James Bianco, Chef von Bianco Research, zum Kurssturz an den amerikanischen Aktienmärkten und zum wachsenden Druck auf die Zentralbanken.
Das Donnergrollen aus Amerika ist rund um den Globus zu hören. Nachdem der Dow Jones Industrial bereits am Freitag deutlich an Terrain einbüsste, ist er am Montag 4,6% eingebrochen. Das entspricht dem grössten Tagesverlust seit dem Hochsommer 2011, als die Rating Agentur Standard & Poor’s den Vereinigten Staaten das Triple-A-Rating als Topschuldner entzogen hatte.
Konnten sich Investoren noch vor Kurzem über einen fulminanten Start der US-Börsen ins neue Jahr freuen, sind die Kursavancen auf einen Schlag ausradiert. Gleichzeitig schnellen die Renditen auf US-Staatsanleihen nach oben und der Dollar leidet unter einem mysteriösen Schwächeanfall.
Aus der Sicht von Jim Bianco sind das alles Anzeichen, dass sich die Märkte erstmals seit der Finanzkrise ernsthaft Sorgen um Inflation machen. Der renommierte Bondspezialist aus Chicago befürchtet, dass die Zentralbanken in eine schwierige Situation geraten und an der Börse ein Regimewechsel bevorsteht.
Herr Bianco, die Börsen sind in Aufruhr. An Wallstreet hat der Dow Jones zu Wochenbeginn den grössten Tagesverlust seit August 2011 erlitten. Was ist der Grund für diesen Kurssturz?
Die Finanzmärkte fürchten sich zum ersten Mal seit der Finanzkrise vor Inflation. Über einen Anstieg der Teuerung ist in den vergangenen Jahren zwar immer wieder spekuliert worden. Für Investoren hatte sich das dann aber nie wirklich als Problem herausgestellt. Das hat sich plötzlich geändert, wobei der Auslöser des Panikschubs das überraschend robuste Lohnwachstum in den US-Arbeitsmarktdaten vom Freitag war.
Weshalb hat das den Märkten einen solchen Schock versetzt?
Zentralbanken, allen voran das Federal Reserve in den Vereinigten Staaten, haben uns bisher stets versichert, dass sie sich mit der Normalisierung der Geldpolitik viel Zeit lassen werden. Das Fed zum Beispiel hat kommuniziert, dass es rund zehn Jahre dauern werde, bis es seine Bilanz wieder auf ein normales Niveau abgebaut habe. Die Zentralbanken haben dabei aber kaum daran gedacht, dass sie durch Inflation oder eine andere Überraschung unter Handlungsdruck geraten könnten. Zieht die Teuerung wirklich an, zwingt sie das, die Normalisierung der Geldpolitik schneller anzupacken, als sie es geplant haben.
Immerhin ist das Federal Reserve mit der Normalisierung der Geldpolitik bereits ein gutes Stück vorangekommen. Was würde steigender Inflationsdruck für andere wichtige Zentralbanken wie die EZB oder die Bank of Japan bedeuten?
Aus meiner Sicht sind die Stimulusmassnahmen der Zentralbanken völlig austauschbar: Für die Märkte spielt es keine Rolle, ob das Fed, die EZB oder die Bank of Japan Geld ins System pumpt. Entscheidend ist nur, dass die Geldpolitik insgesamt stimulativ bleibt. Zusammen haben die grössten Zentralbanken ihre Bilanzen inzwischen auf eine Rekordsumme von rund 16 400 Mrd. $ aufgebläht. Weltweit gesehen war die Geldpolitik damit noch nie so locker wie heute. Das, obschon das Fed die Zinsen inzwischen fünf Mal erhöht hat und mit dem Abbau der Bilanz begonnen hat. Die entscheidende Frage ist deshalb, was die EZB und die Bank of Japan unternehmen werden, wenn sich Angst vor Inflation festsetzt – und genau diese Unsicherheit macht die Finanzmärkte derzeit so nervös.
Inflation ist aber auch ein Anzeichen dafür, dass es der Wirtschaft bessergeht. Das sollte Investoren doch Mut machen.
Das stimmt. Niemand spricht von der Gefahr einer Rezession. An Wallstreet ist denn auch häufig das Argument zu hören, dass steigende Inflation ein Anzeichen für einen gesunden Arbeitsmarkt und einen robusten Wirtschaftsaufschwung sei. Gemäss dieser Logik sollte die Nachfrage nach risikoreichen Investments wie Aktien zunehmen, da die Zinsen steigen und Anleger von Obligationen in Aktien umschichten. In den vergangenen Jahren haben sich die Zentralbanken und manche Investoren deshalb geradezu nach Inflation gesehnt. Sie sollten sich jedoch vor ihren Wünschen hüten.
Weshalb?
Ich kann zwar nicht mit absoluter Gewissheit sagen, ob wir tatsächlich vor einer Phase mit steigender Teuerung stehen. Ist das aber der Fall, dann wird Investoren nicht gefallen, was auf sie zukommt. Für sich genommen ist Inflation zwar nicht zwangsläufig etwas Schlimmes. Das Problem ist heute aber, dass die Zentralbanken die Finanzmärkte mit ihren Stimulusmassnahmen kräftig angeheizt haben und sich nun auf einmal dazu veranlasst sehen könnten, die Geldpolitik schneller als geplant zu verschärfen.
All die Warnrufe vor einem unmittelbar bevorstehenden Inflationsausbruch haben sich bisher stets als falsch erwiesen. Warum soll es dieses Mal anders sein?
Die meisten ökonomischen Modelle, die gegenwärtig einen Anstieg der Teuerung prognostizieren, sagten das auch schon 2011, 2015 und 2017 voraus. Dass sie jedes Mal falsch lagen, hat wohl unter anderem mit dem «Amazon-Effekt» zu tun: Das Internet macht die Wirtschaft effizienter, was wiederum die Preise tief hält. Anders als in der Vergangenheit nehmen die Märkte das Thema Inflation jetzt aber zum ersten Mal ernst. Das zeigt sich daran, dass die Renditen auf zehnjährige US-Staatsanleihen plötzlich auf 2,8% hochgeschossen sind, die Börsen auf Tauchkurs gehen und sich die bisherigen Korrelationen zwischen den verschiedenen Anlagekategorien zu verändern beginnen.
Was meinen Sie damit?
Bislang bestand zwischen den Inflationserwartungen und den Kursschwankungen an den Finanzmärkten ein negatives Verhältnis: Immer, wenn die Erwartungen zur Teuerung stiegen, nahm die Volatilität an den Börsen ab und umgekehrt. Jetzt scheinen wir uns erstmals seit der Finanzkrise einem Wendepunkt zu einer neuen Phase zu nähern, in der diese Korrelation ins Positive dreht.
Was hat das für Konsequenzen?
Seit der Jahrtausendwende herrscht an den Finanzmärkten eine Art Deflationsmentalität: Primär sind Investoren stets darüber besorgt gewesen, dass eine Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und schwächerem Wirtschaftswachstum in Gang kommen könnte. Immer, wenn solche Befürchtungen aufkamen, sanken die Renditen am Bondmarkt und die Börsen gerieten in Turbulenzen. Nahmen die Sorgen vor Deflation hingegen ab, dann stiegen die Renditen und die Volatilität an den Aktienmärkten legte sich.
Was bedeutet es also, wenn sich dieses Verhältnis nun verändert?
Viele Investoren sind noch immer in diesem alten Denken verhaftet. Es ist jedoch gut möglich, dass wir zu einem Umfeld wie in den Achtziger- und Neunzigerjahren zurückkehren. Damals fürchteten sich die Finanzmärkte hauptsächlich vor einem Ausbruch der Inflation. Immer, wenn sich die Sorgen über die Teuerung verringerten, sanken die Zinsen und die Kurse an den Börsen stiegen. Nahm die Angst vor Inflation hingegen zu, erhöhten sich die Zinsen und Aktien gerieten unter Druck. Etabliert sich nun wieder ein solches Verhaltensmuster wie, werden Aktien bei zunehmenden Inflationserwartungen und höheren Zinsen unter Druck geraten. Als weiteres Problem kommt hinzu, dass die Zentralbanken dieses Mal völlig unvorbereitet auf einen Anstieg der Teuerung sind.
Auffällig ist zudem, dass sich der Dollar in den vergangenen Wochen deutlich abgeschwächt hat. Wie passt das ins Bild?
Der weiche Dollar bestätigt aus meiner Sicht, dass die Rückkehr von Inflation ein ernstzunehmendes Szenario ist. Weshalb sollte sich der Dollar sonst abschwächen? Die Wirtschaft entwickelt solid, die Steuerkürzungen werden das Wachstum zusätzlich ankurbeln und die Zinsen steigen. Das alles müsste doch eigentlich für eine festere US-Valuta sprechen. Die Schwäche des Dollars könnte sich daher als Warnsignal herausstellen, das Investoren bislang falsch interpretiert und in Zusammenhang mit der politischen Unsicherheit in Washington gestellt haben.
Wie geht es jetzt mit den Zinsen weiter?
Solange die Märkte mit Inflation rechnen, werden die Zinsen weiter steigen. Aus charttechnischer Sicht war bislang das letztjährige Höchst von 2,63% bei der Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen eine wichtige Grenze. Sie ist bereits vergangene Woche durchbrochen worden, worauf die Börsen prompt empfindlich reagiert hatten. Als Nächstes ist entscheidend, ob das Hoch von 3,05% aus dem Jahr 2014 übertroffen wird. Davon sind wir nur noch rund zwanzig Basispunkte entfernt, weshalb Anleihen in einer schwachen Position sind.
Und wie sieht es mit Aktien aus? Seit Beginn der Hausse im März 2009 hat es sich für Investoren stets ausgezahlt, nach einem Rückschlag zuzukaufen. Ist das weiterhin eine empfehlenswerte Strategie?
Diese Strategie hat so gut funktioniert, weil sich Prognosen einer steigenden Teuerung in der Vergangenheit nie bewahrheitet haben. Die Zentralbanken konnten die Finanzmärkte mit ihren Liquiditätsspritzen so weiterhin stimulieren und mussten einen beschleunigten Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik nie wirklich ins Auge fassen. Wenn Inflationsdruck nun aber tatsächlich zum Thema wird und die Zentralbank unter Zugzwang geraten, stellt das auch die «Buy-the-Dip-Strategie» infrage.
Was heisst das damit für die Aussichten an der Börse?
Gerade in den USA blicken die Aktienmärkte auf eine fulminante Entwicklung zurück. Bis zu Beginn dieser Woche hatte der Dow Jones während 404 Handelstagen infolge keinen Rückschlag von 5% oder mehr verzeichnet. Die einzig längere Erfolgssträhne dieser Art endete im September 1959 nach 437 Handelstagen. Die Ruhe an den Finanzmärkten, die wir seit Sommer 2016 genossen haben, war eine historische Ausnahmesituation. Es ist deshalb gut denkbar, dass ein neuer Abschnitt bevorsteht, in dem das Klima wieder rauer wird und sich die Kurse unter grösseren Schwankungen über Monate hinweg seitwärts bewegen.
Wie sollten sich Investoren in dieser Situation am besten verhalten?
Es ist Vorsicht angebracht. In einem inflationären Umfeld, in dem sowohl Aktien wie Anleihen straucheln, wird es sehr schwierig Anlagen zu finden, die eine robuste Performance versprechen. Das gilt selbst für Gold und anderen alternative Investments, denn diese bewegen sich in einem solchen Marktregime meist im Gleichschritt mit den Finanzmärkten. Das zeigte sich auch während der Achtziger- und Neunzigerjahre als ebenfalls Angst vor Inflation vorherrschte.
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