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09:45 Uhr - 12.07.2016

«Ein Crash ist nicht in Sicht»

Der Brexit wirft Schatten auf den britischen Immobilienmarkt. Mehrere Immobilienfonds wurden geschlossen. Wie es weitergeht, sagt Thomas Veraguth, Leiter globale Immobilienstrategie von UBS, im Interview.

Herr Veraguth, mehrere Fondsgesellschaften haben ihre britischen Immobilienfonds geschlossen. Was steckt dahinter, reine Vorsicht oder mehr?
Thomas Veraguth Bild: ZVGInsgesamt sollte die Liquidität der britischen Immobilienfonds knapp ausreichen, um Rücknahmen auch grösseren Stils verkraften zu können. Wenn jedoch der Abzug von Kundengeldern so gross wird, dass Fonds zwangsweise Immobilien verkaufen müssten, wäre das im jetzigen Zeitpunkt ein sehr schlechtes Signal, für den Finanzsektor, den Immobilienmarkt und die Wirtschaft insgesamt. Nervosität und Unsicherheit nach dem Brexit sind schon stark genug. Die Bank von England war mit den Fondsverwaltern im Gespräch und soll verlangt haben, mehr Liquidität zu halten. Jegliche Panikreaktion soll vermieden werden.  

Vertrauensbildend ist die Schliessung von Fonds nicht, auch das Gegenteil kann eintreten. Ist die Massnahme klug?
Die Schliessungen schlagen hohe Wellen, weil die letzten im Jahr 2008, in der Finanzkrise, stattgefunden hatten. Das weckt schlechte Erinnerungen. Wenn sich die Situation jedoch beruhigt haben wird – und die Fundamentaldaten des britischen Immobilienmarktes sprechen dafür –, werden die Fondsinvestoren dankbar sein, das ihr Vermögen durch die Schliessung von Fonds geschützt worden ist. Wir rechnen nicht damit, dass Grossbritannien in eine Rezession rutscht, zumindest nicht aus heutiger Sicht.

Vor zehn Jahren hatten US-Hypotheken,  als toxische Papiere versteckt, eine globale Finanzkrise ausgelöst. Wie werden britische Hypotheken verbrieft?
Wie in anderen Ländern werden auch britische Hypotheken verbrieft. Doch ihre Qualität ist hoch. Die Hauptposition im CMBS-, also im Verbriefungsmarkt, sind langfristig vermietete Immobilien mit signifikanter Amortisation und einem tiefen Hebel auf Zinsveränderungen. Häufig handelt es sich um erstklassige superregionale Einkaufszentren. Die Bewertungen müssten massiv fallen, um Ratingherabstufungen auszulösen.

Sind die Ängste vor einer neuen Finanzkrise  übertrieben?
Aus Sicht des Hypotheken- und des Verbriefungsmarktes, ja. Wenn, dann sind die Risiken systematischer Natur – etwa ein globaler Zinsschock.

Gilt das Augenmerk nur dem Hot Spot London, oder bereiten auch andere britische Teilmärkte Sorge?
Frühere Korrekturen oder Aufschwungphasen zeigen, dass alle Teilmärkte, obwohl von unterschiedlichem Charakter, ähnlichen Trends folgen. Der Zyklus hat seine innere Logik aus Wirtschaftswachstum, Inflation und Zinsen. Der britische Immobilienzyklus ist für den globalen Markt ein Fingerzeig und weist klare Ermüdungserscheinungen wie hohe Preise und tiefe Renditen auf. Zwar sieht er  noch relativ robust aus, ist aber anfälliger für Schocks geworden. Der Brexit ist vorerst nur ein Vertrauens-, nicht aber ein fundamentaler Schock. Erst wenn die Risikoprämien massiv steigen sollten, hätten wir einen fundamentalen Schock.

Was nicht ist, kann noch werden.
Die kräftige Korrektur britischer Immobilienaktien signalisiert nur einen leichten Anstieg der Rendite-Spreads, konzentriert auf den Immobilienmarkt. Die Zinsen sind eher noch weiter gesunken, wahrscheinlich in Erwartung, dass die Bank of England die Zinszügel lockern wird, falls sich die Situation zuspitzen sollte.

Wie sieht die weitere Entwicklung am Immobilienmarkt aus?
Wir beobachten unterschiedliche, teils widersprüchliche Trends.  Das Immobilienberatungsunternehmen Jones Lang LaSalle sagt, seine Deal-Pipeline, die besiegelten Transaktionen, sei um 11% gesunken. Der Immobilienagent Douglas & Gordon berichtet dagegen von dreimal mehr Anfragen seit dem Brexit. Viele Kaufinteressierten wüssten kaum, was die EU sei, und wollten nur vom tiefen Pfund profitieren.

Also kein Immobilienpreiskollaps?
Falls die Zinsen so niedrig bleiben, nein. Die realen Preise für britische Wohnimmobilien sind jedoch seit 1997 um 162% gestiegen, also klar mehr als die Inflation. Dass diese Entwicklung nicht nachhaltig ist, wusste man schon vor dem Referendum. Eine noch laschere Geldpolitik wäre da riskant. Doch schauen wir uns um: Von Kanada über Skandinavien, die Schweiz, Deutschland nach Dubai, Hongkong und Australien – die Probleme sind ähnlich.   

Nochmals zu London. Platzt die Blase?
London ist besonders korrekturgefährdet, aber das hat nichts mit dem Brexit zu tun. Der Markt kühlt sich langsam ab, seit die Rohstoffmärkte unter Druck gekommen sind. Einen Crash gäbe es aber erst bei einer Rezession oder einem deutlichen Zinsanstieg.

Was heisst der Brexit für die Immobilienpreise in anderen Finanzzentren Europas?
Vorerst gar nichts. Bis Unternehmen, wenn  überhaupt, London verlassen, wird mehr Zeit verstreichen, als man denkt. Gemäss dem Beratungsdienst Long Finance ist London das beste globale Finanzzentrum überhaupt, vor New York und Singapur. Zürich ist an immer noch hervorragender sechster Stelle. Luxemburg kommt auf Platz vierzehn, Frankfurt und Paris, von denen jetzt viel gesprochen wird, auf den Rängen achtzehn und zweiunddreissig von sechsundachtzig Städten. Paris macht es noch gerade besser als Casablanca und Amsterdam. Daraus schliesse ich, dass die Euphorie rund um die Relokalisierung bald abflaut. 

Wieder zeigt sich, Anlagevehikel, die einen illiquiden Markt abbilden, sind problematisch. Gibt’s Alternativen?
Eine Alternative sind kotierte geschlossene Fonds. Sie haben ein fixes Kapital, tägliche Börsenliquidität, werden aber meist zu einem Aufpreis zum effektiven Immobilienportfoliowert gehandelt. Ein Schweizer Unikat, das sich bewährt hat.

Werden Niedrigstzinsen und der Mangel an Alternativen den Immobiliensektor weiter anheizen?
Ich denke, ja. Es ist eine Sache zwischen Zentralbanken und Immobilieninvestoren. Die Ersteren sollten wissen, dass Letztere – die «Grenzkäufer» – eher auf ihre Opportunitätskosten und weniger auf die fundamentale Marktlage schauen.

Begibt sich auf Glatteis, wer noch kauft?
Wer eine Anfangsrendite von deutlich weniger als 4 bis 5% zahlt, muss überzeugt sein, dass die Zinsen noch für Jahre niedrig bleiben werden.

Immobilien unter Brexit-SchockAm Markt für britische Geschäftsimmobilien rumort es. Der Schweizer Immobilienmarkt könnte davon sogar profitieren. Lesen Sie hier mehr.

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