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16:15 Uhr - 30.01.2018

«China sitzt gegenüber den USA am kürzeren Hebel»

Louis Kuijs, Asienökonom von Oxford Economics, sagt, die fernöstlichen Schwellenländer seien heute weniger anfällig für massive Kapitalabflüsse. Ausnahmen gibt es.

Herr Kuijs, die Zeichen für die Weltwirtschaft stehen auf Wachstum. Wie nachhaltig ist der Trend?
Die Weltwirtschaft erholt sich weiterhin von der langen Rezession. Es ist zu Recht von einer synchronen Entwicklung der grossen Volkswirtschaften die Rede. Bemerkenswerterweise hat sich dabei unter anderem wegen der moderaten Rohstoffpreise oder der nur langsam steigenden Löhne bisher keine namhafte Inflation bemerkbar gemacht. Damit dürften vorderhand auch die Zinsen in einem nur moderaten Tempo steigen.

Wo sehen Sie Schwachstellen?
Ganz klar in der weltweit hohen Verschuldung und der hohen Bewertung an den Finanzmärkten. Was mögliche Gefahrenzonen betrifft, sollten Investoren vor allem China im Auge behalten. Die Konjunkturlenker wollen die Wirtschaft von dem nach wie vor schnellen Kreditwachstum entwöhnen, um damit die Risiken im Finanzsystem zu reduzieren. Doch das ist ein schwieriger Balanceakt. Ein Einbruch der Importe würde auf grössere Probleme hinweisen.

Mitte 2013 löste allein die sich am fernen Horizont abzeichnende geldpolitische Wende in den USA einen massiven Kapitalabfluss aus den Schwellenländern aus. Indien und Indonesien rückten an den Rand einer Zahlungsbilanzkrise. Jetzt, da die Zinsen tatsächlich steigen, ist nichts von Panik zu merken. Wie ist das zu erklären?
Das ist die grosse Frage. Es bleibt weiter offen, wie die an billiges Geld gewöhnten  Investoren auf deutlich höhere Zinsen reagieren werden. In Indien und Indonesien haben sich die makroökonomischen Eckwerte dank Reformanstrengungen verbessert, womit diese zwei Volkswirtschaften auch weniger anfällig für steigende Zinsen sind. Aber das heisst nicht, dass gerade die Schwellenländer nicht weiterhin von Kapitalzuflüssen abhängig sind.

Welches Land ist besonders anfällig?
Die Philippinen, die 2017 zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten ein Leistungsbilanzdefizit ausgewiesen haben, sind dafür ein gutes Beispiel. Die Finanzmärkte haben auf das Defizit reagiert, was sich etwa daran zeigt, dass der Peso auch wegen des gleichzeitig aufgetretenen Handelsbilanzdefizits gegenüber dem Dollar an Wert verloren hat, während andere asiatische Währungen im selben Zeitraum deutlich erstarkt sind.

Weist dieses Zwillingsdefizit auch auf über die Philippinen hinausreichende Probleme hin?
Das Ungleichgewicht ist neben den boomenden Konsumgüterimporten vor allem das Resultat des von der Regierung lancierten massiven Infrastrukturprogramms. Bessere Verkehrswege oder eine zuverlässigere Elektrizitätsversorgung sind an sich positiv. Doch der Bauboom hat auch für steigende Rohstoff- und Kapitalgütereinfuhren gesorgt und damit ein Zahlungsbilanzdefizit nach sich gezogen. Damit ist das Land heute aber verwundbarer gegenüber externen Schocks.

China treibt in den asiatischen Schwellenländern und darüber hinaus im Rahmen der «Neuen Seidenstrasse» den Ausbau der Infrastruktur voran. Welche Chancen räumen Sie diesem Riesenprojekt ein?
Es gibt den Volkswirtschaften der Region positive Impulse und trägt auch zum Abbau der teils hohen Überkapazitäten in der chinesischen Industrie bei. Doch das Projekt ist schlussendlich nur dann erfolgreich, wenn die Länder entlang der «Neuen Seidenstrasse» für die Finanzierung nicht zu stark von ausländischem Kapital und dabei besonders von sehr mobilen Portfolioinvestitionen abhängig werden. Das Taper Tantrum von Mitte 2013, als die US-Notenbank die Drosselung der Anleihenkäufe in Erwägung zog und damit Verwerfungen in den Schwellenländern verursachte, bleibt ein warnendes Beispiel.

Wie können Fehlentwicklungen vermieden werden?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass bisher noch jedes Schwellenland nur dank einer starken Exportindustrie zu den reichen Industriestaaten hat aufholen können. China, aber auch Südkorea oder Singapur sind dafür gute Beispiele. Chinas hohe Sparquote von rund 50% ist nicht in erster Linie eine Folge der Ersparnisse der Privathaushalte, sondern der rapide steigenden Produktivität, die wiederum vor allem eine Folge der schrittweisen Integration in die Weltwirtschaft ist. Gerade in Lateinamerika ist das nicht der Fall, womit diese Region nicht nur besonders krisenanfällig bleibt, sondern auch weit abgeschlagen von der Weltspitze ist.

Droht der weltweit steigende Protektionismus dem klassischen exportorientierten Entwicklungsmodell nicht einen Riegel zu schieben?
Ja, das ist gegenwärtig eines der grössten Risiken für die Weltwirtschaft. Es ist dabei zentral, dass Länder wie China, die in den vergangenen Jahrzehnten besonders stark von der Globalisierung profitiert haben, nun Verantwortung übernehmen, ihre eigene Volkswirtschaft weiter öffnen und dabei auch die international geltenden Regeln strikter als bisher einhalten.

Die chinesische Regierung hat den Willen dazu bekundet. Sind dem bisher auch Taten gefolgt?
Es bleibt abzuwarten, ob Peking die versprochene Marktöffnung durchziehen wird. Neben einzelnen Fortschritten gibt es auch Fälle, die auf das Gegenteil hinweisen – so zum Beispiel bei Milchpulver einheimischer Produzenten, dessen Absatz die Regierung mit Hinweis auf die gute Qualität zum Nachteil der ausländischen Konkurrenz fördert. Solchen Wirtschaftsnationalismus gibt es zwar auch in anderen Ländern. Nur ist er in China umso problematischer, weil es meist keine klare Trennung zwischen dem Staat und den Unternehmen gibt.

Die USA haben China wegen angeblich unfairer Handelspraktiken Wirtschaftssanktionen angedroht und jüngst auch angekündigt. Könnte Peking als zweitgrösster Investor in US-Staatsanleihen mit dem massiven Verkauf dieser Papiere Washington unter Druck setzen?
Diese Frage steht im Raum, seit China  2005 begonnen hat, in grossem Umfang US-Schuldverschreibungen zu kaufen.  Peking spielt heute auf dem Treasury-Markt eine sehr wichtige Rolle. Aber abgesehen von einer grossen Krise wie etwa einem bewaffneten Konflikt kann es nicht in Chinas Interesse liegen, auf diesem Markt für Chaos zu sorgen. Dafür sind die zwei Volkswirtschaften zu stark  voneinander abhängig. Sicherlich hängen die USA infolge ihres grossen Handelsbilanzdefizits vom Kapitalzufluss aus dem Ausland ab. Am Ende des Tages dürfte China, das viermal mehr in die USA exportiert, als es von dort importiert, aber am kürzeren Hebel sitzen.

Wie realistisch sind Prognosen, nach denen China die USA bereits in den nächsten zehn Jahren als weltweit grösste Volkswirtschaft überholen wird?
Obwohl es riskant ist, vergangene Trends in die Zukunft zu projizieren, ist es durchaus plausibel, dass China dank des rapiden Produktivitätswachstums in nicht allzu ferner Zukunft die grösste Wirtschaftsmacht der Welt sein wird. Gegenwärtig ist die durchschnittliche Produktivität in China im Schnitt rund sechsmal geringer als in den USA. Aber der Ausstoss pro Arbeitskraft steigt in China jährlich 6 bis 7%, während die Produktivität eines amerikanischen Arbeiters nur gerade 1% zunimmt. Von Krieg oder anderen Katastrophen einmal abgesehen, scheint dieser Trend unumkehrbar.

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