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10:20 Uhr - 02.06.2015

«Ein reines Schweizer Depot macht Freude»

Thomas Della Casa, Leiter Vermögensverwaltung der Neuen Helvetischen Bank, rechnet für die nächsten zwei Quartale nochmals mit einem Kursschub und sagt, wo er noch Investitionsmöglichkeiten ortet.

Herr Della Casa, Hand aufs Herz, wo stehen wir, stecken die Obligationen- und die Aktienmärkte in einer Blase?
Der Bondmarkt teilweise sicher, denken wir nur an Staatsanleihen. Zinsen um null sind langfristig nicht haltbar, selbst wenn gerade Europa praktisch keine Wahl hat, als das Zinsniveau auch in den nächsten zwei Jahren niedrig zu halten. Die Staatsdefizite sind unverändert riesig, Inflation ist nicht in Sicht, das globale Wirtschaftswachstum mit 3 bis 3,2% in diesem Jahr flau und besonders in Europa mit nur 1 bis 1,2% unter Vorjahreswert. Höchstens in den USA wird’s im dritten Quartal eine homöopathische Zinserhöhung geben.

Mit welchen Kursfolgen?
Mit gar keinen, ob der Zinsschritt jetzt im September oder später kommt, die Märkte sind darauf vorbereitet. Heikel wäre ein  unerwartetes Ereignis, beispielsweise eine massive Zinsanhebung der US-Notenbank um 0,5 oder 0,75%, oder wenn sich am Quantitative Easing der Europäischen Zentralbank etwas ändern würde. Letzteres ist nicht ganz auszuschliessen.

Wie meinen Sie das?
Wenn sich das monatliche Anleihenkaufprogramm von 60 Mrd. € der EZB nicht durchziehen lässt, weil das Angebot zu gering ist, wenn potenzielle Verkäufer – vor allem die Banken – sich fragen, wohin mit dem Erlös bei fast Null- oder Negativzinsen, und nur verkaufen, was sie unbedingt müssen. Dann müsste die EZB das Programm wohl zeitlich etwas strecken, was die Märkte nicht unberührt liesse.

Sehen Sie andere Gefahren?
Eine andere Gefahr geht von den Währungen aus. Alle vier grossen Zentralbanken streben im Prinzip nach einem niedrigeren Wechselkurs, am heftigsten die japanische – mit Erfolg. Die japanische Exportindustrie ist dadurch zu neuem Leben erwacht. Noch bewegt sich die Wahrscheinlichkeit im unteren Prozentbereich. Aber ein ernsthafter globaler Abwertungskampf ist nicht auszuschliessen. Das wäre für die Schweiz heikel, selbst wenn unsere Wirtschaft mit dem starken Franken auch nach der Freigabe des Euromindestkurses ziemlich gut zurechtkommt.

Was verleitet Sie zur Annahme, die Frankenstärke sei weniger schlimm, als Klagen aus der Wirtschaft vermuten lassen?
Sicher gibt es Fälle, in denen die Konsequenzen schwerwiegend sind, und kleinere Firmen sind stärker betroffen als grössere. Aber niemand, zuletzt die Wirtschaft selbst, würde behaupten, Schweizer Unternehmen seien nicht hervorragend geführt. Da gehört ein erstklassiges Währungsmanagement mit Hedging und fortlaufender Überwachung einfach dazu. Mir kann man nicht weismachen, die Unternehmen seien auf einen Aufwertungsschock wie Mitte Januar nicht vorbereitet gewesen. Sie hatten Szenarien bereit und wussten, jetzt müssen wir handeln, etwa die Produktion tiefmargiger Güter, wo noch nicht geschehen, ins Ausland verlagern und Wertschöpfung, Innovation sowie Produktivität im Inland verbessern. Und vergessen wir nicht: Mit einem Schlag sind Akquisitionen im Euroland für Schweizer Firmen günstiger geworden.

Die Neue Helvetische Bank ist primär auf mittelgrosse und kleinere Gesellschaften der Schweiz fokussiert, die sie regelmässig besucht. Auch Europa gehört zum Beobachtungsraum. Welche Rückmeldungen erhalten Sie von den Unternehmen?
Die Manager in der Schweiz sind sehr realistisch, sehr gut informiert, und ihre Aussagen sind plausibel. Im Vordergrund stehen die Chancen, beispielsweise für diejenigen, die nach Asien exportieren. Wer eher in Europa aktiv ist, hat die bekannten Probleme, die nicht über Nacht verschwinden werden, aber auch da bieten sich, je nach Positionierung des Unternehmens, selektiv Chancen, gerade in Bezug auf Übernahmen und Fusionen, sei es als Käufer oder als Gesellschaft, die zum Übernahmeziel wird.

Wo liegt noch Potenzial, worauf soll achten, wer auf eine Übernahmeprämie hofft?
Das typische M&A-Motiv ist nach wie vor: Es wird hinzugekauft, weil man selbst nicht mehr wachsen kann. Übernahmen wird es deshalb vor allem in Sektoren geben, wo das Geschäft gut lief und jetzt ansteht. Monsanto (MON 116.61 -0.32%)/Syngenta (SYNN 421.1 -0.07%) liefert das klassische Beispiel, der Agrarmarkt stösst an Grenzen, abgesehen davon  kämen für die Amerikaner noch ein paar Steuervorteile hinzu. Hingegen wird man kaum eine Akquisition sehen, wo jemand einen Restrukturierungsfall kauft, um ihn wieder auf Vordermann zu bringen. Wohin sollen die Unternehmen denn mit dem vielen Geld? Manche sind schuldenfrei, andere, auch weniger guter Qualität, können sich zu Niedrigstzinsen finanzieren. Ausschütten macht längerfristig wenig Sinn. Als Finanzchef würde ich jetzt die Kaufziele identifizieren und die Fühler ausstrecken.

Die Schweizer Wirtschaft ist im jüngsten Quartal geschrumpft, und im gesamten Europa wächst die Wirtschaft mehr schlecht als recht. Weshalb in Aktien investieren, die im siebten Jahr des Aufschwungs nicht mehr günstig sind?
Zur Konjunktur: Nicht die Notenbankpolitik, sondern die tiefen Öl- und Gaspreise sind das Wirtschaftsprogramm Nummer eins. In den USA wurden Schiefergasbohrungen massiv gestoppt. Trotzdem ist Amerika zu einem ernsthaften Anbieter gewachsen, was die Preise tief hält. Europäische Unternehmen profitieren zusätzlich vom schwachen Euro. Aktien sind eine Anlageklasse, in der inhärent Wert generiert wird: Unternehmen, die wachsen und ihre Aktionäre am Erfolg teilhaben lassen, während man mit Anleihen kaum noch verdienen, aber viel verlieren kann. Unser Aktienresearch weist auch auf die heute sehr attraktive Risikoprämie von Aktien hin.

Aktien übergewichten, nicht nur mangels Alternativen, sondern weil es fundamental gerechtfertigt ist, ist das Ihre Devise?
Absolut. Selbstverständlich sind viele Aktien teuer, Value-Investoren würden sogar sagen, sehr teuer. Auch müssen Anleger ihre Erwartungshaltung revidieren, das ist dem langsameren Wachstum geschuldet. Der zukünftige Ertrag wird mit 3 bis 4% kleiner sein als die 7% und mehr in den zurückliegenden Jahren. Doch was bringt mehr: eine Nestlé-Aktie für 17-mal den Gewinn pro Titel und 3% Dividendenrendite oder eine zehnjährige Schweizer Staatsanleihe mit zurzeit negativer Rendite? Da muss man nicht lange diskutieren. Die Aktienmärkte haben nicht überschossen wie im Jahr 2000. Sie sind noch nicht dort, wo man Angst haben muss.

Verlangt die schmäler werdende Gesamtrendite nicht eine Bewertungskorrektur?
Ich würde im Gegenteil behaupten, dass wir kurzfristig, in den nächsten zwei Quartalen, eine Bewertungsexpansion, also eine Kurssteigerung, erfahren. Viele Investoren stehen vor dem Problem, dass Obligationen nicht mehr rentieren, dass Banken die ihnen auferlegten Negativzinsen auf die Kunden überwälzen, weil für sie der Performancedruck steigt. Deshalb wird noch mehr Geld in Aktien fliessen.

Aktien nicht nur halten, sondern kaufen?
In einer Korrektur unbedingt kaufen, auch wenn das Momentum an der Börse etwas abgeflacht ist, unter der Bedingung: Es muss Qualität sein. Auch wenn’s langweilig klingt, unter den SMI-Werten sind’s immer die gleichen: Roche (ROG 278.4 -0.46%) (RO 273.75 -0.82%), Nestlé (NESN 72.7 -0.21%), Novartis (NOVN 96.85 -0.56%). Roche hat an der Krebskonferenz Asco dieser Tage mit verschiedenen neuen Produkten aufgewartet, die Titel sind sehr attraktiv.  Banken beurteilen wir zurückhaltend, und unter den Versicherern ziehen wir Swiss Re (SREN 84.05 0.24%) wegen der glaubwürdigeren Bewertung Zurich Insurance (ZURN 299.1 0.37%) vor.

Macht ein Schweizer-Aktien-Depot glücklich, oder bieten sich im Euroland, trotz Währungsrisiken, bessere Chancen?
Europa und Amerika lassen wir nicht ausser Acht. In den USA gefallen uns zum Beispiel die Konsumtitel VF Corporation und TJX, in Europa die Finanzwerte Aegon und aus Italien Unipol, dann aus Deutschland Fuchs Petrolub und der Küchenbauer Rational. Auf Abstand gehen wir zu den Schwellenländern, die Dollarhausse wird weitere Kapitalabflüsse bewirken. Aber Sie fragen nach der Schweiz. Selbstverständlich macht ein reines Schweizer Depot Freude. Ausser mit den genannten SMI-Aktien besticht die Schweiz durch reizvolle Small und Mid Caps, aufgeführt in unserem Swiss Equity Investment Portfolio: Conzzeta (CON 3596 -1.48%), dank der Aufsplitterung vor allem des Immobilienteils mit neuer Dynamik, Gleiches gilt für Bobst (BOBNN 43 0.12%) oder Georg Fischer (FI-N 720 0.56%), denen die stärkere Konzentration aufs weniger zyklische Piping-Geschäft Stabilität verleiht. Ähnlich Galenica (GALN 948 -0.21%), wo der Pharmateil forciert wird. Schweizer Unternehmen, von gross bis klein, sind enorm flexibel.

Im April fanden Swatch Group in der Liste Unterschlupf. Kommen sie zurück?
Wir leiden noch etwas. Aber wenn die Smartwatches zum Kassenschlager werden, ist Swatch sicher dabei: Der  Konzern weiss ganz genau, wie man auf engem Raum möglichst viel Elektronik integriert, und er hat die Batterietechnologie, die nicht, wie bei der Konkurrenz, verlangt, dass man die Uhr jeden Abend auflädt.

 

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