie jüngst etwa die Führung Malaysias – haben bereits vor dem wachsenden Einfluss Pekings gewarnt. China muss behutsam vorgehen.
Wo sehen Sie Chancen und Risiken auf Länderebene? Wie beurteilen Sie beispielsweise die Aussichten Südkoreas?
Südkorea ist zurzeit ein eher schwieriges Pflaster. Die seit letztem Jahr amtierende Regierung von Moon Jae-in hat sich etwa vorgenommen, dass die Löhne steigen. Das geht zulasten der Gewinnmargen der Konzerne. Zudem befindet sich die Wirtschaft in einem ungemütlichen Sandwich zwischen Japan und China: China klettert stetig die Wertschöpfungskette empor und tritt damit immer stärker in Konkurrenz zu Südkorea. Das zwingt Südkorea seinerseits, in den Bereich von Japan vorzudringen – wobei fraglich ist, ob das Südkorea gelingt. Zudem ist Moon Jae-in bestrebt, kräftig in Nordkorea zu investieren und sich mit dem Nachbarn zu versöhnen. Die Frage bleibt, wie diese Annäherung von den USA quittiert wird.
Wie schätzen Sie Indien ein?
Als Premierminister Narendra Modi die Regierung übernahm, waren die Erwartungen an ihn sehr hoch. Seine Reformen sind bislang allerdings nicht so weitreichend und aggressiv ausgefallen wie erhofft. Dennoch hat sich der heimische Aktienmarkt sehr positiv entwickelt. Das ist aber eher auf die Aktivität der lokalen denn der internationalen Investoren zurückzuführen. Zudem kämpft das Land mit einem Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit, was die Rupie schwächt.
Welche asiatischen Länder halten Sie sonst noch für interessant?
Unter Präsident Duterte haben sich die Philippinen gut entwickelt. Das Land hat sich von den USA gelöst und die Beziehungen zu China intensiviert. Nicht nur exportiert man viel in das Reich der Mitte, auch beherbergt man immer mehr chinesische Touristen. Dafür besteht die Gefahr, dass die Wirtschaft überhitzt und die Zentralbank den richtigen Zeitpunkt für Zinserhöhungen verpasst.
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