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18:16 Uhr - 12.08.2022

Wasserstoff kann nicht liefern

Emissionsfreie Energie für die Industrie – das bietet grüner Wasserstoff. Doch bis er flächendeckend eingesetzt werden kann, ist der Weg noch weit.

Vor wenigen Jahren belächelt, heute zum Heilsbringer der Energiewende hochstilisiert: Das ist grüner Wasserstoff; auch bekannt als H₂. Bis 2021 ergab es wirtschaftlich gesehen keinen Sinn, erneuerbaren Strom zu nehmen, und ihn in grünes Gas umzuwandeln, weil Erdgas so günstig war.

Forscher und Entwicklerinnen an Universitäten sowie in Unternehmen liessen sich davon nicht beirren. Ihr Know-how ist heute so gefragt wie nie, denn es besteht massiver Aufhol- und Ausbaubedarf: «Im Moment gibt es bei grünem Wasserstoff weder auf der Produktionsseite noch auf der Nachfrageseite genügend Kapazitäten», sagt Jens Schmidt.

Er muss es wissen, denn als technischer Leiter bei TES gehört er zu denen, die das ändern wollen. Das belgische Unternehmen baut an der deutschen Nordseeküste einen «Green Hydrogen Hub». Von Wilhelmshaven aus soll ab 2027 grüner Wasserstoff nach Europa fliessen. Die Finanzierung ist kein Problem, denn das Interesse am Kapitalmarkt ist gross: «Wir könnten mehr Geld aufnehmen, als wir im Moment sinnvoll ausgeben könnten», sagt Schmidt.

Bis 2040 sollen 250 Terrawattstunden grüne Energie nach Deutschland importiert werden. Das entspricht 10% der deutschen Primärenergie und ist ganz im Sinn der EU, die die weltweit ambitioniertesten H₂-Pläne verfolgt und bereits ab 2030 Kapazitäten für 80 Gigawatt H₂ auf eigenem Boden haben will.

Zu den Hauptabnehmern werden Chemie-, Zement- und andere Industrieunternehmen gehören, denn um zum Beispiel Stahl herzustellen, braucht es höhere Temperaturen, als ein rein elektrisch betriebener Ofen erreichen kann. Deshalb sei Wasserstoff der einzige Weg für die Dekarbonisierung der Branche, sagt der Stahlproduzent Swiss Steel. Aber wenn die Industrie, die für 20% des globalen CO₂-Ausstosses verantwortlich ist, wirklich ihren ökologischen Fussabdruck verringern will, dann muss sie auf die richtige Form von Wasserstoff setzen.

Ein Regenbogen an H₂

Hier wird es kompliziert. Grob gesagt, gibt es zwei mögliche Prozesse. Entweder ist der Ausgangsstoff Methan, wie er in Erdgas, Biomasse oder Kohle vorkommt. In Kombination mit Wasser durchläuft dieses CH₄ einen Dekarbonisierungsprozess, mit den Endprodukten CO₂ und H₂.

Wird der Stickstoff abgefangen, nennt man es blauen Wasserstoff, wird er in die Atmosphäre abgegeben, ist es grauer Wasserstoff. Bei türkisem Wasserstoff wird das Methan durch Pyrolyse zu Kohlenstoff. Weisser Wasserstoff ist derjenige, der als Abfallprodukt entsteht. Aber egal ob grau, blau oder türkis: Da der Ausgangsstoff in den meisten Fällen fossiles Erdgas ist, können sie nicht die Lösungen der Zukunft sein.

Der zweite Prozess startet mit Wasser, das via Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespaltet wird. Je nachdem, woher der Strom für diesen Prozess stammt, unterscheidet sich die Farbe: Aus Atomkraft ist es pinker, aus dem regulären Stromnetz gelber und aus erneuerbaren Energiequellen grüner Wasserstoff. Richtig nachhaltig und eine effiziente neue Quelle für Energie ist Wasserstoff also nur, wenn der Strom dazu aus Windfarmen, Solarpanels oder Wasserkraft stammt.

Global ist der Anteil von grünem Wasserstoff noch verschwindend klein. So stammen vier Fünftel des momentan produzierten Wasserstoffs aus fossilen Quellen. Die insgesamt 90 Mio. Tonnen Wasserstoff, die 2020 produziert wurden, emittierten gemäss der Internationalen Energiebehörde (IEA) 900 Mio. Tonnen CO₂ – gleich viel wie das Vereinigte Königreich und Indonesien zusammen. Soll das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreicht werden, muss sich der Wasserstoffmix ändern: Weg mit dem grauen und hin zu mehr blauem und vor allem grünem Wasserstoff. So soll Wasserstoff bis 2050 global 10% der globalen Energie liefern.

Es fehlt die Infrastruktur

Je teurer es wird, CO₂ zu emittieren, desto attraktiver wird grüner Wasserstoff. Beeinflusst wird der Preis zudem von den Kosten für die Elektrolysegeräte. Das erklärt, weshalb China jüngst enorm in die Entwicklung von Elektrolysegeräten investiert hat. Heute stammen mehr als die Hälfte der Geräte aus China. Ein weiterer Faktor ist der Strompreis, deshalb ergibt es Sinn, den Wasserstoff dort herzustellen, wo erneuerbare Energien günstig Strom produzieren.

Bis europäischer Zement mit Wasserstoff aus dem Nahen Osten hergestellt wird, dauert es aber noch. Es fehlt die Infrastruktur – für jegliche Form von Wasserstoff. H₂ ist ein kleines, flüchtiges Molekül mit einer geringen Energiedichte. Um es transportfähig zu machen, kann man es in andere Moleküle umwandeln, wie zum Beispiel Ammoniak (NH₃), das sich bereits bei –33 Grad Celsius verflüssigt.

Die TES verbindet CO₂ mit grünem Wasserstoff, stellt synthetisches E-Gas her, das chemisch nahezu gleich ist wie fossiles Erdgas und deshalb dieselbe Infrastruktur nutzen kann wie Flüssigerdgas (LNG) – nur eben ohne Emissionen, denn das CO₂ wird in einem geschlossenen Kreislauf zurücktransportiert an die Stromquelle, sei das ein Solarfeld in Namibia oder ein Wasserkraftwerk in Kanada. In den Vereinigten Staaten sind gleich sieben Hubs in Planung, denn bereits vor dem jüngst angekündigten Klimapaket hat das Infrastrukturpaket vom November 9,5 Mrd. $ für Wasserstoff gesprochen.

Schweiz prüft EU-Anbindung

Auch in der Schweiz gibt es grünen Wasserstoff, allerdings liegt der Fokus privatwirtschaftlicher Initiativen zurzeit auf dem Strassenverkehr – genauso wie in China, das bis 2030 eine Million mit H₂ betriebene Fahrzeuge auf der Strasse haben will. Die Schweizer Regierung erarbeitet zurzeit eine Wasserstoff-Roadmap.

Dabei würden auch die nötigen Rahmenbedingungen analysiert, wie beispielsweise mögliche Anreiz- und Fördersysteme zur Wasserstoffproduktion, sagt Marianne Zünd vom Bundesamt für Energie. Auch mögliche Importrouten von Wasserstoff würden geprüft, sowie Exportmöglichkeiten für das CO₂, darunter explizit auch das Projekt in Wilhelmshaven.

Gemäss Rafael Loehrer, der die TES in der Schweiz vertritt, sei ein Anschluss der Schweiz an das System in Wilhelmshaven möglich. Das Interesse aus der Industrie sei ebenfalls da. Allerdings sei das Tempo in der Schweiz verglichen mit Deutschland noch ein bisschen langsam.

Kurzfristig hilft Wasserstoff nicht, Europas Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und insbesondere russischem Gas zu verringern. Dessen ist sich auch Schmidt bewusst und geht gar noch weiter: «Im Energiesektor gibt es nicht die eine richtige Lösung.» So sei auch Wasserstoff kein Heilsbringer, sondern vielmehr Teil vieler verschiedener Lösungen, wie die Welt von fossilen Brennstoffen wegkommt. Und er fügt lachend hinzu: «Der Markt ist gross genug. Jeder, der grüne Energie nutzbar machen kann, soll das bitte so schnell wie möglich machen.»

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