Andrew Balls, Anlagechef von Pimco, sieht bei Obligationen keine Blasengefahr. Er sagt, weshalb er in Spanien zukauft und welche Risiken er am meisten fürchtet.
Herr Balls, die Europäische Zentralbank hat kürzlich angekündigt, die Anleihenkäufe zu reduzieren. Ein sinnvoller Schritt?
Die EZB wollte auf der sicheren Seite bleiben. Hätte sie drastischere Schritte vollzogen, wäre sie im Falle eines unerwartet starken Inflationsrückgangs auf dem falschen Fuss erwischt worden – ohne Möglichkeit, korrigierend einzugreifen.
Weshalb könnte die EZB nicht mehr korrigierend eingreifen?
Angenommen, die EZB würde in drei Monaten das Anleihenkaufprogramm auslaufen lassen, und danach schwächte sich die Konjunktur markant ab: Die EZB hätte grösste Schwierigkeiten, ein neues Quantitative Easing zu lancieren. Deshalb zieht sie es vor, das laufende Programm auf schwacher Flamme weiterlaufen zu lassen.
In Europa werden die Zinsen noch längere Zeit ultratief bleiben, in Grossbritannien und den USA ziehen sie allmählich an. Ihre Erwartungen an die Zinsentwicklung?
Die Fed wie auch die Bank of England werden bis Ende 2018 noch zwei bis drei Zinsschritte vornehmen, die EZB dürfte erst Mitte 2019 mit der Zinswende Ernst machen.
Vielen Anlegern ist es in diesem Umfeld nicht mehr wohl mit Obligationen. Zu Recht?
Nein. Vor allem diejenigen, die sich auf den Standpunkt stellen, bei Obligationen herrsche Blasengefahr, müssten sich mindestens so stark um die Aktienmärkte sorgen. Obligationen sind noch immer ein gutes Mittel zur Portfoliodiversifikation.
Sind Obligationen nicht zu teuer?
Grundsätzlich sind die Bewertungen fair. Bei einzelnen Segmenten sind wir indes vorsichtiger geworden. Insbesondere bei den Hochzinsanleihen sehen wir Risiken, die wegen der gesunkenen Renditen nicht mehr angemessen entschädigt werden. Hier ist eine Korrektur nur eine Frage der Zeit. Zudem setzen wir derzeit auf eine deutlich kürzere Duration als früher. Solange sich die Zinskurve nicht zu sehr abflacht, machen wir uns wenig Sorgen. In den USA liegt die Differenz zwischen zwei- und zehnjährigen Treasuries bei 75 Basispunkten, in Deutschland beträgt sie fast 1%. Hier sehen wir kein Alarmsignal.
Obligationen korrelieren seit einiger Zeit ziemlich stark mit dem Aktienmarkt. Was genau spricht für Anleihen?
Die Risiken sind deutlich geringer. Wer mit Obligationen jährlich eine Durchschnittsrendite von 4 bis 6% erzielt, liegt damit nicht weit entfernt vom Potenzial von Aktien. Stellt man aber die Performance ins Verhältnis zur Schwankungsbreite, liegt der Vorteil bei Obligationen.
Die tiefe Volatilität führt dazu, dass Anleger je länger, je weniger Einstiegschancen finden. Was ist Ihr Rezept dagegen?
Es gibt immer wieder Möglichkeiten, zuletzt auch dank politischen Ereignissen. Die Wirren in Spanien in den vergangenen Wochen eröffneten Anlagechancen in spanischen Obligationen. Auch die französischen und die amerikanischen Wahlen wurden von einer erhöhten Volatilität begleitet, die zu Chancen führte.
Was bedeuten die katalanischen Unabhängigkeitsbemühungen für spanische Bonds?
Die Börsen haben überreagiert. Spanische und katalanische Bonds haben ungerechtfertigt viel Terrain eingebüsst. Wir sehen vor allem katalanische Bonds deshalb als Kaufgelegenheit.
Weshalb ungerechtfertigt?
Weil die Folgen für die spanische und die katalanische Wirtschaft wohl überschätzt werden. Für uns sind die Spannungen ein wichtiges, aber im Kern lokales Problem. Das zeigt sich daran, dass die europäischen Märkte wenig bis gar nicht darauf reagiert haben. Die Korrektur der katalanischen Bonds entspricht nicht den fundamentalen Daten. Wir sind überzeugt, dass man bei katalanischen Anleihen auch weiterhin die Garantien des spanischen Staates einrechnen kann.
Wo sehen Sie derzeit die grössten Chancen bei Obligationen?
Wir sehen vor allem in den USA gute Möglichkeiten. Wir setzen dort unter anderem auf nichtstaatliche, hypothekenbesicherte Papiere. Ihr Renditeprofil ist ziemlich attraktiv. Zudem sind sie vorrangig und geniessen innerhalb der Kapitalstruktur Priorität. Wenn in den USA die Häuserpreise korrigieren, fährt man mit diesen Anlagen besser als etwa mit Hochzinsanleihen. Wir halten vermehrt besicherte Anlagen und weniger Obligationen mit Kreditrisiken.
Derzeit sind Schwellenländeranleihen äusserst beliebt. Auch bei Ihnen?
Wir sehen dort immer noch gute Renditemöglichkeiten, obschon der Sektor in den vergangenen achtzehn Monaten gut gelaufen ist. Heute sind die Bewertungen auf einem vernünftigen Niveau, wirklich günstige Bereiche findet man aber kaum mehr. Wir ziehen derzeit Schwellenländerobligationen in Lokalwährung vor.
In Schwellenländern ist das Währungsrisiko für den Privatanleger kaum abschätzbar. Soll er es absichern?
Grundsätzlich ist es bei einem Anleihenfonds sinnvoll, eine währungsgesicherte Tranche zu wählen. Denn Anleger entscheiden sich ja für einen bestimmten Anleihenfonds, weil sie Exposure etwa in globalen Unternehmens- oder Schwellenlandanleihen in Hartwährungen aufbauen wollen, nicht aber wegen ihrer Einschätzung zum Dollar. Bei Lokalwährungsanleihen aus Schwellenländern ist das anders, da setzen Investoren explizit auf die Zinsvorteile und die jeweilige Währung.
Selbst für riskantere Anlagen erhält man in Schwellenländern kaum noch eine risikogerechte Rendite. So hat Argentinien kürzlich eine 100-Jahres-Anleihe mit einem Coupon von 7,5% emittiert. Sind das Anzeichen einer Blase?
Natürlich sind die Renditen nicht mehr so attraktiv wie vor einem oder zwei Jahren, aber wir sehen noch immer Gelegenheiten in ausgewählten Anleihen und Marktsegmenten wie den genannte US-Hypothekenanleihen. Grundsätzlich werden Obligationen aufgrund ihrer Eigenschaften wie Liquidität, geringere Volatilität und Berechenbarkeit des Ertrags immer eine wichtige Rolle in jedem ausgewogenen Portfolio spielen.
Der Schwellenländerboom wird von passiven Produkten wie den börsengehandelten Fonds, ETF, getrieben. Ist das ein Fluch oder ein Segen für aktive Manager wie Pimco?
Uns stört der Passivboom wenig – im Gegenteil.
Das müssen Sie uns aber erklären – angesichts der Milliarden, die in ETF fliessen.
Je mehr Leute passiv im Anleihenmarkt investieren, umso mehr Möglichkeiten haben aktive Manager, Mehrwert zu generieren. ETF investieren nach der Vorgabe von Indizes, was im Bereich von Anleihen kaum gewinnmaximierend ist.
Wie meinen Sie das?
Italien ist ein gutes Beispiel: Wer passiv in Aktien investiert, hofft auf eine Belohnung in Form einer positiven Rendite. Wer dies bei Obligationen macht, setzt darauf, im positiven Fall nicht bestraft zu werden und 100% des Einsatzes zurückzuerhalten. Hier sehe ich den grössten Unterschied zwischen aktiv und passiv gemanagten Produkten. Fällt ein Land aus Bonitätsgründen aus dem Index, muss ein ETF die Positionen im denkbar ungünstigsten Moment liquidieren. Ein aktiver Manager kann bereits früher verkaufen – oder aber er kann gezielt in Papiere investieren, weil er temporär Chancen sieht. Überhaupt ist der Bondmarkt für aktive Manager einer der attraktivsten.
Weshalb ist der Anleihenmarkt für aktive Anleger attraktiv?
Nicht nur passiv agierende Investoren, auch viele andere Marktteilnehmer verhalten sich bei Obligationen nicht gewinnmaximierend. Unternehmen haben mitunter das Ziel, über Obligationen Zins- oder Währungsrisiken abzusichern. Bei den Aktien ist es ein Nullsummenspiel: Was die einen gewinnen, verlieren die anderen. Bei den Obligationen ist es deshalb deutlich einfacher, mit einer guten Strategie zu den Gewinnern zu gehören.
Wo orten Sie die grössten Risiken im Obligationenmarkt?
Wir sehen mittelfristig drei Hauptrisiken: den amerikanischen Wirtschaftsaufschwung, der langsam in die Jahre kommt, die Zentralbanken, die allmählich ihre Bilanzausweitung verlangsamen, und China.
Welches Risiko fürchten Sie am meisten?
Das kann ich nicht abschliessend beantworten. Investoren müssen alle drei Risiken im Blick behalten. Zentralbanken betreten unbekanntes Terrain, wenn sie beginnen, die Bilanzen zurückzufahren. In den USA ist eine Rezession eine Frage der Zeit – der aktuelle Aufschwung ist der drittlängste der Geschichte. Und China ist immer ein Kandidat für einen Schock an den Finanzmärkten.
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