Corporate America hat mehrheitlich starke Quartalszahlen geliefert. Dennoch dürfen Anleger einzelne Risiken nicht ignorieren.
Den US-Unternehmen läuft es. Fast alle 500 Gesellschaften im breiten US-Börsenindex S&P 500 haben mittlerweile Zahlen für das dritte Quartal rapportiert. Laut den Analysten von Bank of America (BofA) konnten die allermeisten von ihnen ihre Ergebnisse verbessern und die Erwartungen übertreffen. Im Schnitt stieg der Vorsteuergewinn zum Vorjahr 37% und der Umsatz 16%. Der Gewinn lag rund 15% über den Erwartungen, der Umsatz rund 6%.
Wegen globaler Lieferkettenengpässe und einer niedrigeren Erwerbsquote am US-Arbeitsmarkt sind für Unternehmen die Kosten zwar gestiegen, doch die Nachfrage ist laut vielen Gesellschaften derart stark, dass sie Preissteigerungen problemlos an die Konsumenten weitergeben können. Beispiele dafür sind Unternehmen wie der Hygieneartikelhersteller Kimberly-Clark, die Logistiker FedEx und UPS, der Autohersteller General Motors, der Kosumgüterkonzern Procter & Gamble, der Getränkeproduzent Pepsi, der Fastfood-Riese McDonald’s, der Ersatzteilehändler Autozone, der Halbleiterhersteller Qualcomm oder der Chemiekonzern Dow. Viele Unternehmen prognostizieren weiter starke Zahlen. Der Finanzdienstleister PNC gibt an, dass «die grosse Mehrheit unserer Kunden Inventar aufbauen und mehr investieren will».
So blieben die Nettomargen der Unternehmen im dritten Quartal auf Rekordniveau. Sie sollten laut Analystenkonsens im letzten Quartal 2021 und im ersten Quartal 2022 zwar sinken, «angesichts der anhaltenden Margenstärke können sich die Schätzungen aber als zu konservativ erweisen», schreiben die BofA-Experten. Denn auch die jüngsten Zahlen zum Detailhandelsumsatz und zur Industrieproduktion sind positiv ausgefallen. Die Nachfrage scheint weiterhin stark. Laut den Analysten von BCA Research sitzen die Konsumenten immer noch auf 2,2 Bio. $ an überschüssigen Ersparnissen, die sich während der Pandemie angesammelt haben. «Dies sollte das Umsatzwachstum der Unternehmen weiter stützen», schreibt der Asset-Manager Robeco.
Der S&P 500 ist seit Anfang Oktober rund 8% auf ein neues Hoch gestiegen. Die anderen US-Indizes gingen in dieselbe Richtung. Laut Experten deutet alles auf eine starke Feiertagssaison und eine Jahresendrally hin. Es scheint breite Zuversicht zu herrschen.
So viel zum Positiven. Trotz der guten Zahlen könnte gemäss BofA dieser Rally aber langsam die Luft ausgehen. Das Gewinnwachstum liegt zwar signifikant über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre, doch das Ausmass an Überraschung war das geringste seit Beginn der Coronakrise. Die Schätzungen für das vierte Quartal 2021 und für den Gewinn 2022 sind anders als zuvor nahezu unverändert. Die Wachstumserwartungen der Analysten sind bereits in luftigen Höhen angelangt. Laut BofA liegen sie für die US-Unternehmen auf einem Rekordhoch, höher als während der Tech-Blase.
Die Historie zeigt allerdings, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur 20% der Gesellschaften mit langfristig hohen Wachstumserwartungen diese auch wirklich erfüllen konnten. Laut Ned Davis Research rechnen die Analysten im Schnitt mit 10% Gewinnwachstum für die US-Unternehmen, was dem breiten Markt ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 21 gibt. Diese hohe Bewertung sei nur gerechtfertigt, wenn man beachte, dass der Realzins in den USA weiterhin negativ sei. Daher führt für den renditebewussten Anleger kein Weg an Aktien vorbei.
Dieses Umfeld könnte im kommenden Jahr stark beeinträchtigt werden, ausgehend von der heissen Diskussion über die Inflation in den USA. Das Land erlebt gerade die höchste Teuerung seit dreissig Jahren. Die Konsumentenstimmung ist gemäss Universität Michigan auf einem Zehnjahrestief angelangt. Für 2022 erwartet der Markt eine Inflation von 4,9%. Die fünfjährigen Inflationserwartungen stehen auf einem Allzeithoch von 3,2%.
Der Markt sieht zurzeit die erhöhte Inflation nicht als vorübergehend an, wie die US-Notenbank Fed immer wieder beteuert. Das macht laut Experten eine schnellere Normalisierung der US-Geldpolitik wahrscheinlich und damit auch eine Abkühlung der Wirtschaft. Fed-Chef Jerome Powell hält sich bereits die Tür für ein schnelleres Ende des Wertpapierkaufprogramms offen. Die BofA-Analysten erwarten, dass das Fed den Markt alsbald genau darauf vorbereiten wird. Die Experten der Deutschen Bank schreiben, die erste Zinserhöhung könnte so bereits vor Juni und nicht wie prognostiziert im Juli vollzogen werden.
«Die realen Zinsen werden über das Schicksal überhöht bewerteter Aktien entscheiden», schreibt der Vermögensverwalter Amundi. Früher oder später würden die realen Zinsen anziehen und die hohen Bewertungen vor allem von Wachstumsaktien in Frage stellen. Unlängst haben Fondsmanager im grossen Stil bereits Titel von Zyklikern, Tech- und Industrieunternehmen verkauft. Kurzfristig mindestens bleibe das Umfeld für Aktien aber grundsätzlich weiterhin attraktiv, meint die Privatbank Lombard Odier. Die Fondsmanager haben denn auch zugleich bei US-Valoren so stark zugegriffen wie zuletzt Mitte 2013. Der Zufluss in Energiewerte ist so gross wie nie zuvor.
Angesichts des anspruchsvollen Umfelds sollten Anleger nun das Augenmerk auf Qualitätsunternehmen richten, die über die beschriebene Preissetzungsmacht verfügen und sie weiter durchsetzen können. Sichere Werte könnten auch Gesellschaften sein, die vom forcierten Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energien in den USA profitieren. BofA empfiehlt zudem ein Übergewicht in Titeln der Sektoren Luftfahrt, Automobil, Banken, Energie, Freizeit, Medien, Unterhaltung und Telecom. Hingegen seien Gesellschaften aus den Bereichen Konsumgüter, Nahrungsmittel, Gesundheit, Industrie, Detailhandel und Technologie mit Vorsicht zu betrachten. Unter anderem Credit Suisse legt zudem den Fokus auf die kleinkapitalisierten US-Werte im Russell 2000. Anlegern bleibt jedenfalls noch genügend Zeit, sich auf ungemütlichere Phasen vorzubereiten. Denn noch läuft es den US-Unternehmen.
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