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16:20 Uhr - 10.02.2016

Die Nachbeben der Finanzkrise

Was sich derzeit an den Finanzmärkten abspielt, ist nichts Neues. Das lehrt ein Blick in die Geschichte: Nach jeder grossen Krise folgten die besten Börsenjahre kurz nach dem Crash. Die Zinswende kam erst nach zehn Jahren.

Die Inflation liegt seit Jahren unter der Zielrate der Notenbank, die Geldmenge ist nach einem Anstieg von 50%  in den Jahren davor seit eineinhalb Jahren tendenziell abnehmend, das verarbeitende Gewerbe sitzt auf übervollen Lagern und der Dollar hat sich stark aufgewertet.

Dieser Satz klingt sehr aktuell. Er trifft auf die derzeitige Lage in den USA zu. Der Satz könnte aber ebenso gut aus den Jahren 1938 oder 1899 sein. Warum gerade diese beiden Perioden?

Zwei Präzedenzfälle

Im neuen Investement Return Yearbook der Credit Suisse (CSGN 13.61 4.61%) hat der Ökonom Jonathan Wilmot untersucht, wie sich die Wirtschaft und die Finanzmärkte nach grossen Krisen entwickelt haben. Als Perioden mit zahlreichen Parallelen zur Finanzkrise 2008/09 identifiziert er die grossen Kapitalismuskrisen der 1890er-Jahre und der Dreissigerjahre. Es sind die beiden einzigen Phasen, in denen die Anleihenrenditen über so lange Zeit ähnlich niedrig waren wie heute.

Ende des 19. Jahrhunderts erlitt der globale Kapitalismus seine erste grosse Krise. Sie begann als Schuldenkrise in Lateinamerika, kulminierte in einer globalen Bankenpanik und mündete schliesslich in eine weltweite Rezession. Wirtschaftshistoriker datieren die erste globale Wirtschaftskrise auf die Periode 1891 bis 1900.

Die zweite grosse Krise ist in den Köpfen der Ökonomen noch eher präsent: die Grosse Depression. Sie nahm ihren Anfang 1928 und war in den USA erst 1939 wirklich überwunden.

Zahlreiche Parallelen

Gewiss waren jene Zeiten in vielem nicht mit heute vergleichbar. Die Wirtschaft war weniger diversifiziert als heute und viel stärker von der Industrie geprägt als vom Dienstleistungssektor. Heute hat der Staat ein grösseres Gewicht, und es gibt keinen Gold-Standard mehr, was ganz andere Möglichkeiten in der Gestaltung der Geld- und Fiskalpolitik eröffnet. Doch in den Grundzügen waren es auch damals klassische Finanzkrisen, die auf eine Phase von exzessivem Kreditwachstum folgten.

Bei vielen ökonomischen Variablen gibt es zudem frappierende Ähnlichkeiten: Beispiele sind die Arbeitslosenrate, die Industrieproduktion, die Unternehmensgewinne und die Kreditvergabe. Sie verliefen damals sehr ähnlich wie in der Krise von 2008/9.

Entwicklung der Industrieproduktion in Krisen Quelle: Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook

Die grüne Linie zeigt den Verlauf der US-Industrieproduktion seit Ausbruch der Subprime-Krise in den USA im Jahr 2007, die 2008 in eine globale Finanzkrise ausartete. Die Industrieproduktion brach fast 20% ein und hat sich danach langsam, aber stetig erholt.

Im Vergleich dazu stehen in hellblauer Farbe die Entwicklung während der Wirtschaftskrise der 1890er-Jahre und in Dunkelblau der Verlauf der Industrieproduktion während der Grossen Depression der Dreissigerjahre. Der Einbruch ist bei allen drei vergleichbar, der Erholungspfad variiert, was vor allem mit der geld- und fiskalpolitischen Reaktion zusammenhängt.

Zinsen fallen noch Jahre weiter

Und was passierte damals an den Finanzmärkten?

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem historischen Vergleich ist, dass es in den beiden letzten grossen Krisen zehn Jahre dauerte, bis die Anleihenrenditen wieder zu steigen begannen. Weil gleichzeitig die Inflationsrate niedrig war, verdienten Anleger in dieser Phase real sehr gut mit Investitionen in Staatsanleihen – so wie in den letzten sieben Jahren.

Entwicklung der Langfristzinsen Quelle: Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook

Was wir derzeit an den Anleihenmärkten beobachten (US-Zinsen nahe Rekordtiefs, japanische 10-Jahresrenditen negativ), ist also normal. Dass die Zinsen nach einer Finanzkrise lange nicht steigen, sondern immer tiefer sinken, hat mehrere Gründe. Zum einen folgt auf einen Überschuldungsprozess eine Phase der Entschuldung. Das sogenannte Deleveraging wirkt deflationär: Schulden zurückbezahlen ist das Gegenteil eines neuen Kredits – das heisst, die weit gefasste Geldmenge sinkt. Wegen des Schuldenabbaus verläuft die typische wirtschaftliche Erholung nur langsam; es dauert lange, bis die Wirtschaft an die Kapazitätsgrenzen stösst und der Inflationsdruck steigt.

«Grosse deflationäre Schocks reduzieren den realen Gleichgewichtszins beträchtlich, und dieser Effekt hält lange an», fasst es Studienverfasser Wilmot zusammen.

V-förmiges Muster bei den Aktien

Für die Aktienmärkte sind solche grossen Finanzkrisen zuerst fatal. Schon fast unheimlich sind die Parallelen zwischen 1891 und 2007 und den Folgejahren. Nach dem tiefen Fall folgte eine steile Erholung, da die Bewertungen am Boden lagen. Real, also nach Abzug der Inflation, waren die anfänglichen Verluste nach fünf Jahren wieder aufgeholt. In der Grossen Depression war der Kurssturz jedoch fast doppelt so heftig, weil die US-Zentralbank die Zinsen erhöhen musste, um den Abfluss von Gold (Gold 1187.02 -0.19%) stoppen.

US-Aktienmarkt Quelle: Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook

Sollten die Parallelen zu den 1890er-Jahren fortbestehen, dann kommen nach der jetzigen Zitterpartie auf die Aktienmärkte gute Zeiten zu. Doch es gibt auch ein anderes Szenario, das von 1937. Damals entschied sich die USA aus Angst vor Inflation und einer Überhitzung am Aktienmarkt für eine restriktivere Geld- und Fiskalpolitik. Die Börsenkurse halbierten sich erneut, und die Wirtschaft fiel wieder in eine Rezession. 

Die Fehler von 1937

Wenn die US-Notenbank in der aktuellen Phase weiter die Leitzinsen erhöht, riskiert sie, die Fehler von damals zu wiederholen. Bis der Gesamtmarkt zu haussieren beginnt, könnte es noch ein paar Jahre dauern (vgl. dunkelblaue Linie).

Die historische Analyse zeigt jedoch auch, dass nach zehn Jahren mit niedrigem Wachstum und immer noch tieferen Zinsen die Wende kommt. Dann setzte jeweils eine Phase mit mehr Wachstum und mehr Inflation ein. Wilmot bezeichnet sie als säkulare Reflation, in Anspielung an die Idee der säkulären Stagnation, die eine lange Phase mit unterdurchschnittlich schwachem Wirtschaftswachstum und tiefem Inflations- und Zinsniveau bezeichnet.

Schliesslich folgt die säkulare Reflation

In einer säkulären Reflation liegen die kurz- und langfristigen Zinsen über Jahre unterhalb des nominellen Wirtschaftswachstums. Die realen Erträge von Staatsanleihen schrumpfen und fallen sogar unter null. Für Aktien sieht es etwas besser aus, doch auch da waren die realen Erträge in der Dekade darauf unterdurchschnittlich.

Auf Basis der historischen Vergleichsperioden schätzt Wilmot, dass mit sicheren Anleihen über die nächsten zehn Jahre real kaum mehr Geld zu verdienen ist und mit Aktien zwischen 4 und 6%. Es klingt nicht gerade intuitiv, doch die ersten sieben bis acht Jahre nach einer grossen Krise sind für Anleger die besseren als die nächsten zehn.

Parallelen

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