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16:20 Uhr - 19.08.2014

«Wir steuern direkt auf die nächste Krise zu»

James Rickards, vormaliger Chefjurist des Hedge Funds LTCM und Investmentbanker, warnt im Interview vor einem baldigen Zusammenbruch des globalen Währungssystems.

Wer Jim Rickards zuhört, den beschleicht ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Der Rechtsanwalt und Investmentbanker aus den USA ist überzeugt, dass es bald zu einem finanziellen Desaster ungekannter Ausmasse kommt. Zur PersonGeschichten über Katastrophen sind immer faszinierend. Kaum einer erzählt sie jedoch so spannend wie James Rickards. Im neuen Buch «The Death of Money» zeigt er auf, wie das Währungssystem bereits 1914, 1939 und 1971 zusammengebrochen ist und, warum nun die globale Vorherrschaft des Dollars auf dem Spiel steht. Ab Oktober ist es auch in deutscher Fassung erhältlich. Es folgt auf seinen ersten Titel «Currency Wars», der auf der Bestseller-Liste der «New York Times» rangiert. Inspiriert hat ihn mitunter die Tätigkeit als Berater des Pentagons in Finanzfragen. Rickards, der mehr als 35 Jahre Erfahrung an Wallstreet hat, arbeitet derzeit als globaler Chefstratege für die Investmentboutique West Shore Funds und sitzt in der Geschäftsleitung des Sicherheitsdiensts Omnis. Er doktorierte an der University of Pennsylvania in Steuerrecht und begann seine berufliche Karriere bei Citibank. 1994 wechselte er zum Hedge Funds LTCM, der anfänglich zu den besten Adressen der Finanzbranche zählte und mehrere Nobelpreisträger beschäftigte. Der passionierte Bergsteiger und republikanische Parteigänger lebt in Connecticut.In seinem neuen Buch, «The Death of Money», warnt er vor dem Ende des Dollars als globale Leitwährung und macht dafür die ultralockere Politik der Zentralbanken verantwortlich. Rickards redet nicht von ungefähr: Als Hauptverhandlungsführer bei der Rettung des Hedge Fund Long-Term Capital Management (LTCM) hat er 1998 selbst tief in die Abgründe einer potenziellen Weltkatastrophe geblickt.

Herr Rickards, als Chefjustiziar von LTCM waren Sie «live» dabei, als das Finanzsystem im September 1998 auf der Kippe stand. War die jüngste Finanzkrise für Sie damit eine Art Déjà-Vu-Erlebnis?
Die Finanzkrise von 2008/09 war natürlich viel grösser. Sonst spielte sich aber fast genau dieselbe Dynamik ab, wie beim Konkurs von LTCM. In beiden Fällen haben sich Banken und Regulatoren auf die falschen Risiko-Modelle verlassen. Dadurch wurden Gefahren unterschätzt und die Verschuldung der Banken stieg immer weiter an. Das machte das Finanzsystem extrem anfällig für einen rapiden Kollaps. Trotzdem werden die gleichen Risiko-Modelle heute weiterhin verwendet. Bis der nächste Crash kommt, ist es deshalb nur eine Frage der Zeit.

Wann rechnen Sie damit?
Möglicherweise schon in ein bis zwei Jahren, aber sicher nicht länger als in sechs. Als sich die Asienkrise im Sommer 1998 auf Russland ausbreitete, erwartete niemand, dass dadurch plötzlich ein Hedge Fund wie LTCM in Not geraten und das gesamte System gefährden würde. Unter Regie des Federal Reserve mussten die Banken schliesslich ein Rettungspaket schnüren, was die Lage entschärfte. Wie kurz das System damals vor dem kompletten Zusammenbruch stand, realisierte ausser den Involvierten kaum jemand. Wäre die Rettung nicht gelungen, hätten die Märkte weltweit geschlossen werden müssen.

Warum ist die Situation denn heute noch gefährlicher?
Im Herbst 1998 mussten die Banken einen Hedge Fund retten. Nur zehn Jahre später musste dann das Fed die Banken retten. Die kommende Krise wird mit solcher Wucht zuschlagen, dass nicht einmal mehr die Zentralbanken das System schützen können. Die Finanzinstitute, die bereits 2008 zu riesig waren, um sie sterben zu lassen, sind heute noch grösser und sitzen auf noch mehr Derivaten. Gleichzeitig haben die Zentralbanken ihre Bilanzen enorm aufgebläht. Insgesamt hat die Verschuldung damit sogar noch zugenommen, womit wir direkt in die nächste Krise steuern.

Ohne die Rettungs- und Stimulusprogramme ginge es der Wirtschaft heute aber möglicherweise erheblich schlechter.
Die aktuelle Konjunkturentwicklung lässt sich nicht mit den gängigen ökonomischen Theorien verstehen, in denen sich Aufschwung und Rezession in einem stetigen Zyklus ablösen. Deshalb herrscht an der Spitze der Zentralbanken und unter Ökonomen so grosse Verwirrung. Das Fed zum Beispiel hat das Wirtschaftswachstum nun schon seit fünf Jahren hintereinander überschätzt – und das nicht etwa nur knapp, sondern beträchtlich. Dennoch hofft es noch immer darauf, dass der Aufschwung in den USA selbsttragend wird und die Wirtschaft auf einen robusten Expansionskurs kommt.

Wo liegt also das Problem?
Die Welt steckt seit 2007 in einer Depression. Fälschlicherweise wird darunter oft eine lange Phase verstanden, in der die Wirtschaft ständig schrumpft. Das entspricht aber nicht der Definition. In einer Depression kann die Konjunktur sehr wohl expandieren, das Wachstum bewegt sich aber unter dem historischen Trend und wird ohne strukturelle Veränderungen immer auf tiefem Niveau verharren. Dennoch versuchen es die Zentralbanken mit geldpolitischen Sondermassnahmen wie QE3 zu stimulieren. Das löst das Problem aber nicht, sondern ist wie, wenn man eine Krebserkrankung mit Aspirin behandeln würde.

Diesen Herbst will die US-Notenbank QE3 aber beenden.
Weil sich das Fed auf die falschen Modelle verlässt und die Wirtschaft nicht richtig versteht, macht es immer wieder den gleichen Fehler. So hat es genau in dem Moment damit begonnen, QE3 zurückzufahren, als sich die US-Konjunktur erneut abschwächte. Das haben wir im ersten Quartal klar gesehen. Im zweiten Quartal hat das Bruttoinlandprodukt dann zwar deutlich zugenommen. Fast die Hälfte des Wachstums basierte jedoch auf dem Aufbau von Lagern. Dieser Effekt trägt langfristig kaum nennenswert zur Konjunkturleistung bei. Klammert man ihn also richtigerweise aus, hat sich die Depression im ersten Halbjahr fortgesetzt.

Das heisst, sie glauben nicht daran, dass Fed-Chefin Yellen ein geordneter Rückzug aus der ultralockeren Geldpolitik gelingt?
Ganz und gar nicht. Das Fed wird QE3 zwar im Oktober stoppen. Bis Ende des Jahres wird sich die Konjunkturlage dann aber stark eintrüben. Anfang 2015, womöglich im März, wird das Fed daher mit QE4 ein neues Stimulusprogramm starten müssen – mehr oder weniger um die Zeit, zu der die Märkte heute mit der ersten Zinserhöhung rechnen. Das Fed setzt damit weiterhin auf die falsche Behandlung, druckt noch mehr Geld und vergrössert die Gefahr einer Krise.

Bis jetzt ist aber alles gut gegangen. Von Inflationsschüben etwa ist nichts zu sehen.
Tatsächlich gibt es bisher kaum Inflation, höchstens etwas bei den Lebensmittel-  und Energiepreisen. Für Inflation braucht es jedoch zwei Faktoren: Erstens muss sich die Geldmenge ausweiten. Das macht das Fed, indem es seine Bilanz ausweitet. Ebenso wichtig ist aber auch, dass die Leute sich dieses Geld ausleihen und es ausgeben. Dieser zweite Faktor ist die Umlaufgeschwindigkeit und hat sich bislang nicht verändert. Letztlich ist es mit Inflation damit wie mit einem Schinken-Käse-Sandwich: Es braucht beide Zutaten dafür, sowohl das Geldangebot als auch die Umlaufgeschwindigkeit.

Warum zieht die Umlaufgeschwindigkeit nicht an?
Das hat in erster Linie mit Psychologie zu tun. Keynes beispielsweise hat in diesem Zusammenhang von Animal Spirits gesprochen, während man heute von Verhaltensökonomie redet. Indem das Fed die Finanzmärkte manipuliert und uns quasi vorenthält, was sich wirklich abspielt, versucht es die Haushalte und die Unternehmen dazu zu bewegen, mehr Geld auszugeben. Bislang erweist sich das Verhalten jedoch als sehr resistent. Das Fed kann so viel Geld drucken wie es will: Solange es nicht in Umlauf kommt, gibt es keine Inflation – und solange gibt es auch kein nominales Wirtschaftswachstum, das die hohe Verschuldung tragbar macht.

Was passiert, wenn die Psychologie dreht?
Wenn sich das Verhalten verändert, kann das sehr schnell passieren, was ebenso schwierig wieder rückgängig zu machen ist. Gut denkbar ist, dass die Inflation zunächst auf 3 bis 3,5% anzieht, worauf das Fed versuchen wird, sie wieder zu bremsen. Ist der Geist aber einmal aus der Flasche, kann man ihn kaum so rasch wieder einfangen. Es würde also nicht überraschen, wenn die Teuerungsrate plötzlich auf 9% springt, wie das in den Siebzigerjahren der Fall war. So oder so gibt es für das Fed damit keinen leichten Ausweg: Ohne Inflation kommt es zum Desaster wegen der hohen Schulden. Ändert sich jedoch die Psychologie der Märkte, droht eine Inflationskrise.

Was bedeutet das konkret?
Ich kann mir drei Szenarien vorstellen. Wenn es zur Hyperinflation kommt, werden Währungen wie der Dollar zwar weiterhin existieren. Ihr Wert ist aber zerstört. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Notenbanken immer weiter Geld drucken und das System plötzlich kollabiert. Da sie gegen die nächste Finanzkrise nichts mehr ausrichten können, bleibt als letzte Bastion nur noch der Internationale Währungsfonds. Er wird dann in massivem Umfang eine Art Weltwährung drucken, die heute bereits in Form sogenannter Special Drawing Rights existiert. In diesem Fall gibt es ebenfalls Hyperinflation, einfach aus einer anderen Richtung.

Und wie sieht das dritte Szenario aus?
Wenn das System kollabiert, das Papiergeld 80 oder 90% an Wert einbüsst und die Kurse an den Börsen einbrechen, werden viele Leute ihre Ersparnisse verlieren. Nachdem sie mit einer solchen Situation bereits beim Platzen der Internetblase und während der Finanzkrise konfrontiert worden sind, könnte ihnen der Kragen platzen. Die Folge wären schwere Unruhen, die eine neofaschistische Reaktion provozieren würden mit massivem Einsatz von Polizei, Militär und Massenverhaftungen. Welches Szenario am Ende eintritt, ist gleichgültig. Entscheidend ist, dass alle den gleichen Ursprung haben: Zentralbanken, die nicht wissen, was sie tun, und Banken, die viel zu gross sind.

Was könnte denn der Auslöser der nächsten Krise sein?
Das ist schwierig zu sagen. Es ist wie mit einem Berghang auf dem sich mehr und mehr Schnee anhäuft. Jeder routinierte Alpinist sieht, dass früher oder später eine Lawine droht. Eines Tages fällt dann eine Schneeflocke auf die falsche Stelle und löst einen kleinen Rutsch aus. Daraus entwickelt sich eine Kettenreaktion, bis der ganze Hang in Bewegung kommt und die Lawine auf dem Weg ins Tal alles tötet, was ihr im Weg steht. Eine solche Schneeflocke könnte beispielsweise ein Problem bei der Auslieferung von Gold (Gold 1296.09 -0.15%) sein, der Kollaps einer Bank, ein Selbstmord eines prominenten Investors oder irgendein Ereignis in der Weltpolitik. Was genau der Auslöser ist, spielt letztlich keine Rolle, weil es ständig solche Einzelereignisse gibt. In der Zwischenzeit blicke ich zum Berg hinauf und sehe, wie instabil die Lage ist.

Wie können sich Investoren vor dieser Killer-Lawine schützen?
Das Beste, was man als Privatanleger machen kann, ist 10% der investierbaren Mittel in physisches Gold anzulegen. Mit investierbaren Mitteln meine ich Geld zum Kauf von Aktien oder Anleihen, nicht aber Einlagen für das eigene Haus oder Geschäft. Selbst wenn alle anderen Investitionen beim grossen Crash 60 oder 70% an Wert verlieren, wird der Goldpreis um das Drei-, Vier- oder sogar Fünfhundertfache steigen. Gold ermöglicht somit eine Absicherung des Portfolios. Wichtig ist, dass man physisches kauft und nicht Papier-Gold wie einen ETF. Denn wenn die Märkte weltweit schliessen, lässt sich damit nichts anfangen. Ebenso sollte man das Gold an einem sicheren Ort und nicht auf einer Bank deponieren, weil diese möglicherweise auch geschlossen wird.

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