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15:49 Uhr - 29.07.2016

Paul Romer: Der Provokateur

Der künftige Chefökonom der Weltbank zählt zu den originellsten Denkern seiner Zunft.

«Grossbritannien hat mit seiner Kronkolonie Hongkong mehr für die Bekämpfung der Armut auf der Welt getan als alle Hilfsprogramme zusammen.» Der Mann, der diese Worte geäussert hat, ist nicht etwa ein nostalgischer Anhänger des europäischen Kolonialismus. Nein, es handelt sich dabei um einen der erfrischendsten Denker unter den Ökonomen der Gegenwart: Paul Romer.

Der Amerikaner wurde vergangene Woche zum künftigen Chefökonomen der Weltbank ernannt. Dort dürfte er mit kontroversen Ideen für Aufsehen sorgen – und damit an die Zeiten der Achtziger- und Neunzigerjahre anknüpfen, als bissige Schwergewichte wie Stanley Fischer, Larry Summers oder Joseph Stiglitz das Amt besetzten.

Romer, 60, wird seit Jahren als Anwärter für den Wirtschaftsnobelpreis gehandelt. Seinen Namen in der Zunft machte sich der Sohn des früheren Gouverneurs von Colorado in den Achtzigern, als er an der University of Chicago lehrte. Er entwickelte ein Modell, das zeigte, dass sich das Wachstum einer Volkswirtschaft nicht nur mit traditionellen Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital erklären lässt. Vielmehr seien endogene Faktoren – Ideen und Erfindungen – für einen Grossteil des Wachstums verantwortlich.

Diese Faktoren könnten gefördert werden, indem Unternehmen in Forschung und Entwicklung investieren, der Staat Grundlagenforschung finanziert und mit einem rigiden Patentrecht Ideen schützt.

Mit dieser nicht reinrassig marktgläubigen These eckte Romer in Chicago rasch an. Er zog nach Kalifornien, wo er in Berkeley und Stanford lehrte.

2001 sorgte er unter seinen Kollegen für Kopfschütteln, als er der Universitätswelt den Rücken kehrte. Er gründete im Silicon Valley eine Softwarefirma namens Aplia, die standardisierte Prüfungen für Studenten entwickelt. 2007 verkaufte Romer Aplia und konnte sich fortan, wie er selbst sagt, dank finanzieller Unabhängigkeit seinen intellektuellen Interessen widmen.

Seine Faszination gilt der Stadt als dynamischster, kreativster Einheit einer Volkswirtschaft. In den Nullerjahren entwickelte Romer die Idee der «Charter Cities»: urbane Zentren in unterentwickelten Ländern, die mit Institutionen und dem Rechtsrahmen eines hoch entwickelten Staates versehen werden. In den Charter Cities sollen eigene Regeln gelten, damit bewusst mit Reformen experimentiert werden kann, die im Erfolgsfall auf das ganze Land ausgedehnt werden können.

Für Romer ist das keine Utopie. Das Beispiel Hongkong – daher das erwähnte Zitat – zeige, wie sich eine Stadt in China unter dem Schutz britischer Institutionen entwickeln konnte. Chinas grosser Reformer Deng Xiaoping liess sich vom Modell der Charter City inspirieren, als er Sonderwirtschaftszonen wie Shenzhen schaffte, deren Errungenschaften in landesweiten Reformen umgesetzt wurden.

2009 scheiterte Romer mit einem konkreten Charter-City-Projekt in Madagaskar, als die reformwillige Regierung gestürzt wurde. Ein Projekt in Honduras scheiterte ebenfalls.

Doch Paul Romer, der übrigens einen hervorragenden Blog schreibt, gibt nicht auf. Wer weiss, vielleicht wird es eines Tages doch eine von Kanada verwaltete Metropole auf Kuba geben, ein von Singapur verwaltetes Handelszentrum in Myanmar – oder eine Schweizer Grossstadt auf Sardinien.

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