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00:17 Uhr - 18.06.2015

US-Notenbank setzt auf Abwarten

Der Vorsitz des Federal Reserve hält sich alle Optionen für eine Zinserhöhung im Herbst offen. Die Zauderer im Gremium gewinnen aber an Rückhalt.

Das Unbehagen stand Janet Yellen ins Gesicht geschrieben. Eine volle Stunde lang versuchte die Chefin der amerikanischen Notenbank an der Pressekonferenz vom Mittwoch, Fragen zum  Zeitpunkt der ersten Zinserhöhung auszuweichen.

Nur in einem Punkt machte sie dazu eine klare Aussage: Sie und ihre Kollegen im Vorsitz des Federal Reserve planen weiterhin, dieses Jahr einen solchen Schritt zu machen.

«Wir haben gewisse Fortschritte gesehen», sagte Yellen mit Blick auf den Arbeitsmarkt und die Inflation. «Dennoch hat das Komitee befunden, dass die wirtschaftlichen Bedinungen noch keine Erhöhung der Federal Funds Rate rechtfertigen.»

Der Vorsitz der US-Notenbank sehe die Konjunkturschwäche im ersten Quartal zwar nur als vorübergehend an. «Wir wollen aber zuerst deutlichere Belege sehen, dass die Wirtschaft nachhaltig in moderatem Tempo wächst», meinte Yellen.

Vorsichtiger Konjunkturausblick

Weil die Fed-Chefin schwammig blieb, richteten Investoren den Fokus primär auf die Prognosen zur Leitzinsentwicklung, die das Federal Reserve vierteljährlich veröffentlicht.

Im Schnitt denkt das fünfzehnköpfige Gremium der US-Notenbank demnach weiterhin, dass sich die Federal Funds Rate bis Ende Jahr auf 0,625% bewegen wird. Im Gegensatz zum letzten Ausblick vom März rechnen inzwischen aber sieben statt drei Mitglieder damit, dass sich der Leitzins unter diesem Niveau bewegen wird.

«Unter dem Strich sind das überraschend milde Prognosen», denkt Alastair George, Chef-Stratege von Edison Investment Research.

Er verweist dabei auch auf den Konjunkturausblick der Währungshüter: In ihrem Statement vom Mittwoch hielten sie zwar fest, dass die Wirtschaft in den vergangenen Monaten wieder «moderat expandiert» sei, nachdem sie im ersten Quartal 0,7% geschrumpft war. Trotzdem rechnet das Gros im Fed-Vorsitz für das Gesamtjahr nur noch mit 1,8 bis 2% Wachstum anstatt mit 2,3 bis 2,7%.

Neu schätzt die Mehrheit zudem, dass die Arbeitslosenquote von aktuell 5,5% bis im vierten Quartal lediglich auf 5,2 bis 5,3% sinken wird, wogegen sie zuletzt 5 bis 5,2% erwartet hatte.

Aufatmen an Wallstreet

An Wallstreet sorgen diese Nachrichten für etwas Erleichterung. Der US-Leitindex S&P 500 drehte nach der Veröffentlichung des Fed-Entscheids am frühen Nachmittag ins Plus und schloss 0,2% fester auf 2100,44.

Der Dollar gab gemessen an den international wichtigsten Währungen 0,8% nach und notierte zum Franken auf 0.92 $/Fr. Am Bondmarkt, wo es in den letzten Wochen zu starken Schwankungen gekommen war, gab die Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen leicht auf 2,31% nach.

Um die Wirtschaft zu stimulieren, hält die US-Notenbank den Leitzins bereits seit Ende 2008 auf 0 bis 0,25% gedrückt. Seit letztem Herbst signalisiert Fed-Chefin Yellen aber, dass sie eine Normalisierung der Zinspolitik einleiten will. Rund um den Globus spekulieren Investoren deshalb intensiv darüber, wann das Federal Reserve Ernst machen wird.

Fokus verlagert sich auf Dezember

Gemäss den Terminmärkten in Chicago beläuft sich die Wahrscheinlichkeit für einen ersten Zinsschritt an der nächsten Fed-Sitzung von Ende Juli auf 0%. Für das Treffen vom September betragen die Chancen 19% und steigen erst für die Sitzung im Dezember auf knapp über 50%.

Den US-Währungshütern kommt die Obsession der Märkte ungelegen. «Ich möchte betonen, dass dem Zeitpunkt der ersten Zinserhöhung zu viel Bedeutung zugemessen wird», sagte Yellen an der Pressekonferenz. «Was für Marktteilnehmer jedoch wichtig sein sollte, ist der gesamte erwartete Entwicklungsverlauf der Zinspolitik», fügte sie hinzu.

Im letzten Zyklus von 2004 bis 2006 erhöhte das Fed den Leitzins während siebzehn Sitzungen in Folge jeweils um 0,25 Basispunkte. Dieses Mal werde die US-Notenbank keinen solchen «mechanischen» Ansatz verfolgen, erklärte Yellen.

«Die Grundhaltung der Geldpolitik wird nach der ersten Zinserhöhung voraussichtlich für eine lange Zeit hochgradig expansiv bleiben», führte die Fed-Chefin aus.

 

 

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