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07:06 Uhr - 25.03.2015

Kein Durchatmen nach Minder

Zahlreiche Unternehmen müssen ihre Statuten noch ändern. Grössere Turbulenzen bringt die Aktienrechtsrevision.

zoomFast alle Unternehmen im Leitindex SMI (SMI 9292.68 -0.79%) – bis auf die Luxusgüterhersteller Swatch und Richemont (CFR 82.25 -0.9%) – haben die Forderungen der Minder-Initiative in ihre Statuten übertragen. Grundlage ist die Januar 2014 in Kraft getretene Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei kotierten Gesellschaften (VegüV, mehr dazu hier). Künftig sind die jährliche Wahl von Verwaltungsratsmitgliedern, bindende Abstimmung über die Vergütung und eine beschränkte Anzahl externer Mandate vorgesehen. Mittlere und kleinere Unternehmen haben aber noch Handlungsbedarf: Rund 35 SLI- bzw. SPI-Unternehmen müssen ihre Statuten dieses Jahr zwingend anpassen.

Dass die Bluechips schneller waren, hat seinen Grund: Gemäss Christoph Bühler, Aktienrechtsexperte der Anwaltskanzlei Böckli Bühler Partner standen «SMI-Unternehmen unter einem grösseren Umsetzungsdruck seitens angelsächsischer Investoren und deren Stimmrechtsberatern als die kleineren SPI-Gesellschaften». 2014 sei das Risiko einer Ablehnung der Statutenänderung grösser gewesen, weil man noch nicht wusste, was «Best Practice» sei, sagt Bühler.

Doch was passiert, wenn die Anleger die Statutenänderung ablehnen? Falls die Generalversammlung (GV) auch im zweiten Anlauf kein grünes Licht gibt, «tritt man in eine rechtliche Grauzone», erklärt Bühler weiter. Dann müsse so lange am Änderungsvorschlag nachgebessert werden, bis dieser an einer ausserordentlichen GV angenommen wird.

Sorgenkinder auf Kurs

Problemfälle aus dem Vorjahr haben gute Chancen, ihre Statutenänderung dieses Jahr durchzubringen. Der Technologiekonzern Ascom (ASCN 16.9 1.2%) vertagte 2014 auf Druck angelsächsischer Aktionärsvertreter die Abstimmung und besserte die Statutenänderung nach. An der GV hat das Unternehmen nun wenig zu befürchten. Gemäss Michael Otte, Chef des Aktionärsdienstleisters zRating, hat Ascom «nach Gesprächen mit Investoren eine vorbildliche Anpassung der Statuten vorgenommen».

Das Wichtigste– Kotierte Schweizer Unternehmen sind bei der Umsetzung der Minder-Initiative bis Ende Jahr gut unterwegs.

– Wichtigster Streitpunkt bleibt die vorgängige Abstimmung über variable Vergütungsbestandteile.

– Der Entwurf zur Aktienrechtsrevision ist in einigen Punkten noch strenger ausgelegt als heutige Vorgaben.
Heikler ist die Situation beim Industrieunternehmen Sulzer (SUN 110.3 -0.27%), dem im Vorjahr die Statutenänderung verwehrt wurde. Ein Sprecher bestätigt auf Anfrage, dass die kritisierten Punkte – etwa die variable Vergütung für nichtexekutive Verwaltungsratsmitglieder und die Länge des Konkurrenzverbots – überarbeitet wurden. Die Änderungen im neuen Vorschlag seien sowohl mit der Schweizer Anlagestiftung Ethos als auch dem US-Stimmrechtsberater ISS «besprochen und diskutiert» worden. Trotzdem lehnt Ethos den Vorschlag nach wie vor ab. ISS hält sich auf Anfrage bedeckt.

Ein weiteres Unternehmen, das an der GV mit Gegenwind rechnen muss, ist der Marktdienstleister DKSH (DKSH 79.7 -0.13%). Dessen Statutenänderung wird sowohl von Ethos als auch zRating abgelehnt. Bemängelt werden das prospektive Vergütungsmodell ohne nachträgliche Konsultativabstimmung und die hohe Anzahl zulässiger externer VR-Mandate für Mitglieder der Geschäftsleitung – sieben. Doch angesichts der vorteilhaften Aktionärsstruktur (rund 45% des Kapitals gehören der Eigentümer-Holding) wird das Unternehmen seine Traktanden trotzdem komfortabel durchbringen.

Für Dominique Biedermann, Direktor von Ethos, ist «die prospektive Festlegung des Bonus nicht akzeptabel. Eine retrospektive Abstimmung über den variablen, leistungsgebundenen Vergütungsteil muss statutarisch festgehalten werden», führt er im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft» aus. Unternehmen, die nach dieser Auslegung «ungenügende» Änderungsvorschläge vorlegen werden, sind die Chemie und Papier Holding (CPH (CPHN 965 -1.48%)), der Metallverarbeiter Feintool (FTON 90.9 1.56%) und das Immobilienunternehmen Intershop (IS 401 0.25%).

VegüV ist nur der Anfang

Die prospektive Abstimmung über die variable Vergütung ist eine Knacknuss. Bei vorgängiger Festlegung wird ein Bonus für eine noch nicht erbrachte Leistung gesprochen. Für Biedermann ist deshalb «die Umsetzung der Minder-Forderungen nicht das Ende von Lohnexzessen». Abstimmungsmodalitäten über die Vergütung und die Definition von Bezugslimiten würden weiter «sehr flexibel» gehandhabt, sagt er. Dies zeigte jüngst auch Novartis (NOVN 98.3 -1.11%). Im Februar hatten die Anleger des Pharmakonzerns prospektiv 84 Mio. Fr.  maximale Gesamtvergütung für die Geschäftsleitung durchgewunken – ohne dass Leistungsziele für den Bonus 2016 definiert worden waren.

Die VegüV-Umsetzung, die bis 2016 oder 2017 Bestand haben dürfte, ist nur ein Vorgeschmack auf tiefgreifende Änderungen. Die vom Bundesrat (wieder) eröffnete Aktienrechtsrevision wird die Gemüter mehr erhitzen als die vergleichsweise zahme Verordnung. Auch die kurze Taktung sorgt für Kritik: «Die Unternehmen haben nun gerade auf das neue Recht umgestellt», sagt Aktienrechtsexperte Bühler, «da kommt bereits wieder die nächste Rechtsunsicherheit.»

Aktionärsdienstleister sehen Elemente der Revision kritisch: «Das Verbot von prospektiven Boni-Abstimmungen geht uns zu weit», sagt Otte von zRating. Anderen ist der Entwurf zu konservativ. Für Biedermann müsste die Revision um «wesentliche Elemente ergänzt werden. Inhaberaktien gehören abgeschafft, und das Opting-out muss im Börsengesetz beschränkt werden». Angesichts des politischen Sprengstoffs, den die Aktienrechtsrevision in sich trägt, ist gemäss Christoph Bühler «nicht damit zu rechnen, dass die Unternehmen vor 2018/2019 statutarisch wieder über die Bücher müssen». Die Gesellschaften können eine Atempause einlegen, aber nicht durchatmen.
Neue alte AktienrechtsrevisionEnde November startete der Bundesrat die Vernehmlassung für den Gesetzesvorentwurf der schon 2007 lancierten «grossen» Aktienrechtsrevision. Die Revision hatte sich wegen Annahme der Minder-Initiative im März 2013 verzögert.

Durch die Initiative und die danach eingeführte «Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften», kurz VegüV, finden die Forderungen von Thomas Minder ihre konkrete Ausformulierung in den Statuten kotierter Unternehmen. Der neue Vorentwurf der Aktienrechtsrevision des Bundesrats nimmt wesentliche Elemente der Minder-Forderungen auf und verschärft diese teilweise gegenüber der VegüV. Unter anderem sieht die Revision ein gänzliches Verbot von prospektiven Abstimmungen über die variable Vergütung vor, strengere Regeln für Entschädigungen in Zusammenhang mit Stellenantritt und Konkurrenzverboten, sowie eine statutarische Festlegung des maximal zulässigen Verhältnisses zwischen Fix- und Gesamtvergütung. Weiter wird die Möglichkeit für Verantwortlichkeitsklagen auf Kosten der Gesellschaft eingeführt.

Um die Anzahl Dispoaktien zu reduzieren, sollen an der Generalversammlung anwesende Aktionäre mit einer Zusatzdividende belohnt werden können. Die Rückzahlung von Dividenden aus Kapitalreserven wird strenger geregelt; Zwischendividenden unter dem Jahr sollen erlaubt werden. Ausserdem sollen in kotierten Gesellschaften sowohl im Verwaltungsrat als auch in der Geschäftsleitung 30% Frauen Einsitz nehmen. Abweichungen sind zu begründen.

Die Vernehmlassungsfrist ist Mitte März abgelaufen. Das Geschäft wird in wahrscheinlich modifizierter Form frühestens im Herbst dem Parlament vorgelegt.

6,25 Mio. Fr. im Schnitt pro CEODie Umsetzung der Minder-Initiative wird «keinen direkten Einfluss auf die Höhe von CEO-Gehältern haben», sagt Martin Pfändler, Vergütungsexperte bei HKP. In der Tat, die CEO der dreissig im Swiss Leader Index (SLI) kotierten Unternehmen verdienten 2014 weiterhin sehr gut, rund 17% mehr als im Vorjahr und durchschnittlich 6,25 Mio. Fr. Dies zeigt eine am Dienstag vorgestellte Studie des Vergütungsspezialisten. Der Anstieg ist grösser als von 2010 bis 2013, als die Entlohnungen um rund 16% zulegten und die Unternehmensgewinne 7%. Für die HKP-Experten ist der Anstieg relativ zum meist positiven Unternehmenserfolg im Bemessungszeitraum jedoch «gerechtfertigt».

Top-Verdiener im vergangenen Geschäftsjahr bei SMI-Unternehmen war Novartis-Chef Joe Jimenez mit 12,3 Mio. Fr. Gesamtvergütung, gefolgt von Roche-CEO Severin Schwan (11,4 Mio. Fr.) und UBS-Chef Sergio Ermotti (10,9 Mio. Fr.). Bei den mittelgrossen Unternehmen des SMIM-Index führt Alexander Friedmann, Chef des Vermögensverwalters GAM, die Liste mit 8,9 Mio. Fr. an, notabene unter Ausschluss eines Antrittsbonus von rund 6 Mio. Fr. Hinter ihm kommen der Lindt-&-Sprüngli-Chef Ernst Tanner mit 6,9 Mio. Fr. und Jürgen Steinemann vom Kakaoverarbeiter Barry Callebaut mit 6,6 Mio. Schlusslicht bei den SMI-Vergütungen ist Urs Schaeppi, CEO des bundesnahen Telecomkonzerns Swisscom, mit 1,5 Mio. Fr.

Auch im internationalen Vergleich verdienen die Schweizer Konzernlenker gut, im SMI durchschnittlich 7,2 Mio. Fr. Das ist etwas mehr als die europäischen Chefs des Euro-Stoxx-50-Index (rund 7 Mio.). Global schaffen es Jimenez, Schwan und Ermotti gar in die Top zwanzig der am besten verdienenden CEO. Sie stehen jedoch weit abgeschlagen hinter Dow-Jones-Index-Grössen wie Satya Nadella von Microsoft (77,1 Mio. Fr.), Walt Disneys Bob Iger (39 Mio.) oder Jim McNerney vom Flugzeugbauer Boeing (20,8 Mio.).

Die Autoren der Studie stellen fest, dass sich die Transparenz beim Ausweisen der Vergütung grundsätzlich verbessert hat, insbesondere bei den flexiblen Bestandteilen.

Die Vergütungsmodelle erweisen sich indes als erstaunlich beständig: Seit 2010 hat sich das Verhältnis zwischen Grundvergütung und variablen Bestandteilen nur unwesentlich verändert. 2014 hatte der CEO eines SMI-Unternehmens durchschnittlich einen fixen Lohnanteil von rund 30% und eine variable Komponente von 70%. Die erhöhte Transparenz habe zu einer gewissen Standardisierung der Lohnmodelle geführt, heisst es. Dies sei jedoch weniger auf die VegüV zurückzuführen als auf den anhaltenden Druck von Stimmrechtsvertretern aus dem In- und Ausland.

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