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07:03 Uhr - 21.11.2016

«Dieses Mal wird Europa bankrottgehen»

Luigi Zingales, Finanzprofessor an der Universität Chicago, warnt vor den globalen Folgen der US-Wahlen und vergleicht Trump mit Medienzampano Berlusconi.

Die Nachbeben der amerikanischen Präsidentschaftswahlen halten an. Luigi Zingales befürchtet, dass der Sieg von Donald Trump gravierende Konsequenzen für europäische Wirtschaftsschwergewichte wie Deutschland und Italien haben wird und letztlich sogar das Ende der EU bedeuten könnte. Als engagierter Verfechter freier Märkte sorgt sich der angesehene Ökonom zudem, dass die Vetternwirtschaft in Washington unter dem neuen US-Staatschef noch mehr florieren wird. Er zieht Parallelen zu Italiens vormaligem Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, der seinerzeit mit ähnlichen Versprechen wie Trump an die Regierung kam.

Zur PersonLuigi Zingales gehört zu den pointiertesten Fürsprechern des Kapitalismus. Der Professor für Unternehmertum und Finanzen an der Booth School of Business in Chicago setzt sich vor allem gegen Vetternwirtschaft und Korruption ein. Rezepte zur Förderung von Wettbewerb erstellt er in seinem Buch «A Capitalism for the People» und in der 2003 erschienen Publikation «Saving Capitalism from the Capitalists», die er mit dem vormaligen indischen Zentralbankchef Raghuram Rajan verfasst hat. Der 53-jährige Italiener hat an der Università Bocconi studiert und 1992 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) den Doktortitel erworben.

Professor Zingales, alles schaut gebannt auf den Machtwechsel in Washington. Was bedeutet Präsident Trump für die Welt?
Trumps Absichten sind zwar schwammig. Offensichtlich ist aber, dass er gegen aussen eine protektionistische Haltung vertritt. Zudem will er Steuern senken und gleichzeitig mehr in Infrastruktur und Rüstung investieren. Das bedeutet ein steigendes Budgetdefizit. Für die USA ist das auf kurze Sicht nicht allzu schlimm, denn sie können es verkraften, wenn die Zinsen deswegen steigen. Als Italiener mache ich mir aber Sorgen um Europa.

Warum?
Die Situation erinnert an die frühen Achtzigerjahre, als Ronald Reagan ins Weisse Haus einzog. Damals nahm das US-Budgetdefizit ebenfalls zu, worauf die Zinsen zunächst noch weiter stiegen und Lateinamerika deswegen pleiteging. Dieses Mal hingegen wird Europa bankrottgehen.

Weshalb wären höhere Zinsen in den USA denn so gefährlich für Europa?
Um ihr Defizit zu finanzieren, müssen die USA Investitionen aus dem Ausland anziehen. Das geht nur über höhere Zinsen, wodurch sich der Dollar gegenüber dem Euro aufwerten wird.

Warum ist das ein Problem? Europa würde dadurch doch konkurrenzfähiger.
Wenn der Euro zum Dollar günstiger wird, gibt das vor allem der deutschen Exportwirtschaft Schub. Da sie bereits nahezu voll ausgelastet ist, wird sie heisslaufen, womit die Preise steigen. Deutschland wird deshalb höhere Zinsen fordern, um die Inflation zu dämpfen. Mit einer eigenen Währung wäre das kein Problem. Weil Deutschland aber zur Eurozone gehört, müssten die Zinsen in ganz Europa steigen. Dadurch könnten Länder wie Italien ihre Schulden nicht mehr finanzieren. Es gibt also gar keine guten Alternativen: Entweder kommt es zu Inflationsdruck in Deutschland oder zu einem Zahlungsausfall in Italien.

Trumps Wahlsieg könnte populistischen Strömungen in Europa zudem noch mehr Auftrieb geben. Gerade in Italien steht diesbezüglich am 4. Dezember mit der Abstimmung über eine neue Verfassung ein wichtiger Test an.
Dieses Problem hat sich Ministerpräsident Matteo Renzi selbst eingebrockt. Für dieses Referendum gab es keinen Grund. Renzi hatte zunächst geglaubt, seine Verfassungsreform werde ein grosser Erfolg, weshalb er sie mit einer Abstimmung bestätigen wollte. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass die Begeisterung viel weniger gross ist als erhofft. Es war deshalb eine grosse Dummheit, das gesamte Reformpaket aufs Spiel zu setzen.

Bei einer Ablehnung hat Renzi mit seinem Rücktritt gedroht. Könnte das sogar bedeuten, dass Italien letztlich wie Grossbritannien die EU verlassen wird?
Auch der britische Premier David Cameron hatte vor der Brexit-Abstimmung seinen Rücktritt angedroht und danach prompt Ernst gemacht. In Italien herrscht hingegen eine etwas andere Mentalität. Ich glaube daher nicht, dass Renzi tatsächlich abtritt, wenn die Verfassungsreform abgelehnt wird.

Auch in anderen Mitgliedstaaten wächst der Widerstand gegen die EU. Weshalb?
Das Grundproblem ist, dass unser Wohlfahrtssystem auf nationaler Ebene organisiert ist. Wichtige Entscheide in der Wirtschaftspolitik werden jedoch auf EU-Stufe gefällt. Das sorgt für wachsende Unzufriedenheit und gibt nationalistischen Bewegungen Zulauf, denn viele Leute fühlen sich vollkommen ungeschützt gegen die Risiken, die mit der Globalisierung und dem technologischen Wandel einhergehen. Die EU-Länder müssen sich daher untereinander besser abstimmen und ein Wohlfahrtssystem auf europäischer Stufe fördern. Sonst ist die Europäische Union zum Scheitern verurteilt.

Ähnliche Ängste hat auch Trump für seine Kampagne genutzt und versprochen, den «Korruptionssumpf in Washington trockenzulegen». Wie glaubwürdig ist das?
Trump hat sein Geld im Immobiliengeschäft gemacht, in einer der korruptesten Branchen überhaupt. Auch bringt ein Immobilientycoon wie er lange nicht die gleichen Qualitäten wie ein Entrepreneur mit. Für Erfolg im Immobiliengeschäft muss man die richtigen Kontakte knüpfen und die richtigen Deals einfädeln. Mit effizientem Management oder Innovation hat das wenig zu tun. Auch herrscht in diesem Sektor wenig Wettbewerb, zumal die Ausschreibungen von Immobilienprojekten oft gezinkt sind. Trump hat also genauso wenig Ahnung von echtem Wettbewerb wie seinerzeit Silvio Berlusconi in Italien, der für seine Wahl zum Regierungschef ebenfalls Stimmung gegen Vetternwirtschaft machte.

Ist Trump demnach eine Art amerikanischer Berlusconi?
Dieser Vergleich hat seine Grenzen. Bei Berlusconi war völlig klar, weshalb er als Ministerpräsident kandidierte: Er hatte hohe Schulden, und es liefen juristische Verfahren gegen ihn, die sehr böse hätten ausgehen können. Hätte er die Wahlen verloren, wäre sein Medienimperium wohl eingestürzt. Mit seinem Sieg rettete er deshalb de facto sein Leben. Trump hingegen hätte mit seinem Business munter weitermachen können, wenn Hillary Clinton gewonnen hätte.

Ist das nun gut oder schlecht?
Das Positive an Trump ist, dass er kaum aus geschäftlichen Interessen zur Wahl angetreten ist. Immobilien sind in den USA primär ein lokales Geschäft, über das der Präsident so gut wie keine Autorität hat. Es gibt aber auch eine Kehrseite: Berlusconis private Interessen haben Italien damals vor einer Katastrophe bewahrt. Weil er sein Geschäft retten wollte, provozierte er keine grösseren Spannungen in der Bevölkerung und verfolgte trotz all seinen Fehlern eine verhältnismässig moderate Politik. Trump hingegen neigt viel mehr zu Aggression.

Wird er tatsächlich mit dem «Establishment» abrechnen?
Trump hat sich als krasser Aussenseiter dargestellt, der für diejenigen kämpft, die Clinton abschätzig als «Bemitleidenswerte» bezeichnet hatte. Er war der erste republikanische Präsidentschaftskandidat, der nicht von der amerikanischen Handelskammer unterstützt wurde. Jetzt, wo er an der Macht ist, werden Wirtschaftsverbände aber seine Nähe suchen, wie sie das bei jedem Präsidenten machen. Mit Blick auf seinen Hintergrund und seinen Charakter würde es mich auch nicht überraschen, wenn er seine Anhänger rasch vergisst und mit jeder möglichen Lobby-Gruppe ins Bett steigt.

Wird er damit auch seine protektionistische Haltung aufweichen?
Die meisten seiner Wähler kaufen bei günstigen Detailhändlern wie Wal-Mart ein. Sie werden keine Freude haben, wenn Trump einen hohen Strafzoll auf chinesische Importe anordnet und ihre Rechnung an der Kasse im Supermarkt dann plötzlich um die Hälfte steigt. Das wäre politischer Selbstmord.

Und wie ist es mit seinen Drohungen, US-Konzerne zu bestrafen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern?
In diesem Bereich wird Trump vor allem viel reden. Das bringt ihm Publizität und bremst kurzfristig vielleicht sogar gewisse Outsourcing-Pläne. Kaum ein Konzern wird wohl gleich am Anfang den Ärger des neuen Präsidenten auf sich ziehen wollen. US-Unternehmen halten zudem über 2000 Mrd. $ an Gewinnen im Ausland zurück, weil sie bei der Rückführung in die USA hohe Steuern zahlen müssten. Trump könnte diesen Tarif massgeblich senken, wenn ein Unternehmen bei der Rückführung einen Teil des Geldes im Heimmarkt investiert. Ein solcher Deal würde in der Wirtschaft auf ein freundliches Echo stossen und in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass Jobs zurück nach Amerika kommen. Langfristig hätte das allerdings kaum einen Effekt.

Was bedeutet das alles letztlich für das öffentliche Vertrauen in den Kapitalismus und in freie Märkte?
Das Vertrauen in die Marktwirtschaft ist stark lädiert, wobei Trump das Problem wohl noch verschlimmern wird. Ich habe schon vor Jahren gewarnt, dass das geringe Wirtschaftswachstum unvermeidlich zu Populismus führen werde und wir diese politischen Kräfte für positive Veränderungen nutzen sollten. Leider ist bisher das Gegenteil passiert.

Wie liesse sich Populismus denn für gute Zwecke kanalisieren?
Indem wir den Unmut nutzen, um korrupte und unfaire Elemente des Kapitalismus auszumerzen. In den USA etwa herrscht in vielen Branchen eine grosse Konzentration, was hohe Preise zur Folge hat. Schärfere Kartellgesetze wären daher ein guter Ansatz. Ein weiteres Beispiel ist das US-Bildungswesen. Es wird von Gewerkschaften dominiert, was Lernen schwieriger macht. Mehr Wettbewerb würde unser Wirtschaftssystem erheblich verbessern. Das beste Vorbild dafür war Präsident Theodore Roosevelt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die mächtigen Monopole aufbrach.

Wie realistisch sind die Chancen, dass das in der heutigen Zeit gelingt?
Trump war clever genug, solche Ideen ansatzweise aufzugreifen. So hat die Republikanische Partei in ihrem Wahlprogramm festgehalten, unter Umständen wieder ein Trennbankensystem nach dem Muster des Glass-Steagall-Gesetzes einzuführen. Jetzt ist aber zu lesen, dass Trump für den Posten des Finanzministers Brancheninsider wie J.-P.-Morgan-Chef Jamie Dimon oder den früheren Goldman-Sachs-Partner Steven Mnuchin in Erwägung zieht. Ich fürchte daher, dass es in Sachen Vetternwirtschaft zum Desaster kommt – genau wie mit Berlusconi in Italien.

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