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17:18 Uhr - 30.01.2017

«Regulierung um zwei Drittel kürzen»

Kapitalmarktforscher Lutz Johanning plädiert für Anlegerschutz und warnt vor überbordenden Vorschriften – zum Wohle der Investoren.

Herr Johanning, Sie sind Inhaber eines Lehrstuhls für empirische Kapitalmarktforschung. Der Regulator will einen strengeren Anlegerschutz. Wann ist mehr auch besser?
Nur dann, wenn es auch sinnvoll ist. Regulatorisch überladene Information führt beispielsweise dazu, dass Investoren überfordert sind und sich von Anlagen in Aktien ganz zurückziehen. Es geht darum, die wichtigen Informationen in geeigneter Form fokussiert zu liefern. Weniger ist häufig mehr. Man könnte den Umfang der Regulierung um zwei Drittel kürzen.

Was wäre Ihr wichtigster Schritt, wenn Sie für die EU, die BaFin in Deutschland oder die Finma in der Schweiz entscheiden könnten?
Investoren, vor allem Kleinanleger, müssen geschützt werden. Es ist richtig, dass Regulatoren und Aufsichtsbehörden Probleme bei der Kapitalanlage und der Beratung aufgreifen und korrigieren wollen. Aber zuvor müssen die Probleme sauber analysiert, ein klares Regulierungsleitbild sowie ein konkreter Umsetzungsplan entwickelt werden. Oft wird aufgrund des hohen Handlungsdrucks zu schnell agiert.

Was macht mehr Sinn, eine einheitliche, überregionale oder eine länderspezifische Lösung?
Überregionale Regulierung ist bei der Setzung von Standards für die wichtigsten Produkteigenschaften wie Risiko, Kosten und Rendite sinnvoll. Sie helfen beim Verständnis und bei der Vergleichbarkeit der Produkte. Die EU-PRIIP-Verordnung erfordert die Erstellung kurzer «Beipackzettel», die vergleichbar im Fidleg der Schweiz umgesetzt werden soll. Das Vertrauen der Anleger und die Wettbewerbskräfte der Märkte sollen gestärkt werden. Leider ist die Umsetzung etwas holprig, und die gewählten Standards sind nicht die besten. Wettbewerb macht aber durchaus Sinn. Regulierungseffekte sind schwer absehbar. Es ist deshalb gut, wenn verschiedene Regeln in Teilmärkten «ausprobiert» werden.

Was halten Sie davon, dass immer mehr Anleger sich via elektronische Plattformen Produkte selbst besorgen und sich so den Aufsichtsregeln entziehen?
Solange diese Anleger kompetent und gut informiert sind, ist diese Entwicklung zu begrüssen, Investoren erhalten exakt auf ihre Wünsche ausgerichtete Produkte. Wichtig ist es, die Kosten des Produktbaus im Blick zu haben und mit ähnlichen Produkten am Markt zu vergleichen.

Welche Chancen und Risiken bietet die Digitalisierung generell in der Welt der strukturierten Produkte?
Die Digitalisierung bietet die Chance, Anlegerpräferenzen und Produkteigenschaften präzise auf eine Linie zu bringen. Davon können Anleger und Banken profitieren. Zentrale Aufgabe ist es, durchdachte Kriterien für diese Abgleichung zu finden. Die aktuellen regulatorischen Vorgaben aus PRIIP und Mifid II helfen dabei.

Wo sehen Sie in Sachen Transparenz noch Verbesserungspotenzial?
Potenzial bei den Transparenzvorschriften nach EU-PRIIP-Verordnung bzw. den Umsetzungsstandards sehe ich bei drei Punkten. Erstens sollten die Berechnungsmethoden für die Risiken und die Performanceszenarien angeglichen und inhaltlich überarbeitet werden. Zweitens halte ich es nicht für hilfreich, wenn die Risiken in Form von Klassen 1 bis 7, die Performance als Szenarien und die Kosten als Reduction in Yield, in Form einer Renditereduktion, angegeben werden. In der Gesamtschau wäre es nützlich, sich auf eine Präsentationsform zu einigen. Man könnte auch die Kosten und die Performance in Klassen von 1 bis 7 einteilen. Drittens sollte man die Liquidität, die Handelbarkeit, eines Produkts klassifizieren und nicht nur verbal beschreiben. Es ist eine sehr bedeutende und häufig unterschätzte Produkteigenschaft.

Die weitaus meisten Anleger kaufen traditionelle Barrier Reverse Convertibles. Wozu dienen andere Produkte? Ist Innovation, ist der Markt ausgereizt?
Barrier Reverse Convertibles sind sehr nützlich. Andere Produkte bieten aber oft ebenfalls gute Varianten. Erwartet der Anleger eine positive Entwicklung einer Aktie, möchte jedoch nicht das gesamte Aktienrisiko tragen, sind Bonuszertifikate eine interessante Alternative. Der Markt umfasst eine Vielzahl von Produktstrukturen, es braucht keine weiteren Innovationen. Aber sicher sind die vielen Anlagealternativen, die strukturierte Produkte bieten, noch nicht ausgereizt.

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