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06:59 Uhr - 20.06.2020

Raiffeisen gesteht sich ihre Schwächen ein

Der Ertrag der Bankengruppe steht unter Druck. In ihrer neuen Strategie schreibt sie, was sich ändern soll. Doch der Weg dahin ist ungewiss.

Raiffeisen will ihre Probleme anpacken. Die Bankengruppe präsentiert am heutigen Samstag ihre neue Gruppenstrategie namens «Raiffeisen 2025». Sie will damit aufzeigen, wo in den kommenden fünf Jahren die Reise für das drittgrösste Geldhaus des Landes ­hingehen soll. Die Finanzwelt wird sie damit nicht neu erfinden. Sie ist aber erfrischend schonungslos in der Aufzählung ihrer operativen Schwächen.

Raiffeisen habe eine «starke Abhängigkeit vom Kerngeschäft», die Rentabilität verringere sich «in allen Bereichen». Das steht in der neuen Strategie, die von der Zentrale in St. Gallen (Raiffeisen Schweiz) und Vertretern der zweihundertneunundzwanzig Genossenschaftsbanken ausgearbeitet wurde. Das Zinsgeschäft, mit dem die grösste Hypothekargeberin des Landes das Gros ihres Ertrags macht, entwickelt sich schleppend. «Erodierende Zinsmargen» führten zu «Ertragseinbussen».

Digitale Konkurrenz

In den beiden kleineren Geschäften sieht es nicht besser aus. In der Vermögensverwaltung herrscht ein «starker Verdrängungswettbewerb», weil «praktisch alle Banken vermehrt ihr Heil im Anlage­geschäft suchen» und neue, rein digitale Anbieter auf den Plan treten. Obendrein werde Raiffeisen «nicht als Anlagebank wahrgenommen», obgleich sie hohe Summen verwaltet. Auch im Handel hätten sich die Margen aufgrund der Digitalisierung und des verschärften Wettbewerbs stark reduziert.

Die Bankengruppe fürchtet, die Schnitt­stelle zu ihren Kunden zu verlieren, «sowohl physisch als auch digital». Damit das nicht passiert, will sie Kundenbeziehungen halten, ausbauen und neu erschliessen. Als Konkurrenz identifiziert sie «in erster Linie die Kantonalbanken und Regionalbanken». Gegen sie soll der Ertrag erhöht und diversifiziert werden. Doch wie will sie das schaffen?

Die Lösungen, die Raiffeisen präsentiert, sind nicht neu. Die Bank, die bisher «keine Digitalisierungsstrategie hatte», will nun mit ihrer neu eingeführten Bank-IT von Avaloq ein digitales Ökosystem aufbauen. Wie viele Finanzdienstleister vor ihr, will auch Raiffeisen somit zu einem Onlinemarktplatz werden.

Dabei geht es im Grunde darum, Produkte und Dienstleistungen verschiedenster Anbieter an die eigene Plattform anzubinden. Raiffeisen will dies in ihren Kernbereichen «Wohnen» und «Unternehmen» machen. Denkbar wäre ein Rundumangebot für Eigenheimbesitzer und Unternehmer, das Dienste wie Immobilienbewertung, Finanzierungen, Versicherungen, Renovations-, Übernahme-, Nachfolge- oder Verkaufsberatung sowie Handwerkerleistungen miteinander verbindet. Das Ganze kann durch die Analyse der Kundendaten optimiert werden. Vor diesem Hintergrund passt es, dass die Bank diese Woche die exklusive Kooperation mit Helvetia (HELN 89.3 -1.33%) aufgelöst hat. Auf Anfrage teilt Raiffeisen mit, zur Zeit Gespräche mit verschiedenen möglichen Partnern zu führen, unter anderem mit der Mobiliar.

Eine andere Kooperation könnte diesbezüglich bis zu ihrem Auslaufen Mitte der 2020er-Jahre ebenfalls auf den Prüfstand kommen. Die Privatbank Vontobel (VONN 65.25 -2.1%) versorgt Raiffeisen mit Anlageprodukten und mit ihrer Private-Banking-App Volt, zudem wickelt sie Raiffeisens Wertschriftentransaktionen über ihre Systeme ab. Mindestens Letzteres könnte Raiffeisen dank der neuen IT jetzt wohl selbst. Auf Anfrage teilt sie allerdings mit, ab 2021 im Bereich Wertschriftenhandel und Wertschriftenverwahrung mit UBS (UBSG 10.415 -1.42%) zusammenarbeiten zu wollen.

Unterschied zu Vincenz

Damit unterscheidet sich die neue Strategie unter Raiffeisen-Schweiz-Präsident Guy Lachappelle und CEO Heinz Huber dezidiert von dem, was Ex-CEO Pierin Vincenz tat. Er versuchte einst den Ertrag über Zukäufe und Beteiligungen zu diversifizieren. Mit rund 1 Mrd. Fr. ging Vincenz relativ unbeaufsichtigt auf Einkaufstour. Die Strategie scheiterte, die meisten Beteiligungen wurden abgestossen, 2018 wurden über 200 Mio. Fr. abgeschrieben.

Vincenz erwartet laut Medienberichten noch diesen Sommer eine Anklage der Staatsanwaltschaft wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung während seiner Zeit als Raiffeisen-CEO und Aduno-Präsident. Die Bank behält sich darüber hinaus vor, gegen Ex-Mitglieder von Verwaltungsrat (VR) und Geschäftsleitung (GL) aus der Vincenz-Ära Regressansprüche zu stellen. So freimütig wie Vincenz können Lachappelle und Huber heute nicht mehr mit den umfangreichen Mitteln der Gruppe verfahren. Die Besitzerbanken haben Ende vergangenes Jahr neue Gremien geschaffen, in denen sie VR und GL von Raiffeisen Schweiz auf die Finger schauen.

Die neue Strategie sieht aber auch gar keine grossen, neuen Ausgaben mehr vor, sie will im Gegenteil die Kosten im Zaum halten. Denn Raiffeisen weist gemäss Strategie ein eher hohes Verhältnis von Kosten zu Ertrag auf. Ein Konstrukt mit zweihundertneunundzwanzig weitgehend selbständigen Banken bringt eben «ineffiziente Prozesse» und eine «kostenintensive Struktur» mit sich. Dem soll entgegengewirkt werden, indem Geschäftsfelder und Prozesse standardisiert und durchdigitalisiert werden.

Über Personalabbau sollen die Kosten dabei höchstens via natürliche Fluktuation gesenkt werden. Das Image der guten Genossenschaftsbank verträgt sich nicht mit Massenentlassungen. Dennoch hat die Zentrale in St. Gallen 2019 schon einmal rund zweihundert Stellen abgebaut, und auch die Einzelbanken werden wohl in Zukunft weiter miteinander fusionieren, was die Gelegenheit bietet, Doppelspurigkeiten abzubauen. Dieses Jahr schlossen sich allein sechs Banken zu drei zusammen. Fünf weitere stimmen dieses Jahr darüber ab, zu zwei zu fusionieren.

Offene Punkte

Auf zwei Punkte, die in der Vergangenheit zwischen den Einzelbanken und der Zentrale für Gesprächsstoff sorgten, geht die neue Strategie allerdings nicht ein. Erstens auf die Gemeinschaftsleistungen, die die Zentrale für die Gruppe erbringt, und darauf, was die Banken bereit sind, dafür noch zu zahlen. In der Diskussion sind weiterhin tiefere Preise, Paketlösungen oder ein Leistungsmenü «à la carte».

Zweitens auf das Filialgeschäft der Zentrale. Raiffeisen Schweiz, einst als reine Ausgleichskasse von den Einzelbanken gegründet, betreibt heute eigene Niederlassungen in den grossen Städten und konkurrenziert damit ihre Besitzerinnen. Dem Vernehmen nach könnten die Filialen nun bis nächstes Jahr in eigenständige Genossenschaften übergehen.

Doch schon ohne die Streitpunkte ist der Erfolg der neuen Strategie ungewiss. Einen Ökosystemansatz fahren viele Banken. Für Raiffeisen sprechen hier zwar ihre 3,5 Mio. Privat- und Unternehmenskunden und die enge Verbindung zu ihren 2 Mio. Genossenschaftern. Zudem liefert das Hypothekargeschäft immer noch guten Ertrag. Doch den schönen Worten in der neuen Strategie müssen nun erst einmal konkrete Taten und Ergebnisse folgen. Denn das vorgelegte Papier ist zwar in weiten Teilen ehrlich, aber zunächst einmal auch einfach nur geduldig.

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