Zurück zur Übersicht
08:04 Uhr - 17.06.2015

«Der Turnaround-Fall Peugeot ist interessant»

Wie Martin Schlatter, Leiter Aktien von Swiss Rock Asset Management im Interview mit der FuW erläutert, schaut er aufs Verhältnis Unternehmenswert zu Betriebsgewinn, wenn er unterbewertete Titel sucht,

Herr Schlatter, nachdem der Bullenmarkt seit 2009 läuft, lautet die grosse Frage: Sind die Aktien heute überbewertet, zu teuer?
Wir sehen, dass die Märkte in Europa, weniger in der Schweiz, in kurzer Zeit markant gestiegen sind. Aber was wir vermisst haben, ist eine unterschiedliche Entwicklung in den verschiedenen Segmenten, etwa von  Wachstums- versus Valuetiteln oder von Blue Chips versus Small Caps.

Können Sie das verdeutlichen?
Martin Schlatter, Leiter Aktien von Swiss Rock Asset Management. Bild: ZVG
Wenn die Märkte aufgrund von sich aufhellenden Konjunkturaussichten stark steigen, ist typischerweise zu erwarten, dass Wachstumstitel oder Aktien von kleinen Gesellschaften überlegen sind. Aber in Europa haben sich alle Titel in diesem Jahr bis Mitte Mai gleichermassen nach oben bewegt, ausser die Energiewerte. Die Liquiditätsflut der Zentralbanken hat fast alle Boote angehoben.

Orten Sie hier ein Warnsignal?
Auf den ersten Blick sieht die Entwicklung sehr ungesund aus. Sie zeigt, dass viele Investoren im Tiefzinsumfeld Aktien kaufen, ohne einen Unterschied zu machen, ohne selektiv zu sein.

Sind Aktien jetzt also zu teuer?
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis 2015 im MSCI-USA-Index ist schon leicht über 20, beim MSCI-Europe knapp darunter. Diese Bewertungen sind zwar nicht exorbitant, aber ziemlich anspruchsvoll, vor allem, wenn man nach den Wachstumsaussichten fragt. Um die Bewertungen zu rechtfertigen, bräuchte man gerade in Europa zweistellige Gewinnwachstumsraten. Aber woher sollen sie kommen? In Europa steigen die Margen, nachdem sie zuvor gesunken sind, in diesem Jahr minimal, und auch die Umsätze wachsen zu wenig.

Denken Sie, dass es eine grössere Korrektur am Aktienmarkt braucht?
Die Märkte haben schon etwas korrigiert. Aber wenn sich die Wachstumsaussichten nicht klar verbessern, müssen die Anleger über den Sommer mit weiteren Korrekturen von 5 bis 10% rechnen.

Gibt es Anzeichen, dass die Märkte wieder mehr unterscheiden zwischen den Segmenten respektive stärker selektionieren?
Ja, langsam sehen wir eine Entkoppelung. In Europa in der laufenden Korrektur ­haben sich die kleinkapitalisierten Werte besser gehalten als die grossen. Das ist das erste Mal, dass wir das in diesem Jahr beobachten. Das gilt sogar für die Schweiz, obwohl die kleineren Unternehmen aufgrund der Frankenaufwertung sich doch in einer extremen Situation befinden.

Vor allem exportlastige Unternehmen. Sehen Sie da eine Schere auseinandergehen?
Bei exportlastigen Unternehmen mit einem hohen Kostenanteil in der Schweiz sollten die Margen zurückgehen. Trotzdem haben sich ihre Titel gut gehalten, besser als der Markt. Da habe ich grosse Mühe, das nachzuvollziehen.

Wo besonders, in welchen Titeln?
Probleme sehen wir zum Beispiel im Fall des Derivathauses Leonteq (LEON 163.2 0%). Die Mehrheit seines Ertrags fällt in Dollar und Euro an, die Kosten sind aber in Franken. Zudem ist keine Auslagerung der Kosten möglich. Dennoch haben sich die Aktien bis dato sehr gut gehalten.

Also eher Hände weg von kleineren Schweizer Unternehmen?
In der Schweiz konzentrieren wir uns eher auf Gesellschaften, die vergleichsweise währungsunabhängig sind. Da wäre der Elektroinstallateur Burkhalter (BRKN 108 2.96%) zu erwähnen, der seine Leistungen in der Schweiz produziert und auch verkauft.

Ihre Aktienfonds orientieren sich an Vergleichsindizes, und Sie sind immer voll investiert. Wie aber selektionieren Sie?
Grob gesagt verfolgen wir drei Anlagestile: erstens Wachstum, zweitens Value, und der dritte Ansatz bezieht sich auf Qualitätstitel mit tiefem Risiko und tiefer Volatilität.

Auf welche Kriterien schauen Sie beim Wachstumsstil vor allem?
Da spielt das Momentum eine wichtige Rolle. Zum einen verfolgen wir das Preismomentum, also die Schwungkraft der Kursbewegung. Zum anderen schauen wir auf das Gewinnmomentum. Da fragen wir, welche Gesellschaften sind in der Lage, ihre Gewinne von Quartal zu Quartal zu steigern? Zudem haben wir festgestellt, dass in der jetzigen Situation die Veränderung der Analystenprognosen eine sehr hohe Aussagekraft besitzt.

Das heisst, Unternehmen, die nicht liefern respektive die Markterwartungen nicht erfüllen, werden besonders hart abgestraft?
Genau. Da, wo die Analysten die Prognosen heruntersetzen müssen, gibt es heftige Kursrückgänge. Dafür entwickeln sich Aktien von Unternehmen, die positiv überraschen, in der Folge besonders gut.

Was sind Beispiele dafür?
Ein gutes Beispiel ist Dialog Semiconductor. Das britische Unternehmen entwickelt Chips für das Energiemanagement von Mobiltelefonen, Notebooks und Tablets, etwa von Apple (AAPL 127.6 0.54%). Es steigerte den Umsatz letztes Jahr rund 50%. Wir suchen solche Gesellschaften, die es schaffen, den Marktanteil auszuweiten, selbst gegen harte Konkurrenten wie hier aus Asien.

Welche Schweizer Aktien haben jüngst stark auf Prognoseänderungen reagiert?
Im positiven Sinn die Titel des Aufzugs- und Fahrtreppenherstellers Schindler (SCHN 162.1 0.31%) oder des Rückversicherers Swiss Re (SREN 83.9 0.18%). Die Aktien des Backwarenherstellers Aryzta (ARYN 51.1 -0.29%) haben nach den Prognosesenkungen durch die Analysten dieses Jahr dagegen sehr viel verloren. Solche Titel meiden wir.

Auch welche Kriterien achten Sie beim Value-Ansatz besonders?
Da suchen wir unterbewertete Aktien. Dabei schauen wir speziell auf das Verhältnis von Unternehmenswert zu Betriebs­gewinn, gut englisch von Enterprise Value zu Ebit. Es zeigt an, wie lange es dauern würde, um nach einer Übernahme den Kaufpreis mit dem Betriebsgewinn abzuzahlen. Diese Kennzahl ist für uns die weit bessere als das Kurs-Gewinn-Verhältnis, das den Fremdkapitaleinsatz einer Gesellschaft nicht mitberücksichtigt.

Wo gibt es in einem Umfeld, in dem die ­Bewertungen schon hoch sind, noch unterbewertete Aktien?
Eine niedrige Bewertung hat ja stets einen Hintergrund. Sei es, dass der Konjunkturzyklus momentan für eine Gesellschaft nicht stimmt, oder sei es, dass ein Unternehmen in einer Turnaround-Situation steckt. Interessant ist der Fall Peugeot (UG 18.005 0.22%). Der französische Autobauer hat lange gelitten. Man sieht aber, dass sich nach den Restrukturierungen die Verluste reduzieren. Wir erwarten, dass Peugeot in den nächsten Jahren wieder Gewinne schreibt.

Aber das Risiko für die Anleger bleibt hoch.
Richtig. Man kann auch Daimler (DAI 82.8 0.67%) nehmen. Der Konzern litt am Lastwagengeschäft. Nun sind die Sparprogramme am Greifen.  Verglichen mit Peugeot bietet Daimler mehr Sicherheit, aber ein geringeres Kurs­erholungspotenzial.

Welche Kriterien stehen beim dritten Ansatz, bei den Qualitätstiteln mit tiefem Risiko, im Vordergrund?
Da achten wir darauf, dass die Aktien in unserer Auswahl eine tiefe Volatilität aufweisen, so wie die defensiven Titel Roche (ROG 265.9 0.83%) (RO 260.5 0.19%), Novartis (NOVN 94 1.08%) oder Nestlé (NESN 69.4 0.29%). Dabei schauen wir auch auf das Beta, das angibt, wie stark eine Aktie auf Schwankungen des Vergleichsmarktes reagiert. Je tiefer das Beta, umso besser. Wichtig sind auch die Bilanzrelationen, wie solid ist eine Gesellschaft finanziert. Das beurteilen wir mit dem Piotroski Score.

Welchem Zweck dient er?
Der Piotroski Score umfasst neun Kriterien. Er stellt einer Gesellschaft ein Zeugnis über die Geschäftsführung aus. Eine gute Note besagt, dass das Unternehmen stabile Erträge erzielt, dass der Cashflow hoch genug ist, um sich nicht mehr verschulden oder zu einer Kapitalerhöhung greifen zu müssen. Letztlich misst der Piotroski Score die Distanz zur Insolvenz. Je tiefer er ist, um so grösser ist im Grunde die Gefahr eines Default.

Welche Unternehmen in der Schweiz haben einen tiefen Piotroski Score?
Finanzinstitute haben typischerweise einen eher tiefen Piotroski Score. Da ist das Risiko halt stets etwas höher, die Finanzierung ein bisschen schlechter. Einen recht tiefen Score haben in der Schweiz etwa die Credit Suisse (CSGN 25.56 -0.43%) oder Swiss Life (SLHN 211.8 0.95%).

Und wer hat einen hohen?
Actelion (ATLN 140.1 0.65%) zum Beispiel oder Sika (SIK 3210 0.47%).

Wenn man jetzt die drei Anlagestile nimmt, was für eine Gewichtung empfehlen Sie Ihren Kunden zurzeit?
Wir würden sicher 50% in Qualitätstitel investieren, in Titel wie Novartis mit tiefem Risiko, tiefer Volatilität und einem hohen Piotroski Score. Wachstumstitel wie Dialog Semiconductor würden wir mit 30% gewichten. In Value-Aktien, wozu eben Turnaround-Situationen wie Peugeot zählen, würden wir bis 20% investieren.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.