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15:49 Uhr - 14.10.2015

«Eine Jahresendrally ist wahrscheinlich»

Christoph Riniker, Leiter Strategie-Research der Bank Julius Bär, hält den Börsenaufschwung für intakt. Den Unternehmen traut er weitere Gewinnsteigerungen zu. Zurzeit sei die Entwicklung zu pessimistisch.

Herr Riniker, die Zeit der Unternehmenszahlen fürs dritte Quartal ist angebrochen. Worauf achten Sie besonders?
Anleger erwarten gewisse Hinweise bezüglich der US-Wirtschaftsentwicklung. Prognosen für die Drittquartalsergebnisse des S&P 500 (SP500 1994.24 -0.47%) deuten im Jahresvergleich  auf einen Umsatz- und Gewinnrückgang von je rund 3% hin. Bereits im vergangenen Quartal fielen die ausgewiesenen Ergebnisse an und für sich bescheiden aus, konnten aber die Erwartungen übertreffen. Es ist daher wichtig zu schauen, wie die Drittquartalszahlen ins Gesamtjahresbild passen. Für das volle Jahr erwarten wir in den USA stagnierende Gewinne.

Christoph Riniker Bild: ZVGIst ein Muster erkennbar, wie der Markt ­reagieren wird – positiv oder negativ?
Während der Berichtssaison ist jeweils durchaus ein Preismuster erkennbar. Ergebnisse, die über den Erwartungen liegen, werden kurzfristig mit einem höheren Kurs belohnt, umgekehrt gibt es einen gewissen Druck auf Gesellschaften mit ­einem enttäuschenden Resultat. Für An­leger sind jedoch mittelfristige Gewinnprognosen wesentlich wichtiger als die kurzfristigen Gewinnausweise und die damit verbundenen Marktschwankungen.

Sind Auffälligkeiten nach Branchen zu erwarten oder schon zu erkennen?
Unter saisonalen Aspekten ergeben sich im dritten Quartal keine besonderen Auffälligkeiten. Während das Gros der Sektoren mit einer Gewinnveränderung im Bereich von plus/minus 10% aufwarten dürfte, sehen wir bei zwei Sektoren abweichende Ergebnisse. Der Pharmasektor sollte einen sehr guten Zwischenabschluss vorweisen, weil die Branche einige Erfolge in Forschung und Entwicklung aufweisen kann. Auf der anderen Seite steht der Energiesektor nach wie vor unter Druck, jedenfalls, wenn man die Ergebnisse zum Vorjahr vergleicht. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2015 hingegen wird erstmals wieder ein besseres Resultat erwartet, was dem Sektor in den kommenden Monaten womöglich zu einer gewissen Stabilisierung verhelfen könnte.

Der Pharmasektor leidet unter Ängsten. Falls Hillary Clinton US-Präsidentin würde, ginge es den Pharmapreisen an den Kragen. Was heisst das für Pharmaaktien?
Wir haben derzeit eine neutrale Gewichtung für den Sektor. Wir sind allerdings der Meinung, dass die Vorschläge von Frau Clinton weder neu noch einfach umsetzbar sind und der Sektor kurzfristig zu sehr gelitten hat. Wir sehen daher für qualitativ gute Pharma- und Biotech-Aktien durchaus Einstiegsgelegenheiten.

Biotech-Aktien sind seit Langem der Renner. Ist die Luft nicht zu dünn?
Auf den ersten Blick sind Biotech-Aktien ziemlich hoch bewertet. Doch wir denken, dass diese Bewertung aufgrund des Wachstumspotenzials gerechtfertigt ist, und würden daher selektiv gute Qualitätstitel anschauen.

Was lässt sich bezüglich der Unternehmensgewinne für das neue Jahr sagen?
Vergleicht man die langfristige Entwicklung von Gewinnen mit dem makroökonomischen Umfeld, wird deutlich, dass die aktuelle Gewinnentwicklung zu pessimistisch ausfällt und daher ein gewisses Aufholpotenzial beinhaltet. Auf globaler Ebene erwarten wir im laufenden Geschäftsjahr einen leichten Gewinnrückgang von 1%, wogegen unsere Prognosen fürs Jahr 2016 ein Anstieg von 9% ergeben.

Was lässt sich punkto Dividende und Ausschüttungspolitik sagen?
Dividendenstrategien bleiben im aktuellen Zinsumfeld ein zentrales Thema. In Europa liegt die Ausschüttungsquote deutlich über dem langfristigen Durchschnitt, in den USA entsprechen sie etwa dem Durchschnitt, was Letztere aber durch Aktienrückkäufe kompensieren. Im Grossen und Ganzen erwarten wir im Vergleich zum Vorjahr keine grossen Veränderungen bei der Ausschüttungspolitik.

Analystenschätzungen sind gegen Ende eines Zyklus oft zu optimistisch. Gilt das auch jetzt, muss man sich auf Korrekturen gefasst machen?
Analystenschätzungen sind vor allem zu Beginn eines Fiskaljahres zu positiv und werden dann im Jahresverlauf gegen unten adjustiert. Legt man ein längerfristiges Muster zugrunde, glaube ich nicht, dass wir bereits so weit im Zyklus fortgeschritten sind, dass das erwähnte Szenario eintritt. Die Aktienmarktbewertung ist zwar nicht mehr günstig, aber nach wie vor fair. Investoren haben in den vergangenen Monaten bereits deutlich Risiko aus den Portfolios genommen, was eine gewisse Absicherung nach unten bieten sollte. Im Weiteren ist nach wie vor die Frage offen, wie Geld investiert werden soll, wenn nicht in Aktien. Wir gehen daher insgesamt von weiter steigenden Kursen aus.

Im Fokus der Märkte stehen die US-Zinspolitik und die Wachstumsschwäche in China. Werden daraus keine neuen Kurs­gewitter mehr entstehen?
Kurzfristig sind das genau die Punkte, die den Anlegern Bauchschmerzen verursachen, weil sie Unsicherheit kreieren. Wir denken, dass die US-Notenbank im Januar einmalig die Leitzinsen anheben wird und die Zinsen danach dort verharren werden. Mit diesem Schritt dürfte wohl etwas Ruhe zurückkehren und auch durch ein chinesisches Wirtschaftswachstum von verhältnismässig bescheidenen 6% 2016 nicht nachhaltig gestört werden.

Was ist für Sie das grösste Risiko an den Börsen?
Während im kürzerfristigen Verlauf durchaus die Entwicklung in China oder Zins­änderungsrisiken gewisse Einflussfaktoren sind, ist der längerfristige Verlauf an den Börsen in der Regel vom makroökonomischen Umfeld und damit von der Gewinnentwicklung abhängig. Oder negativ formuliert: Rezessive Phasen mit Gewinneinbrüchen stellen das grösste Risiko dar. Beides sehen wir zurzeit nicht auf uns zukommen.

Der langjährige Börsenaufschwung ist also nicht in Gefahr?
Wir denken nicht, dass der Aufschwung sich bereits zu Ende neigt. Wir befinden uns nicht in einer Rezession, die Bewertungen wie gesagt sind fair, nicht teuer, und andere Assetklassen locken noch nicht mit attraktiveren Parametern.

Wie sollen sich Anleger vor diesem Hintergrund positionieren?
Kurzfristig dürften sich die Aktienmärkte noch in einem volatilen Seitwärtstrend bewegen, mittelfristig jedoch wieder einen positiven Verlauf nehmen. Vor diesem Hintergrund bevorzugen wir zurzeit Investments in der Eurozone gegenüber Aktien in den USA.

In der Schweiz hinken verschiedene Industrietitel, besonders unter den Nebenwerten, dem Gesamtmarkt schon länger hinterher. Wie beurteilen Sie die Chancen, welche Sektoren und Titel favorisieren Sie?
Die Gesamtmarktentwicklung zeigt schon länger, dass der Schweizer Markt sehr vom Währungsverlauf abhängt. Das hat mit der stark international orientierten Ausrichtung der Wirtschaft zu tun. Mit einem weiterhin zur Stärke neigenden Franken sollten daher Aktien von Unternehmen mit einer inlandorientierten Umsatzentwicklung favorisiert werden. Ebenfalls ­etwas mehr Rückenwind dürften wieder zyklisch orientierte Sektoren sehen. Wir mögen Finanzwerte. Titel von Gesellschaften wie Bâloise oder Partners Group (PGHN 326 0.77%) sind besonders erwähnenswert.

Weshalb Finanzwerte? Und gehören auch Banken zu den Favoriten?
Ein wichtiges Argument zugunsten des Finanzsektors ist die zyklische und inlandorientierte Ausrichtung. Basierend auf der Sensitivität zu Obligationenrenditen und dem Makroumfeld bleiben Finanzen der attraktivste Sektor für uns. Dabei sollten Bankenwerte mittelfristig Versicherungsaktien übertreffen, wenn die Zinsen wieder anziehen. Wir bleiben in Finanz­werten übergewichtet und bevorzugen ­Investments in Europa gegenüber Finanztiteln in den USA.

Würden Sie auch Prügelknaben am Schweizer Aktienmarkt anfassen, zum Beispiel Glencore (GLEN 120.15 1.82%) oder Transocean (RIG 14.97 -2.48%)?
Nein, das würden wir nicht. Transocean haben wir mit einem Reduce eingestuft und sehen weiteres Rückschlagpotenzial. Glencore verfolgen wir nicht aktiv, sind aber der Meinung, dass es im Sektor andere, weniger volatile und daher attraktivere Möglichkeiten gibt.

An welche fünf Aktien – Schweiz oder global – denken Sie, die nicht nur Wachstum versprechen, sondern auch Stürmen standhalten?
Ein Portfolio, das den erwähnten Kriterien standhalten sollte, könnte etwa folgendermassen ausschauen: Alphabet (GOOGL 680.41 -0.4%) – besser bekannt als Google und neue Holding des US-Konzerns –, Assa Abloy, Partners Group, Lindt & Sprüngli (LISN 70635 -0.07%) – Schokolade braucht es immer – sowie Danaher. Mit ­einer zyklischen Komponente wird einem weiter günstigen makroökonomischen Umfeld und weiterhin steigenden Börsen Rechnung getragen.

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