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11:34 Uhr - 29.06.2015

«Keine Crashgefahr trotz Griechendrama»

Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, schliesst einen Börsencrash aus. Die Korrektur würde er punktuell zum Kauf nutzen, für einen Einstieg auf breiter Front aber das griechische Referendum abwarten, wie er im Interview erklärt.

Herr Stucki, Konsens unter Börsenexperten ist: Fallende Kurse, aber kein Crash nach dem griechischen Ausscheren im Schuldenstreit. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung an der Börse?
Ich sehe es im Prinzip gleich. Griechenland ist zu klein, um die Weltwirtschaft aus dem Tritt zu bringen. Gleiches gilt fürs Finanzsystem, auch das europäische. Die griechischen Staatsschulden sind grossmehrheitlich von den Banken in öffentliche Hände übergegangen, zur Europäischen Zentralbank. Das Bankensystem ist stabil genug, um einem Bankrott von Griechenland zu trotzen. Die negative Börsenreaktion ist vor dem Hintergrund der neuen Unsicherheit verständlich, aber es ist nicht der Anfang von einem Crash. Bis zum Referendum am kommenden Sonntag werden die Märkte volatil und abwartend sein, aber eine Wende im langen Aufwärtstrend ist es nicht, dazu ist allem medialen Getöse zum Trotz Griechenland zu unbedeutend.

Wie geht es in Griechenland weiter?
Bis am Sonntag wird, wie gesagt, wenig passieren. Der Internationale Währungsfonds wird sein Geld von Athen nicht bekommen, aber Griechenland nach dem 30. Juni nicht unmittelbar bankrott erklären. Die Institutionen werden das Referendum abwarten und je nach Ausgang erst dann über allfällige weitere Schritte entscheiden.  Das Referendum wird zur Vertrauensabstimmung für die griechische Regierung. Gibt es ein Ja, ist die Regierung Tsipras früher oder später zum Rücktritt gezwungen, da sie ja eine Ablehnung der europäischen Vorschläge empfiehlt. Die Offerte der Institutionen wird wieder hervorgeholt und voraussichtlich umgesetzt. Die Märkte würden sich in diesem Fall unmittelbar nach dem Referendum erholen und zur Tagesordnung übergehen.

Und bei einem Nein?
Dann nimmt die Sache ihren Lauf: Schuldscheine für Rentner und Staatsangestellte durch die griechische Regierung, Einführung einer Parallelwährung, und am Ende Austritt aus dem Euro, wobei das nicht von einem Tag auf den anderen passiert, sondern eine monatelange, ja sogar längere Entwicklung wäre.

Was wäre dann an den Märkten zu erwarten?
Sie würden unmittelbar noch einmal unter Druck kommen, aber auch dann gelten die Argumente, die ich eingangs erwähnt habe: Griechenland ist einfach zu klein, um weltweit die Märkte zu einer Umkehr zu bewegen. Korrektur ja, Crash nein, hiesse auch dann die Devise.

Kommt es zur Flucht in den Franken?
Kurzfristig ist eine Fluchtbewegung nicht ausgeschlossen, falls das Referendum abgelehnt wird. Aber wahrscheinlich bleibt es bei punktuellen Bewegungen, so auch jetzt. Eine Bewegung in den Franken im grossen Stil ist nicht zu beobachten. Der Euro verhält sich relativ stabil, auch zum Dollar, was ausserhalb des Einflussbereichs der Schweizer Nationalbank liegt, die offenbar zugunsten eines schwächeren Frankens zum Euro heute interveniert hat. Eine Massenflucht gäbe es erst, wenn die Diskussionen um ein Auseinanderbrechen des Euros wieder in Gang kämen, was ich allerdings – ganz sicher auf kurze Sicht – ausschliesse. Ein starkes Signal kommt vom Euro selbst, der sich ja  wie erwähnt recht gelassen gegenüber den jüngsten Ereignissen zeigt.

Was empfehlen Sie Anlegern: den Kurstaucher zum Kauf nutzen, oder auf den Verkaufsknopf drücken und Gewinne realisieren?
Periodische Gewinne realisieren ist ungeachtet der aktuellen Ereignisse nie ein schlechter Ratgeber. Aber allein wegen der Entwicklung in Griechenland jetzt verkaufen würde ich nicht, sondern eher im Gegenteil die Korrektur zu selektiven Engagements nützen. Gute Aktien, die unter Verkaufsdruck geraten sind und 4% oder mehr in den letzten Tagen an Wert verloren haben, kommen für einen Kauf in Frage. Für einen Einstieg auf breiter Front würde ich jedoch das kommende Wochenende abwarten. Dann wird es dazu noch immer Gelegenheit geben.

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